Wenn die Regierung Antifaschismus spielt

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Mit mäßigem Erfolg versuchten die heimischen Gazetten, den rassistischen Massenmord von Christchurch am 15. März dieses Jahres als Tat eines Psychopathen und Einzelgängers hinzustellen. So wie sein großes Vorbild Anders Breivik verfasste auch Brenton Tarrant ein Manifest, in dem er die Beweggründe für sein Verbrechen mehr oder minder ausführlich darlegte. So verabscheuungswürdig und ekelerregend die darin zum Ausdruck kommende faschistische Ideologie ist – sie ist nicht geisteskrank, sie ist nicht individueller Wahnsinn, sie ist Ausdruck einer politischen Entwicklung in Teilen der Kleinbourgeoisie, die hofft, durch die brutale Vernichtung der Arbeiter_innenklasse und besonders ihrer migrantischen Schichten – der Proletarisierung zu entgehen und gleichzeitig durch einen überholten Nationalismus dem Druck der großen imperalistischen Bourgeoisie zu entgehen.

Genau wie Breivik beruft sich Tarrant  auf zentrale ideologische Versatzstücke der sogenannten Neuen Rechten. Neue Rechte, das ist die beschönigende Bezeichnung für die modernisierten  faschistischen Bewegungen, die sich im äußeren Habitus und durch eine vorsichtige Sprache von den klassischen alten faschistischen und nazistischen Bewegungen abgrenzen.  

Kern- und Angelpunkt des Pamphlets des Mörders von Christchurch ist die These vom großen Austausch. Diese aus Frankreich importierte Theorie der extremen Rechten (erstmals formuliert von Renaud Camus) ist  das zentrale Agitationsthema der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ). Sogenannte “globalistische und multikulturelle kulturmarxistische” Politiker versuchen, die weiße europäische Rasse durch gezielte Massenimmigration aus der arabischen Welt und aus Afrika zu zerstören.

Bei der Verbreitung dieser apokalyptischen Vision sind sich, Nationalismus hin oder her, “neue Rechte” und alte Faschisten aller Kontinente einig. “Alt-Right” Blogerinnen und Blogger in den USA (also in der Regel Vertreter_innen eines evangelikal lackierten weißen Rassismus und rabiaten Antikommunismus) verbreiten die Geschichte vom “Großen Austausch” ebenso wie englische Faschisten.

Das Angstmacher-Szenario wird vor allem vom Führer der österreichischen Identitären, Martin Sellner, in Videos, via Twitter  und Veröffentlichungen in einschlägigen neurechten Publikationen verbreitet. Damit hat er auch bei den Alt-Rightists Erfolg – seine Verlobte, Britanny Pettibone, ist eine der bekanntesten rassistischen Blogerinnen in den USA, die kanadische Faschistin Laureen Southern durfte mit den Idis bei deren menschenfeindlicher Aktion im Mittelmeer mit an Bord kommen. Mit großem Bedacht wählt der IBÖ-Führer  seine Worte so, dass er immer gerade noch am Wiederbetätigungsparagraphen vorbei schrammt.

Gefährlich sind nicht die Anhänger der angsterfüllten Plaudertasche im Hipster- Look, gefährlich ist, dass immer reaktionärer werdende traditionelle bürgerliche Parteien mangels eigener theoretischer Fähigkeiten die modern und zeitgeistig aufbereiteten Parolen aus dem faschistischen Lager übernehmen.

Faschistische Positionen bei beiden Regierungsparteien salonfähig

Kein Wunder, dass in Österreich FPÖ-Nationalratsabgeordnete auf Kundgebungen der IBÖ sprechen, Funktionäre der unteren Ebene gemeinsam mit den Sellner- Brüdern demonstrieren und auch Herr Strache kein Problem hat, mit den Führern der Identitären an einem Wirtshaustisch zu sitzen.  Und hier gleich eine Anmerkung, die uns umso leichter fällt, weil wir bekanntermaßen keine Verteidiger der Funktion des Bundespräsidenten sind: wenn sich Martin Sellner als Jux auf einem Selfie mit Alexander van der Bellen ablichtet ist das tatsächlich etwas, was man dem damaligen Präsidentschaftskandidaten nicht vorwerfen kann. So prominent ist Herr Sellner auch wieder nicht, dass ihn jeder kennen muss. Es ist aber ein Unterschied, ob ein Spitzenpolitiker nach einer Veranstaltung seiner Partei in entspannter Atmosphäre mit Rechtsextremen an einem Tisch sitzt. Was unter anderem dadurch bewiesen ist, dass der Versuch H.C. Straches, den “Politikberater” Fussi vor Gericht zu zerren, weil dieser angeblich die entsprechenden Fotos gefälscht habe, krachend gescheitert ist, weil die Fotos natürlich echt waren.

