Nach dem SPÖ-Parteitag: Andere Kampfbedingungen – es liegt an uns, sie zu nutzen!

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Die SPÖ hat nach langen und schmerzhaften Geburtswehen endlich einen neuen Vorsitzenden bekommen. Nach mehr als aufklärungsbedürftigen Pannen am Parteitag der SPÖ in Linz am 3. Juni – Hans Peter Doskozil wurde durch eine Umkehrung des Abstimmungsresultats fälschlich zum Vorsitzenden erklärt – steht nun Andreas Babler als neuer Mann an der Spitze der österreichischen Sozialdemokratie fest.

Zwischen der Mitgliederbefragung Anfang Mai und dem Parteitag einige Wochen danach wurde Babler zur Zielscheibe konzertierter Angriffe von außerhalb und innerhalb der Partei. Babler und Doskozil stehen ebenso wie die zurückgetretene Ex-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner auf dem Boden des derzeit gültigen SPÖ-Programms. Das ist ein Programm der Sozialpartnerschaft, also der Klassenzusammenarbeit zwecks besserer Verwaltung des kapitalistischen Systems im Sinne der herrschenden Klasse.

Der Hauptunterschied zwischen den beiden Kandidaten, die nach der Mitgliederbefragung im Rennen waren, war die Frage, wie man die SPÖ aus der oppositionellen Passivität herausholen kann. Sowohl Doskozil als auch Babler sahen das Problem der SPÖ in erster Linie darin, dass über die Jahre die FPÖ mit ihrer sozialdemoagogischen und gleichzeitig fremdenfeindlichen Rhetorik bei wachsenden Teilen der Lohnabhängigen punkten konnte. Während Doskozil genau die reaktionärsten Gefühle dieser rückständigen proletarischen Schichten ansprechen wollte, um sie „zurückzugewinnen“, setzt Babler auf die „soziale Frage“, um die SPÖ wieder als (bürgerliche) Arbeiter*innenpartei zu positionieren.

Das allein reichte, um eine aggressive Kampagne gegen Babler zu beginnen, die sich zunehmend steigerte. Bewusst oder unbewusst Öl ins Feuer goss Babler selbst, als er sich in einem puls4-Interview als Marxist bezeichnete (siehe dazu unseren Artikel ). Dann gruben innerparteiliche Kontrahenten einen mehrere Jahre alten Podcast aus, in dem sich Babler kritisch und polemisch gegen die EU, vor allem als angebliches „Friedensprojekt“, wandte. Ein Wort tauchte darauf quer durch den Medienwald auf: „Dümmlich“. Damit wird jede Kritik an der EU von „links“ abgetan, und von „Die Presse“ bis zum „Standard“ und den ach so fortschrittlichen Bobo-“Falter“ gab es einen blitzschnellen reaktionären Schulterschluss.

Die Angst vor Andi Babler steigerte sich proportional zu seiner öffentlichen Präsenz. Er absolvierte eine beeindruckende reformistische Ochsentour. Er sprach quer durch Österreich auf Märkten und Plätzen auf Veranstaltungen von SPÖ-Sektionen, ging zu den „kleinen Leuten“, die bisher die alleinige Beute von Herbert Kickl zu sein schienen. Denn zu seinen öffentlichen Auftritten kamen nicht nur SP-Mitglieder, sondern auch viele „Unorganisierte“, die das rote Wundertier bestaunen wollten.

Seine Themen waren und sind: Teuerung, Mieten, Energiepreise, Pflegenotstand, Ungleichbehandlung von lohnabhängigen Frauen, (Kinder)Armut, Klimakrise. Weitgehend ausgeklammert blieben die Themen Migration und Asylpolitik. Klar – sein Ziel ist es, von einem, wenn auch reformistischen, Klassenstandpunkt der faschistoiden FPÖ entgegenzutreten. Zugleich hütet er sich vor dem traditionellen Fehler der österreichischen „Linken“, auf die FPÖ fixiert zu sein wie das Kaninchen auf die Schlange. Völlig zu Recht stellt er die Volkspartei als die nach wie vor wichtigste kapitalistische Partei des Landes in den Fokus seiner Angriffe.

Im Gegensatz zu seinen Vorgänger*innen an der Spitze der SPÖ – und erst recht an der Spitze der FPÖ! – konnte sich Babler als Kind aus der Arbeiter*innenklasse präsentieren, der selbst einen Beruf erlernt und ausgeübt hat, und der eine Sprache spricht, die sich fundamental vom eingelernten NLP-Bürokratensprech der (klein)bürgerlichen Politiker*innenkaste abhebt.

Was bedeutet der Wechsel an der Führungsspitze der Sozialdemokratie nun für die Arbeiter*innenklasse und für uns internationalistische Kommunist*innen?

Ziehen wir einen Analogieschluss: so wenig, wie es den Lohnabhängigen und uns egal ist, mit welcher Regierungsform die Bourgeoisie herrscht – parlamentarische Republik, starker Staat, Bonapartismus, Faschismus – ist uns egal, wer an der Spitze der bürgerlichen Arbeiter*innenparteien steht.

