Gegen das Gift der Ausländer*innenfeindlichkeit und des Nationalismus! Viele Sprachen, viele Religionen, viele Farben – eine Klasse!

Seit Jahren ist im politischen Diskurs der westlichen Demokratien von Schlagworten einer „Festung Europa“, von „Hässlichen Bildern, ohne die es nicht gehen wird“, von „America First“ und ähnlicher Propaganda die Rede. Ein Höhepunkt der Instrumentalisierung der weltweiten Fluchtbewegungen, die im Kern auf die imperialistische Politik der als „Westen“ bezeichneten und in Wahrheit den Mechanismen des Kapitalismus gehorchenden Staaten zurückzuführen ist, wurde in Folge des Jahres 2015 erreicht, als sich Menschen in großer Zahl in Richtung europäischer Union in Bewegung setzten.

Im Laufe dieses Jahres wurde die sogenannte Flüchtlings-Krise insbesondere in Österreich wieder ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Hintergrund ist eindeutig, dass sich diverse politische Parteien davon das Wechseln politischen Kleingeldes am Rücken der flüchtenden Menschen versprechen.

Wir versuchen eine Analyse des Themas entlang der Überschriften Fakten, Politik und Perspektiven vorzunehmen.

Fakten:

Statistik:

Laut dem Mid-Year Trends Report des UNHCR beträgt die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen weltweit rund 103 Millionen. Die Zahl umfasst Geflüchtete, Asylsuchende, Binnenvertriebene und andere schutzbedürftige Menschen. Verglichen mit dem Stand von Ende 2021 bedeutet diese Zahl, dass derzeit 13,6 Millionen Menschen mehr auf der Flucht sind als im Vorjahr – dies macht einen Anstieg von 15 Prozent aus.

Einer der Hauptgründe ist der imperialistisch motivierte Krieg Russlands gegen die Ukraine, alleine seit diesem Jahr gibt es 5,4 Millionen ukrainische Geflüchtete und 6,3 Millionen Binnenvertriebene.

Darüber hinaus sind Herkunftsländer nach wie vor Syrien, Afghanistan, Irak, Jemen, Südsudan oder Nigeria.

Dazu darf man die 5,8 Millionen aus Palästina Geflüchteten unter UNRWA Mandat nicht vergessen, die aufgrund der imperialistischen Politik Israels im Zusammenspiel mit den USA ein jahrzehntelanges Leiden zu ertragen haben.

Hinsichtlich der Aufnahmeländer steht die Türkei mit 3,7 Millionen Geflüchteten an der Spitze. Darüber hinaus gehören Länder wie Pakistan oder Uganda mit jeweils 1,5 Millionen Schutzsuchenden unter den Top 5 Aufnahmeländern. Die allergrößte Zahl mit 58,7 Millionen sind immer noch die Binnenvertriebenen, die also auf ihrer Flucht die Grenzen des Ursprunglandes gar nicht überschreiten. Und zum Thema Nachbar in Not: 69% der Flüchtenden leben in einem der Nachbarländer des Herkunftslandes.

Diese Zahlen zeigen eindrücklich, dass die Überbelastung der westlichen Staaten von USA bis EU ein Propagandamärchen ist und dass die Belastung einmal mehr nicht in den imperialistischen Ausbeuterstaaten, die ja auch gleichzeitig Verursacher der Krisen sind (von der Klimakrise über die wirtschaftlichen Folgen des kapitalistischen Systems bis hin zur Kriegsindustrie der westlichen Staaten) stattfindet, sondern an der Peripherie oder weit entfernt vom westlichen Leben.

Recht:

EMRK – Sie ist ein völkerrechtlicher Vertrag, trat 1953 in Kraft und schützt die Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen in den Mitgliedstaaten des Europarates. Da es sich hier um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt geht die EMRK auch einen Schritt über die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 hinaus. Denn es wurde mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auch eine Institution geschaffen, wo jeder einzelne die Mitgliedstaaten bei Verletzung von Menschenrechten klagen kann. Das ist im Rahmen der bürgerlichen Demokratien ein zivilisatorischer Fortschritt gewesen. Österreich hat die EMRK 1958 unterzeichnet und sie 1964 in Verfassungsrang erhoben.

