Kasten: Die bürgerliche Arbeiterpartei

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Offen ist die österreichische Sozialdemokratie zu Beginn des 1. Weltkriegs in das Lager der heimischen imperialistischen Bourgeoisie übergegangen, indem sie sich hinter die Kriegsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie stellte. Da der Reichsrat, also die parlamentarische Hülle der herrschenden Klasse, seit März 1914 vertagt und nicht mehr aktiviert worden war, blieb der österreichischen Sozialdemokratie die Schande der SPD erspart, die am 4. August 1914 für die Kriegskredite des preußischen Imperialismus gestimmt hatte. Die Politik beider Parteien war gleich – kein Klassenkampf während des Krieges, Burgfrieden mit der militaristischen Bourgeoisie.

Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates machte sich die Sozialdemokratie zur Retterin des Kapitalismus, der durch die 1917 in Russland begonnene revolutionäre Welle akut gefährdet war. Der Sozialismus wurde zwar immer wieder in Reden beschworen, tatsächlich strebte die Parteiführung nach der Schaffung eines menschlichen, weniger grausamen kapitalistischen Systems. Die Arbeiter*innen standen so politisch wehrlos einer immer aggressiveren herrschenden Klasse und ihren faschistischen Milizen gegenüber. Im März 1933 lösten die Christlichsozialen, die den Kern des Austrofaschismus bildeten, das Parlament auf, ohne dass es zur proletarischen Gegenwehr kam. Der Aufstand von Teilen der österreichischen Arbeiter*innen im Februar 1934 war nicht nur ein bewaffneter Kampf gegen den Faschismus – er war in der Substanz auch der bewaffnete Aufstand gegen die eigene Führung.

1945, nach 12 Jahren Faschismus, wiederholte die nunmehr „Sozialistische Partei“ benannte Sozialdemokratie die Politik von 1918. Gemeinsam mit den Erben des Austrofaschismus, der ÖVP, etablierte sie ein stabiles kapitalistisches Regime, das ideologisch, aber auch von den Institutionen her, durch die sogenannte „Sozialpartnerschaft“ geprägt war. Während SPÖ und die von ihr dominierten Gewerkschaften den Lohnabhängigen einredeten, dass Ausbeuter*innen und Ausgebeutete Partner*innen wären, stiegen die Profite der Unternehmer*innen und die Löhne der Werktätigen hinkten immer weiter hinterher.

Für die Bourgeoisie war es wichtig, dass sie mit der SPÖ eine verlässliche Stütze in der Arbeiter*innenklasse hatte – das ermöglichte einerseits die Verhinderung von Ausbrüchen der Unzufriedenheit in den Betrieben, andererseits notwendige Modernisierungsmaßnahmen, bei denen sich die kleinbürgerlichen und bäuerlichen Wählerschichten der Volkspartei als Klotz am Bein erwiesen. So war es der SPÖ ab 1970 möglich, beginnend mit der ersten Minderheitsregierung Kreisky, den österreichischen Kapitalismus umzubauen, neue Absatzmärkte im Nahen Osten zu erschließen und gesellschaftspolitische Reformen durchzusetzen, die Österreich mit fortgeschritteneren europäischen imperialistischen Ländern auf das gleiche Niveau brachte.

Nicht vergessen werden sollte, dass zwischen 1983 und 1987 die Sozialdemokratie mit der Freiheitlichen Partei unter den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky eine Regierungskoalition auf Bundesebene eingegangen war. Auch wenn der damalige FP-Obmann Norbert Steger als „Liberaler“ firmierte, änderte das nichts an der organischen Herkunft der Partei aus dem Reservoir ehemaliger Nationalsozialist*innen. Wie fruchtbar der Schoß war, zeigte sich, als Jörg Haider gegen Steger putschte und die FPÖ klar als reaktionär-nationalistische, faschistoide Partei positionierte.

Durch die Sozialpartnerschaft und die „Modernisierung“ der SPÖ lockerte sich die Verbindung zwischen Parteibürokratie und (Arbeiter*innen)Basis zusehends. Dadurch büßte die Partei aber auch ihren Wert für die heimischen Unternehmer*innen ein. Wozu einen „weichen“ Filialleiter die Geschäfte führen lassen, wenn man selber mit harter Hand leiten kann? Die SPÖ versuchte zwar, durch eine erste Welle von Sparpaketen der Industriellenvereinigung ihre Solidarität zu beweisen und gegenüber der FPÖ unter Innenminister Löschnak und dessen Adlatus Manfred Matzka, einem ehemaligen „Parteilinken“, mit einer ausländerfeindlichen Orientierung zu punkten – das half aber nicht. Im Februar 2000 kam es zur ersten blau-schwarzen Koalition, und die SPÖ musste erstmals (bis 2007) in Opposition.

Unter Alfred Gusenbauer folgte neuerlich eine Koalition mit der ÖVP. Er und seine Nachfolger Werner Faymann und Christian Kern verwalteten eine konturlose Zusammenarbeit mit der traditionellen Partei der österreichischen Bourgeoisie und ermöglichten damit zusehends der demagogisch agierenden FPÖ-Führung, sich als „Partei des kleinen Mannes“ zu präsentieren. Die Integration der SPÖ in den Staatsapparat mit den damit verbundenen Privilegien, die Besetzung von Spitzenpositionen in der Partei durch Banker und Manager ließen bei rückständigen Schichten die „bonzenfeindliche“Politik der FPÖ, gepaart mit einer immer aggressiveren Fremdenfeindlichkeit, auf fruchtbaren Boden fallen.