Und auch Bundeskanzler Sebastian Kurz kann sich zurecht in einem Presseinterview damit brüsten, dass das, was er heute sagt (sofern er überhaupt den Mund aufbekommt), vor drei Jahren in Europa noch als rechtsextrem gegolten hat. Wer als einzigen politischen Erfolg bis zum Erbrechen die Vertreibung von Flüchtenden verkauft, ist nur noch ein paar Millimeter vom großen Austausch und der von den Identitären geforderten Remigration entfernt.

Ohne Zweifel hat es in Österreich die Strahlkraft der neofaschistischen Bewegung  befördert, dass vom Neonazismus kommende Kader wie Martin Sellner mit der Übernahme einer pseudochristlichen Kulturkampfrhetorik  auch im Reservoir des potentiellen Klerikalfaschismus fischen können.

Aber nun zurück zur IBÖ und dem Massenmörder von Christchurch. In seinem erwähnten Manifest nimmt Tarrant immer wieder auf Österreich bezug.  Tatsächlich hat sich international um das Jahr 1683 und die zweite Türkenbelagerung im rassistischen und islamophoben Lager ein Heldenmythos rund um Wien als Bastion gegen den Islam entwickelt. Auch dieser Mythos wird von der IBÖ  fleißig gepflegt. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob der Name der Stadt, in der Tarrant zwei Moscheen angegriffen hat – Christchurch – nicht ebenfalls Teil seiner Kreuzzugsinszenierung war. Die adretten Burschen und Mädchen der Weltuntergangsgeneration pflegen regelmäßig mit trunkenen Hooligans und dumpfen Skins im Schein von Fackeln auf den Kahlen- oder Leopoldsberg zu latschen um dort heldenhaft dreinzuschauen.  Und auch hier sind sie in angeblich seriöser Gesellschaft. So hat sich die FPÖ vor einigen Jahren nicht entblödet, H. C. Strache in einem Wahlkampf-Comic als Verteidiger Wiens gegen die Türkenbelagerung zu stilisieren.

Laut Brandon Tarrant könnte eine faschistische Konterrevolution in Europa von Polen, Italien oder Österreich ausgehen. Er spielt auf militante Netzwerke von rechtsextremen Militärangehörigen und Polizisten an.  Auch hier wenig Neues unter der Sonne. Deutsche Verfassungsschützer, die ja auch nicht gerade als antifaschistische Vorkämpfer bekannt sind, weisen schon seit geraumer Zeit auf derartige Strukturen hin. Solange die Bourgeoisie die Möglichkeit hat, mit den normalen rechtsstaatlichen  Mitteln ihre demokratisch verbrämte Klassendiktatur aufrechtzuerhalten, muss sie in Maßen gegen vorpreschende paramilitärische Verbände vorgehen, um einerseits ihr Gewaltmonopol zu verteidigen und andererseits militante Gegenaktionen von Teilen der Arbeiterbewegung zu verhindern.

Die faschistische Eiterbeule platzt

Und dann war plötzlich Feuer am Dach der IBÖ.  Während das Innenministerium nach wie vor nichts genaues über den Christchurch Attentäter wissen wollte, veröffentlichten Zeitungen wie Standard und  Falter Berichte, denen zufolge sich der Mörder im vergangenen Jahr auch in Österreich aufgehalten hatte. Und während das BVT endlich diese journalistischen Erkenntnisse bestätigte, stellte sich heraus, dass Tarrant im vergangenen Jahr eine Spende von 1500 Euro an Sellner überwiesen hatte. Just  als die Polizei an die Pforte des Identitären pochte hatte dieser gerade zufällig entdeckt, von wem die doch nicht unbeträchtliche Summe überwiesen worden war.

Die Reaktion Sellners war die übliche: ein großes Jammern hob an, und immer krudere  Verschwörungstheorien wurden geboren. Klar, irgendwie musste man erklären, wieso man die gleiche ideologische Basis wie Tarrant hat, aber angeblich doch nichts mit ihm zu tun hat. Also hörte das staunende Publikum, das Tarrant aus reiner Boshaftigkeit dem Führer der österreichischen Identitären einen größeren Geldbetrag überwiesen hatte, um ihn zu diskreditieren und in der rechten Szene Verwirrung zu  stiften. Das aber war dem Youtuber noch immer zu wenig. Mit bebender Stimme malte er das Bild von Millionen aufgehetzten Islamisten an die Wand, die ab sofort, vermutlich mit Dolchen zwischen den Zähnen, auf ihn und seine Familie lauerten. Der böse Attentäter wollte also auch den harmlosen und gesetzestreuen Martin Sellner indirekt dem bösen Feind zum Fraße vorwerfen.

Hatte bereits das Manifest Tarrants  in der FPÖ die Alarmglocken schrillen lassen, war nach der beweisbaren Spende des Massenmörders an die IBÖ endgültig Panik angesagt. Dass der “große Austausch” die ideologische Rechtfertigung für die Ermordung von 50 Menschen war, zeigte die gefährlichen Implikationen einer Theorie, die schon lange in der FPÖ und ihren Teilorganisationen Fuß gefasst hatte. Damit war es um die rechte Nibelungentreue endgültig geschehen. In Windeseile setzte sich die FPÖ – Führung von den identitären ab, die sie doch als Ideenlieferanten und Zutreiber jugendlicher Radikalisierter gerne gesehen hatte.