Inhaltlich geht es um die fundamentalsten Rechte eines Menschen, wie zum Beispiel Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, Freiheit der Meinungsäusserung, Verbot von Folter, Diskriminierung.

Wenn nun die ÖVP die EMRK bewusst in der öffentlichen Debatte in Frage stellt und insbesondere den die Staaten kontrollierenden Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert, offenbart das ein in einer leider unseligen Tradition stehendes autoritäres Staatsverständnis dieser christlich-sozialen Partei und lässt die traditionelle Nähe der Türkisen (Schüssel –Kurz –Nehammer) zu Viktor Orban in einem besonderen Licht erscheinen.

Dublin-Abkommen – Das Verfahren soll sicherstellen, dass jeder Asylantrag innerhalb der Europäischen Union (nur) einmal geprüft wird. Geregelt ist das Verfahren durch die europäische „Dublin-III-Verordnung“ (EU-Verordnung Nr. 640/2013), die in allen EU-Mitgliedsstaaten sowie der Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island Anwendung findet.

Was hier sehr technisch und bürokratisch klingt heißt frei übersetzt folgendes:

Jener EU-Staat, der einen Geflüchteten die EU hat betreten lassen, ist auch für ihn verantwortlich. Die EU-Regelung schiebt damit die Verantwortung für den Schutz von Geflüchteten an EU-Randstaaten ab. Und motiviert sie, Geflüchtete möglichst effektiv abzuwehren. Oder so schlecht zu behandeln, dass sie in andere EU-Staaten weiterfliehen – die daraufhin versuchen, die Geflüchteten zurückzuschieben. Die Folge: Geflüchtete irren durch Europa und werden wie Stückgut hin- und hergeschoben. Aber das Dublin-System ist nicht allein fgeflüchtetenfeindlich. Die unsolidarische Regelung hat unter den EU-Staaten längst einen existenziellen Konflikt ausgelöst.

Für Kräfte, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu ihrer politischen Agenda gemacht haben, sind diese rechtlichen und faktischen Zustände innerhalb der EU eine willkommene Situation: man hat anschauliches Menschenmaterial, das bewusst in ghettoähnlichen Situationen gehalten wird, mit dem man Ängste in der Bevölkerung schürt und man kann gegen die Europäische Union als eine internationale Organisation polemisieren, die durch ihre Bürokratie nicht in der Lage ist Ordnung in die Geflüchtetenfrage zu bringen.

Genfer Flüchtlingskonvention- Sie ist wurde im Jahr 1951 von den Vereinten Nationen verabschiedet und definiert wer ein Geflüchteter ist, welche sozialen Rechte Geflüchteten zustehen und welcher rechtlicher Schutz ihnen zu gewähren ist. Ursprünglich für die Geflüchteten nach dem 2. Weltkrieg geschaffen, wurde aber 1967 aufgrund der globalen Fluchtbewegungen erweitert. Derzeit haben 149 Staaten eines oder beide Dokumente unterzeichnet und verpflichten sich damit Geflüchteten Schutz zu gewähren. Österreich zählt zu diesen Staaten.

Als Flüchtling gilt, wer wegen Rasse, Religion, Nationalität, wegen der politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt wird.

Wichtigstes Recht ist, dass anerkannte Geflüchtete nicht in Land zurückgewiesen werden dürfen, in dem das Leben, die Freiheit ernsthaft bedroht wird. Darüber hinaus haben diese Geflüchteten das Recht auf Bildung, Arbeit, Bewegungsfreiheit, Zugang zu Gerichten, auf Wohnraum.

Andererseits dürfen diese Rechte Geflüchteten verwehrt werden, wenn diese eine Gefahr darstellen oder ein schweres Verbrechen begangen haben – diese dürfen in das Herkunftsland zurückgeschickt werden.