Konkret auf die SPÖ bezogen heißt das: eine „rechte“ Doskozil-Führung hätte vermutlich auch in der nächsten Zeit primär die Themen Migration, Asyl und Ausländer*innenfeindlichkeit ins Zentrum gerückt. Darüber hinaus die gewerkschaftlich wichtige Diskussion um einen gesetzlich geregelten Mindestlohn.

Mit der „linken“ Babler-Führung verschieben sich die Themenschwerpunkte zu sozialen Fragen. Eine konfrontative SPÖ wird es ermöglichen, Klassenfragen wesentlich offener und auch offensiver anzusprechen als unter einer rechten Parteispitze. Macht der neue Parteivorsitzende mit seinen Versprechungen ernst, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich Proteste gegen die arbeiter*innenfeindliche Regierungspolitik wieder mehr auf die Straße verlagern. Auch davon können wir bei der Agitation profitieren.

Diesen verbesserten politischen Kampfbedingungen stehen aber auch neue Hürden gegenüber. Schon jetzt sehen wir, dass „Linke“ unterschiedlicher Herkunft enorme Illusionen in eine „rundumerneuerte“ SPÖ säen. Wenn etwa langjährige Aktivisten aus dem Umfeld der „Linkswende“ begeistert in die SPÖ eintreten (siehe David Albrich) und das damit begründen, jetzt sei die Zeit gekommen, sich „die Partei zurückzuholen“, ist das wenig verwunderlich. Die österreichische Filiale der britischen Socialistt Workers Party hatte seit jeher einen linkssozialdemokratischen Touch.

Auch der aus der „Militant“-Tradition und deren IMT-Flügel (bekanntester Vertreter: Alan Woods) stammende „Funke“ gibt sich hoffnungsfroh:

Egal ob Andi Babler morgen als Bundesparteivorsitzender oder als Wortführer der SPÖ-Linken nach Hause geht: das bisher Erreichte muss befestigt, vertieft und gestärkt werden. Die wichtigste politische Voraussetzung dafür ist, dass Andi Babler seine Meinung zum Marxismus und zur EU aufrechterhält und wir unseren Gegnern mutig entgegenhalten: „Und sie bewegt sich doch!“

Für eine kämpfende Partei der Arbeiterklasse!

Zu Beginn der SPÖ-Mitgliederbefragung hatte „Der Funke“ direkt zur Homepage der SPÖ verlinkt, damit Beitrittswillige unkompliziert der bürgerlichen Arbeiter*innenpartei beitreten sollten.

Es ist weder neu noch verwunderlich, dass Lohnabhängige, die am eigenen Leib die Auswirkungen des kapitalistischen Profitsystems erfahren, Schutz, Hilfe und Verbesserung ihrer Lage bei großen Organisationen suchen. Die Erkenntnis, dass das kapitalistische System beseitigt und durch ein rätedemokratisch organisiertes System der Arbeiter*innenkomitees auf allen Ebenen ersetzt werden muss, kommt nicht spontan aus der Erfahrung des Alltags – sie erwächst aus einer gründlichen Beschäftigung mit politischen und theoretischen Fragen, aus dem Studium der Grundlagen der modernen Arbeiter*innenbewegung, dem Marxismus.

Während wir also von einer „Auflockerung“ der politischen Atmosphäre durch die neue SP-Führung ausgehen können, werden wir gleichzeitig gegen eine Welle der Illusionen und falschen Hoffnungen ankämpfen müssen. Es wird geduldiger Aufklärungsarbeit bedürfen zu erklären, warum die Sozialdemokratie für den Sozialismus schon lange gestorben ist, warum sie niemals die „kämpfende Partei der Arbeiterklasse“ sein kann.

Was wir hier am Beispiel der SPÖ erörtern, trifft im gleichen Maße für Illusionen in die KPÖ zu , die in Graz und Salzburg zeigt, dass eine reformistische Politik Zuspruch findet, wenn sie Menschen tatsächlich hilft, ihre Lage zu verbessern. Wir lehnen ja den Reformismus nicht prinzipiell wegen Allem ab, was er tut – sondern wegen der Dinge, die er nicht tut! Kommunismus ist mehr als die Forderung nach einer Mietzinsobergrenze.

1928 hat sich der politisch unorganisierte deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky in einem Gedicht über die bürgerliche Wohltätigkeit und den Reformismus lustig gemacht. Seine Zeilen sind aktuell wie damals:

Sie reichen euch manche Almosen hin
unter christlichen frommen Gebeten;
sie pflegen die leidende Wöchnerin,
denn sie brauchen ja die Proleten.

Sie liefern auch einen Armensarg …
Das ist der Pfennig. Aber wo ist die Mark –?

(…)

Proleten!
Fallt nicht auf den Schwindel rein!
Sie schulden euch mehr als sie geben.
Sie schulden euch alles! Die Ländereien,
die Bergwerke und die Wollfärbereien…
sie schulden euch Glück und Leben.

Nimm, was du kriegst. Aber pfeif auf den Quark.
Denk an deine Klasse! Und die mach stark!
Für dich der Pfennig! Für dich die Mark!
Kämpfe -!