Des Pudels Kern oder: Christian gibt Pfötchen und Beppo ist sauer, weil keiner mit ihm redet

Ein Sittenbild aus der österreichischen Sozialdemokratie

Die türkis-blaue Regierung setzt mittels Initiativantrag die zulässige Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden hinauf; die türkis-blaue Regierung kürzt bei Arbeitslosengeld und Mindestsicherung; die türkis-blaue Regierung setzt zur Zerschlagung der AUVA und der Krankenkassen an; Asozialministerin Beate Hartinger-Klein verhöhnt Arbeitslose, indem sie im Fellner-TV erklärt, man könne doch eh von 150 Euro im Monat leben, wenn die Wohnung bezahlt werde. Und der freiheitliche Verteidigungsminister denkt über eine Verlängerung des Wehrdienstes auf 8 Monate nach.

Selbst für eine zahnlose Opposition wäre eine solche Regierung das gefundene Fressen. Selbst eine simpel gestrickte reformistische Gewerkschaftsführung würde in einem solchen Umfeld aufblühen. Nicht so die SPÖ und die Spitze des ÖGB.

Am 27. Juli erklärte SPÖ-Vorsitzender Christian Kern in seiner sommerlichen Pressekonferenz: „Es gibt keine einzige politische Partei, die nicht gesagt hätte: Wir müssen uns mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit beschäftigten. Die Türen wären offen gestanden.“ (Der Standard, online https://www.google.at/amp/s/mobil.derstandard.at/2000084255579/Kern-bietet-Koalition-die-Hand-fuer-gemeinsame-Reformen%3famplified=true). Ebenfalls dort findet sich das Zitat: „Der Regierung schreibt Kern ins Stammbuch: ‚Gute Politik würde bedeuten, dass man sagt: Das haben wir vor, reden wir darüber.'“  

Und News berichtet: „Man sei aber durchaus bereit, mitzuarbeiten, appellierte Kern an ÖVP und FPÖ, ‚wir sind da nicht beleidigt‘. Angewiesen ist die Regierung auf die SPÖ beispielsweise im Bundesrat zur Reform der Bund-Länder-Kompetenzen, also des Artikel 12 der Bundesverfassung. ‚Ich bin absolut bereit, dass wir uns wirklich konstruktiv damit auseinandersetzen‘, erklärte Kern, es liege nur derzeit nichts Brauchbares dazu am Tisch, sondern es seien nur ‚Wolken‘ zu sehen„. (https://mobil.news.at/a/pressekonferenz-christian-kern-kritik-regierung-10240183).

Derweil profiliert sich der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl – nun schon seit Jahren in einer Koalition mit der FPÖ – als Scharfmacher in Sachen geschlossener Grenzen: „Ein weiteres Problem, über das gar nicht erst geredet werde, seien die vielen illegal aufhältigen Migranten in Österreich. ‚Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass das rund 250.000 Menschen sind. Das ist eine Stadt wie Graz. Kein guter Zustand.‘ Für Niessl gibt es deshalb vorerst keine Alternative zu Kontrollen an Österreichs Grenzen. ‚Derzeit kommen täglich circa 50 Flüchtlinge nach Österreich, das sind 300 bis 400 pro Woche. Ganz wenige kommen über das Burgenland, weil dort die Grenzkontrollen von Polizei und Bundesheer so gemacht werden, dass die Schlepper erwischt werden. Würde man Polizei und Bundesheer von der burgenländischen Grenze abziehen, werden sich die Schlepperrouten sofort ändern. Solange die Außengrenzen nicht geschützt werden, müssen wir es selbst tun.'“ (https://www.google.at/amp/m.oe24.at/oesterreich/politik/Niessl-warnt-Etwa-250-000-illegale-Migranten-in-Oesterreich/342059952/amp)

Wie Niessl auf die Viertelmillion „Illegale“ kommt und wer damit überhaupt gemeint ist, hat der Spezialdemokrat [Achtung – Ironie] bisher nicht offengelegt. Wozu auch – rechts überholen ist seit langem ein Merkmal des Burgenländers, und da sind offenbar alle Mittel recht.

Aber, so werde einige sagen, zum Glück gibt’s ja noch andere in der SPÖ – vor allem unter den Gewerkschaftern.

Mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Bau/Holz und Sozialsprecher der SPÖ Hans Muchitsch haben wir uns ja schon einmal etwas intensiver auseinandergesetzt (https://klassenkampf.net/oegb-schluss-mit-dem-kniefall-vor-dem-kapital/). Auch in der Sauren-Gurken-Zeit bleibt dieser seiner Linie treu: “Josef Muchitsch, Oppositionspolitiker (SP-Sozialsprecher) und ÖGB-Spitzenfunktionär (Chef der Gewerkschaft Bau/Holz) in Personalunion, prophezeit ‘der Regierung einen heißen Herbst’. Grund sei ein Abbau des Sozialstaates, ohne davor mit Sozialpartnern, Interessenvertretern oder Opposition gesprochen zu haben”, wissen die Oberösterreichischen Nachrichten zu melden. (https://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/innenpolitik/Eskalation-bis-zum-Streik-Muchitsch-droht-Regierung-mit-heissem-Herbst;art385,2962064).