Diese zuletzt genannten unbestimmten Rechtsbegriffe stellen für rechtspopulistische Parteien ein Einfallstor dar, um ihre fremdenfeindliche und rassistische Propaganda zu betreiben, nach dem Motto, dass jeder Ladendieb oder Falschparker, der Asylstatus besitzt, in sein Herkunftsland zu deportieren wäre.

Auch Karl Nehammer hat noch als Innenminister zu Zeiten der neuerlichen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vehement darauf gedrängt Menschen, die sich irgendeinen Rechtsverstoß gesetzt haben sollen, mit deutschen Flugzeugen nach Kabul ins islamische Mittelalter fliegen zu lassen.

Politik:

FPÖ:

Wie jede rechtspopulistische und faschistische Partei in Europa spielt die FPÖ die FGeflüchtetenkarte. Dabei sind die Mannen und Frauen rund um den nicht nur körperlich sondern auch moralisch als zwergenhaft zu bezeichnenden Parteiführer Herbert Kickl völlig tabulos.

Inhaltliche und organisatorische Berührungspunkte zu den Identitären scheinen strategisch gewollt zu sein. Der Versuch seit der Corona-Pandemie mit Verschwörungstheoretikern, Rechtsesoterikern bis hin zu offen auftretenden Holocaustleugnern und Faschisten, wie Gottfried Küssel, die Straße zu erobern ist offensichtlich.

Die FPÖ hat sich inhaltlich und strategisch so radikalisiert, wie nie in den letzten 30 Jahren. Dadurch wird ständig Druck von ganz Rechts auf die Parteien der bürgerlichen Demokratie erzeugt.

Dass diese Partei außer dem schäbigen Versuch die Massen gegen diverse Sündenböcke zu mobilisieren nichts zu bieten hat, sozusagen ein one-trick-pony ist, wird viel zu wenig thematisiert. Im Gegenteil kann nachgewiesen werden, dass die Partei des kleinen Mannes (!!), wenn es um tatsächlich handfeste Politik für die Arbeiter*innenklasse geht, verlässlich auf der anderen Seite der Barrikade, nämlich der kapitalistischen Seite, steht.

ÖVP:

Unter Sebastian Kurz wurde seit 2017 ein populistischer Kurs gefahren, der den Freiheitlichen ihr Hauptthema, die „Ausländerfrage“, streitig machen wollte. Das brachte der sich auf christliche Werte berufenden Partei mit erkaufter Zustimmung eines großen Teils der Medien zwei Mal Erfolg an den Wahlurnen. Es war dies das alte CSU-Motto: ‚nichts rechts neben uns‘…

Nachdem der Türkise Heiland aufgrund seiner offenkundigen Korruptheit in die unendlichen Weiten des kapitalistisch-rechtsautoritären Globus entschwunden ist, stand letztlich Karl Nehammer der Partei vor. Dieser ist zwar unzweifelhaft Türkis sozialisiert, war er doch Generalsekretär und Innenminister unter Sebastian Kurz, doch versuchte er zunächst eine leise „lernende“ Absetzbewegung von den Türkisen zu versuchen.

Umfrageergebnisse und die Schlacht um das Kernland Niederösterreich haben offenbar seit Sommer 2022 zu einem Strategiewechsel geführt. Seit damals wird versucht den ein wenig lachhaft wirkenden Texingtaler (genius loci!) Karner als Innenminister zu einer autoritären Speerspitze aufzubauen.

Es hat ein bisschen etwas von der Analogie Dollfuss – Hitler und ÖVP-FPÖ. Dahinter nimmt wieder die eisige Lady Karoline Edtstadler ihre Position einer kalten Kriegerin gegen alles Gutmenschliche ein. Koordiniert wird seit kurzem die Strategie der ÖVP erneut von einem Mastermind der Kurz-Truppe, Gerald Fleischmann, der in die ÖVP Zentrale als Chef Kommunikator berufen wurde. Das politische Machtzentrum ist aber, wie seit Jahren, die tief schwarz-türkise ÖVP Niederösterreich, derzeit vertreten durch Johanna Mikl-Leitner, die sich offenbar den härteren Kurs gewünscht hat.