Ein bisschen war es wie bei dem EAV-Song: “Sellner wer, Sellner wie, diesen Namen hört ich nie”.

Bloß mit Ausnahme der Kronenzeitung und der Mateschitz Medien gab es kein ernsthaftes Presseorgan, dass die Distanzierung der Freiheitlichen von den identitären ernst nahm. Zum ersten Mal geriet dadurch die gesamte Koalition ins Schlingern.

In bewährter Manier ergriffen Kurz und Strache die Flucht nach vorn. Sie fantasierten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz über ein Verbot der identitären Bewegung. Dass eine derartige Maßnahme einen gravierenden Bruch verfassungsmäßiger Freiheiten bedeutet, war beiden Koalitionspartner sicher bewusst, und wie immer störte sie das einen Dreck. Die Überlegung war berechnend zynisch: Bewies nicht eine Verbotsdrohung klar den “Antifaschismus” dieser Regierung?

Bekanntlich sind Verbote von politischen Organisationen in bürgerlichen Staaten, auch wenn sie sich scheinbar gegen Faschisten richten, in Wirklichkeit nur ein Probegalopp für die Untersagung von Organisationen und Vereinigungen der Arbeiterbewegung.

1936 warnte Leo Trotzki angesichts ähnlicher “antifaschistischer” Pläne der niederländischen Regierung die Arbeiter vor jeder Illusion in die bürgerliche Demokratie. Im Dezember 1935 hatte die französische Abgeordnetenkammer ein Gesetz verabschiedet, dass alle paramilitärischen Organisationen verbot. Es konnte sowohl gegen die Selbstverteidigungsorganisationen der Arbeiter als auch gegen die Faschisten und ihre Milizen verwendet werden, aber die stalinistischen und sozialistischen Abgeordneten stimmten trotzdem dafür. Diese Idee wurde in Holland von der rechtsgerichteten Koalition unter Premierminister Hendrik Colijn aufgegriffen, die ebenfalls alle “bewaffneten Organisationen” auflösen wollte. Die Führung der Revolutionären Sozialistischen Arbeiterpartei RSAP, die mit einen Abgeordneten im Parlament vertreten war und dem Trotzkismus Nahe stand, wandte sich mit der Bitte um seine Meinung an Leo Trotzki. Den entsprechenden Text veröffentlichen wir gesondert im Anhang. Die RSAP stimmte ebenso wie drei stalinistische Abgeordnete in der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments gegen das Gesetz.

Die vollständige Entlarvung der wirklichen politischen Physiognomie der FPÖ brachte dann die Nationalratssitzung vom 27 März. Innenminister Kickl, der selbst 2016 als Redner auf dem Kongress der “Verteidiger Europas” vor den Identitären und anderen Ganz- und Halbfaschisten aufgetreten war, versuchte sich wie immer abzuputzen, indem er auf die konkreten Fragen der Abgeordneten der Opposition nicht einging.

FPÖ-Nationalratsabgeordneter Zanger, der bei einem anderen Tagesordnungspunkt der Sitzung Betriebsräte und Gewerkschafter als “Beidln” beschimpfte, ist übrigens einer der Spitzenpolitiker der Regierungspartei, die nicht nur gemeinsam mit Identitären demonstrieren, sondern auch auf Veranstaltungen von ihnen spricht.

Die gesamte Verbotsdebatte ist seitens der Regierung völlig heuchlerisch. Es geht hier um keine juristische Frage, es geht um eine politische Verantwortung. Und die liegt selbstverständlich bei all jenen, die mit dem Gerede vom “großen Austausch” Angst und Schrecken verbreiten.

Für die FPÖ sind die Identitären ein simples Bauernopfer, um ungehindert gemeinsam mit der Kurz-ÖVP den Umbau der Zweiten Republik in Richtung autoritäres Regime weiter vorantreiben zu können.

Denn die privilegierten Beziehungen zwischen Identitären und Freiheitlichen dürfen nicht vergessen machen, dass die neue ÖVP unter Sebastian Kurz ebenfalls viele Theoreme der Neofaschisten übernommen hat.

Eines ist jedenfalls klar: Wenn es keinen entschiedenen Widerstand seitens der organisierten Arbeiterbewegung – also auch der SPÖ und der Gewerkschaften – gegen den derzeitigen Kurs von “neuer ÖVP” und FPÖ gibt, wird der Winkel der schiefen Ebene Richtung Autoritarismus immer steiler werden. Der Hauptfeind sind heute nicht neofaschistische Splittergruppen (die natürlich auch bei jedem Auftritt bekämpft werden müssen, um die von ihnen ausgehende Gefahr im Keim zu ersticken!), sondern die “kultivierten” bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien, die im Dienst des Kapitals immer offener die Errungenschaften der Lohnabhängigen attackieren und letzten Endes beseitigen wollen.