Wir lernen hier also: Muchitsch kann (noch) poltern. Warum er poltert, ist allerdings beachtenswert: Es ist offenbar nicht der “Abbau des Sozialstaates”, der ihn ärgert, sondern vielmehr, dass die Regierung vor diesem Abbau “nicht mit Sozialpartnern, Interessenvertretern oder Opposition” gesprochen habe. Wer uns jetzt billige Polemik vorwirft, täuscht sich. Diese Haltung ist völlig deckungsgleich mit der Anekdote, die wir im oben erwähnten Artikel aus dem Falter zitiert haben.  Zitieren wir nochmals vom 10.7.2018: “Der Gewerkschafter und SPÖ-Nationalratsabgeordnete Josef ‘Beppo’ Muchitsch hatte nach einer heftigen Parlamentsdebatte alle Abgeordneten von ÖVP und FPÖ per Mail ersucht, doch noch über den Zwölf-Stunden-Arbeitstag zu verhandeln und eine Begutachtung des Gesetzesentwurfes zuzulassen. Als Vorsitzender des Arbeits- und Sozialausschusses versprach er, das Gesetz werde trotzdem mit 1. Jänner in Kraft treten. 62 Abgeordnete der ÖVP und 51 Abgeordnete der FPÖ bekamen den verzweifelten Brief des roten Parlamentariers. ‘Geantwortet hat nur einer, der ÖVP-Abgeordnete Wolfgang Gerstl’ sagt Muchitsch”.

Zugleich wird en passant erwähnt, dass Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident und SP-Nationalratsabgeordneter, in den ersten Augusttagen sein Mandat im Parlament zurücklegen wird – er wolle ein “überparteilicher” Präsident sein.

So so. Die Idee des einheitlichen Gewerkschaftsbundes mit Fraktionsrecht hat Katzian damit offenbar gründlich missverstanden. Ohne den real existierenden ÖGB in irgendeiner Weise überzubewerten muss doch klar gesagt werden, dass diese Konstruktion, gemessen an getrennt agierenden Richtungsgewerkschaften, eine bedeutende Errungenschaft der österreichischen Arbeiter_innen gegenüber anderen europäischen Kolleg_innen darstellt. Das heißt aber natürlich nicht, dass Gewerkschafter, auch nicht der ÖGB-Präsident, politisch abstinent sein sollen und müssen. Was allerdings notwendig wäre: Nationalratsabgeordnete dürften nicht gegen die Beschlüsse der Gewerkschaft stimmen oder gewerkschaftsfreindlich agieren. Und da beginnen dann die Probleme …

Woran liegt es, dass SPÖ und ÖGB-Führung so unbeholfen bis gar nicht als Opposition agieren? Es handelt sich weder um ein individuelles Versagen, noch um willentliche Bosheit, noch um Dummheit. Es ist – um Karl Marx zu zitieren – auch im Falle dieser Spitzenbürokrat_innen das gesellschaftliche Sein, welches das Bewusstsein bestimmt. Vertreter_innen einer Partei, die sich schon vor über einem Jahrhundert von der Idee des Sozialismus verabschiedet hat, haben keine wirkliche Alternative zur Politik der offen reaktionären bürgerlichen Parteien anzubieten. Gewiss – nicht nur Sozialdemokraten, sogar bestimmte kleinbürgerliche oder bürgerliche Parteien in aller Welt würden das bestehende kapitalistische System lieber dadurch aufrechterhalten, dass sie sozialen Frieden erkaufen, und nicht, indem sie die Profitinteressen mit Zwang durchsetzen. Es ist wie alles in dieser Gesellschaft eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Was ist einfacher, was ist effizienter?

Sozialdemokrat_innen haben sich seit den Tagen des 1. Weltkrieges als loyale “Krankenpfleger am Bett des Kapitalismus” gesehen und genauso agiert. Ihr Ziel ist es nicht, diesen Kapitalismus zu überwinden – sie wollen ihn gut geschmiert und reibungslos am Laufen halten. Wie Christian Kern am 1. Mai 2018 in Wien so schön sagte:  „Wir werden diesen Kapitalismus nicht überwinden“.

Der Regierung Pfötchen geben (Kern), um Verhandlungen betteln (Muchitsch), “konstruktive Vorschläge” mit extrem reaktionären Inhalten machen (Niessl) – so werden die brutalen Sozialabbaupläne von türkis-blau nicht aufgehalten werden.

Wir können uns als internationalistische Marxisten nicht damit begnügen, die Pläne der Regierung zu analysieren und zu entlarven und den Arbeiter_innen, Arbeitslosen, Studierenden, allen Lohnabhängigen, Vorschläge zu machen, wie der Kampf dagegen zu organisieren ist. Wir führen einen Zweifrontenkrieg, weil wir parallel dazu die historisch verräterischen alten Führungen der Lohnabhängigen kritisieren und bloßstellen müssen, um die Massen von ihrem Einfluss zu befreien.

Unsere praktischen Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Das hindert uns nicht daran, mit unseren bescheidenen Kräften an Mobilisierungen gegen die Bürgerblockregierung teilzunehmen und ein revolutionäres Programm zu propagieren. Jetzt ist aber auch die Zeit gekommen, um durch Schulung und theoretische Arbeit neue Kader für die bevorstehenden Konfrontationen heranzubilden. Der Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiter_innenpartei als Teil einer revolutionären Arbeiter_inneninternationale ist dringlicher denn je – er setzt bewusste, geschulte revolutionäre Kämpfer_innen voraus.

Wir laden alle interessierten Kolleg_innen und Genoss_innen ein, an den Treffen der Gruppe KLASSENKAMPF teilzunehmen und von unserem Schulungsangebot Gebrauch zu machen und sich an unserer propagandistischen Arbeit zu beteiligen. “Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals getrennt vom und außerhalb vom selbständigen politischen und besonders revolutionären Kampfe der Masse selbst geschehen. Erst der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf gibt ihr das Maß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, stählt ihren Willen”, erläuterte der russische Revolutionär W.I. Lenin im Jänner 1917 bei einem Rückblick auf die gescheiterte Revolution von 1905. 10 Monate späte siegte in Russland die proletarische Revolution.