Inhaltlich bedeutet das, dass die ÖVP verzweifelt versucht das Spiel des Sebastian Kurz zu wiederholen und letztlich damit in einer unseligen Kontinuität zu der christlich-sozialen Partei der Zwischenkriegszeit steht, die analog zur heutigen Abgrenzung zur FPÖ damals versuchte der österreichische Weg des Faschismus in Abgrenzung zu Nazi-Deutschland zu sein.

Am Beispiel der Verhinderung des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien sieht man, dass nicht Fakten die Grundlage der Politik sind, sondern Stimmungen und Stimmungsmache. Dabei nimmt man kurzfristig auch die Verärgerung vom Wirtschaftsflügel der Partei in Kauf. 

Fundamental ist auch die Infragestellung der EMRK, wo zwar nicht genau gesagt wird, was geändert werden sollte, aber irgendetwas mit zu liberaler Rechtssprechung zur Menschenrechtskonvention medial verbreitet und damit eine illiberale Duftnote gesetzt wird. Dass damit die Werte der bürgerlichen Demokratie nach westlichem Vorbild aufs Spiel gesetzt werden, erkennt bloß ein hilfloser Othmar Karas in Brüssel.

Ansonsten ist die ÖVP klar auf Kurs, die FPÖ zu überkickeln!

SPÖ:

Die österreichische Sozialdemokratie ist seit den 1990er Jahren in der Frage des Umgangs mit Geflüchteten, Zuwanderung, Asyl, landläufig als Ausländerthema bezeichnet, eine zerrissene Partei.

Man versuchte damals mit Figuren wie den Innenministern Franz Löschnak oder Karl Schlögl nach rechts zur Haider-FPÖ abzudecken, dazwischen gab es mit Caspar Einem den kurzfristigen Versuch eine offenere Ausländerpolitik zu betreiben.

Daneben gab es die Gewerkschaftsbürokratie, die versuchte mit restriktiven Zuwanderungsgesetzen bzw Arbeitserlaubnissen für ausländische Werktätige, eine verunsicherte Arbeiterschaft zu befrieden.

Diese schwankende Linie zieht sich über die folgenden Jahrzehnte bis heute und findet ihre Verkörperung in der derzeitigen Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, deren Position in der aktuellen Schengen-Frage bezeichnend ist, nämlich grundlegend mit den medialen Wölfen zu heulen und den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen und trotzdem die ÖVP für ihre Haltung zu kritisieren.

Dabei ist sie innerparteilich eine ebenso Getriebene durch den burgendländischen Rechtsverbinder Hans-Peter Doskozil wie die ÖVP von der FPÖ getrieben wird. Doskozil orientiert sich in dieser Frage an populistisch agierenden Sozialdemokratien, wie der dänischen, und am gesunden Volksempfinden seiner pannonischen Gemeindevertreter. Mit medialem Rückenwind und heiserer Stimme stellt er hartnäckig ziemlich unverhohlen den Führungsanspruch in der SPÖ.

Auf der anderen Seite stehen Protagonisten, wie Andreas Babler als Bürgermeister der „Flüchtlingsgemeinde“ Traiskirchen, der dort zeigt, dass man mit klarer Ablehnung jeder rechtspopulistischen Agitation gegen Ausländer*innen und Geflüchtete Wahlen überzeugend gewinnen kann. Ein beträchtlicher Teil der Parteijugend und der fortgeschritteneren Kräfte in der SPÖ sehen sich in diesen Positionen besser vertreten als durch PRW oder HPD und stellen somit den anderen Flügel der Partei dar. Das parteiinterne Schwergewicht Michael Ludwig sendet unterschiedliche Signale, wie zum Beispiel mit Vorstößen zu einem liberaleren Staatsbürgerschaftsrecht, hat aber seine Wahl zum Wiener Parteivorsitzenden einer konservativen Mehrheit von Bezirkskaisern zu verdanken.

Nach wie vor ist es aber so, dass der Gewerkschaftsflügel in der Partei eine besonders ambivalente Rolle einnimmt: mit Ausnahme von einigen Gewerkschaftsgruppierungen, die dissidente Positionen einnehmen, bleibt die Gewerkschaftsbürokratie eine bewahrende Kraft und lehnt die Erweiterung ihrer potentiellen Machtpositionen durch Integration der gesamten im Lande befindlichen Arbeiter*innenklasse tendenziell ab.

NEOS:

Diese Partei versucht seit ihrer Gründung bestimmte Schichten von ÖVP-Wähler*innen anzusprechen, indem sie zum einen den früheren Schüssel-Spruch `mehr privat, weniger Staat` trommelt, aber andererseits die bürgerlich liberalen Grundwerte zu verkörpern. Das bedeutet in der Asyl u. Geflüchtetenthematik rechtsstaatliche Positionen entlang der in der Verfassung verankerten Menschenrechten zu vertreten.

Doch auch in dieser Gruppierung scheint der Druck, der vom Gebell der rechten Köter ausgeht Wirkung zu zeigen, nachdem die Parteichefin Beate Meinl-Reisinger im Herbst am NEOS-Parteitag eine restriktivere Haltung zum Thema Ausländer*innen propagierte und im November in mehreren Interviews verkündete, dass Österreich sich keine „offenen Türen“ mehr leisten könne.

GRÜNE:

Die Regierungspartei hat jeden Anstand an der Garderobe der Macht abgegeben und bereits im Koalitionsabkommen 2019/20 mit dem Balkanrouten-Schließer Sebastian Kurz der ÖVP einen koalitionsfreien Raum eingeräumt, wenn es um menschenverachtende Politik in Sachen Geflüchteten geht.

Daher ist es wenig überraschend, dass die Partie um Sigrid Maurer und Werner Kogler, wie schon bei den Korruptionsskandalen um die ÖVP oder bei den rechtswidrigen Abschiebungen von Jugendlichen im Jahr 2020, still halten wird, auch wenn jetzt der Schengen-Alleingang von Inneminister Karner stattgefunden hat.

Überraschend daran ist in Wirklichkeit weniger das Verhalten der Spitzenfunktionär*innen der GRÜNEN als die offenbar vollkommene Trockenlegung von basisdemokratischen Strukturen in der Partei.

Es herrscht Friedhofstille im Grünen Biotop!

Perspektive:

Perspektive heißt letztlich nach hinten und nach vorne zu schauen und daher reden wir zunächst über ein paar Fakten zur sozialistischen Tradition im Hinblick auf den Umgang mit Migrant*innen, um dann nach vorne zu schauen:

Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen oder sie ihnen erschweren, weitgehendste Erleichterung der Naturalisation.“

Dies war eine der beschlossenen Resolutionen des Internationalen Sozialistenkongress des Jahres 1907 in Stuttgart, das war vor 115 Jahren und zeigt welchen fortschrittlichen Charakter die damalige Bewegung hatte.

Karl Liebknecht forderte im selben Jahr vor der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, dass das „Damoklesschwert der Ausweisung“ von den Ausländern weggenommen werden müsse, weil diese in ihrer prekären Situation immer als Lohndrücker und Streikbrecher prädestiniert wären.

Lenin schrieb 1913: „…nur Reaktionäre können vor der fortschrittlichen Bedeutung dieser Völkerwanderung die Augen verschließen.“

Die Bolschewiki, die im Oktober 1917 in Russland die Macht ergriffen, hatten in der Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderierten Sowjetrepublik folgende Bestimmung:

Ausgehend von der Solidarität der Werktätigen aller Nationen, gewährt die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik den Ausländern, die auf dem Territorium der Russischen Republik wohnen und einer Beschäftigung nachgehen, die zur Arbeiterklasse oder zu der keine fremde Arbeit ausnutzenden Bauernschaft gehören, alle politischen Rechte der russischen Bürger und ermächtigt die örtlichen Sowjets, solchen Ausländern ohne jegliche erschwerende Formalitäten die Rechte der russischen Staatsbürgerschaft zu verleihen.“

Das ist die vollkommene rechtliche und politische Gleichstellung von Menschen, die einer Klasse angehören und auf einem bestimmten Territorium leben!

Es ist zu beobachten, dass Parteien der Sozialdemokratie oder auch andere reformistische Kräfte in Fragen der Zuwanderung und Migration damit argumentieren, dass `offene Grenzen` oder `keine Einwanderungskontrollen` große Teile der Arbeiter*innenschaft abschrecken würden, weil diese in den Migrant*innen eine Bedrohung für Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen sehen.

Das ist in Wahrheit das Argumentarium der bürgerlichen Medien und der bürgerlichen Parteien, die damit die Arbeiter*innenklasse spalten.

Sozialist*innen müssten dieser bürgerlichen Propaganda die Forderung entgegensetzen, dass wir einen vereinten Kampf aller Arbeiter*innen brauchen, mit oder ohne Papiere, Gewerkschaften, die alle Arbeiter*innen organisieren, unabhängig von der Herkunft.

Das bedeutet also sich nicht an vorgeblich vorhandene Stimmungslagen in der Bevölkerung anzupassen, sondern fortschrittlich Positionen einzunehmen, die objektiv richtig und notwendig sind.

Leo Trotzki argumentierte, dass das marxistische Programm nicht ein Spiegelbild der „Haltung der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse“ sei, sondern die Lehre aus den letzten 200 Jahren der Kämpfe der Arbeiter*innen und schrieb dazu:

Wir haben oftmals wiederholt, dass der wissenschaftliche Charakter unserer Aktivität in der Tatsache besteht, dass wir unser Programm nicht an die politische Konjunktur und an das Denken oder die Stimmung der Massen, wie diese Stimmung heute ist, angepasst haben, sondern wir haben das Programm der objektiven Lage angepasst, wie sie von der ökonomischen Klassenstruktur der Gesellschaft repräsentiert wird. Die Mentalität kann rückständig sein; dann ist es die politische Aufgabe der Partei, die Mentalität in Übereinstimmung mit den objektiven Tatsachen zu bringen, den Arbeitern die objektiven Aufgaben verständlich zu machen. Aber wir können das Programm nicht der rückständigen Mentalität der Arbeiter anpassen, die Mentalität, die Stimmung ist ein sekundärer Faktor – der primäre Faktor ist die objektive Lage.“

Trotzki prangerte im Zusammenhang mit Südafrika 1933 an, dass es das größte Verbrechen von Revolutionär*innen wäre, nur das kleinste Zugeständnis an Privilegien und Vorurteile weißer Arbeiter*innen zu machen. Wer dem Chauvinismus nur den kleinen Finger gäbe, wäre verloren, sagt er.

In diesem Lichte sind alle politischen Vorstöße eines Hans Peter Doskozil und Konsorten in Richtung eines Verständnisses für die Sorgen der Menschen vor Zuwanderung Gift für eine solidarische Arbeiter*innenklasse, die geeint im Kampf gegen das Kapital antreten möchte.

Es ist leicht zu erkennen, dass Kapitalist*innen und ihre Staaten die Frage der Migration nutzen, um die Arbeiter*innen zu spalten und die Ausbeutungsrate zu erhöhen. Die bürgerlichen politischen Parteien in Österreich spielen in dieser Situation brav ihre vorgegebenen Rollen.

Die Arbeiter*innenklasse hingegen hat kein Interesse ihre Klassengeschwister aus anderen Ländern auszugrenzen, sondern muss diese als natürliche Verbündete im Klassenkampf sehen.