Skandal! Hat da wer Skandal gesagt?

Glaubt man der Oppositions-SPÖ, ist der Staat in Gefahr, weil derzeit niemand an der Spitze des Geheimdienstes da ist, der uns vor den Terroristen schützt; glaubt man den NEOS, wird bei Geheimdiensten und Polizei umgefärbt, dass es nur so vom blauen Pinsel tropft; glaubt man Vizekanzler H. C. Strache, wucherte ausgerechnet im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ein “Staat im Staat”. Glaubt man Peter Pilz, der die “causa prima” als Sprungbrett zurück in den Nationalrat sieht, wird’s Zeit, dass wir endlich wieder eine so richtig demokratische Staatspolizei bekommen.  Am besten glaubt man dem Bundeskanzler, der sagt nämlich wie immer nichts …

Gehen wir die “Staatsaffäre BVT” einmal ein bisschen anders an.

Erstens – das Umfärben. Seien wir doch ganz ehrlich – wer kann sich darüber wirklich erregen? In der bürgerlichen Demokratie ist es eine der Grundregeln, dass nach jedem Regierungswechsel die herrschende bürgerliche Fraktion (oder die ihre Geschäfte führende sozialdemokratische) versucht, so schnell wie möglich alle Schlüsselpositionen im Staatsapparat mit eigenen Parteigängern oder zumindest neutralen Karrieristen zu besetzen. Was die FPÖ aufführt, ist also business as usual – die Besonderheit ist nur, dass sie besonders zwielichtige Gestalten ausbuddelt und in Ministerien und Aufsichtsräte bugsiert. Aber auch das ist jetzt kein großer Heuler, sondern einfach dem Charakter dieser Partei geschuldet.

Zweitens – ein tüchtiger Beamter, immerhin vom HBP bestallt (nein, wirklich, bestallt, obwohl er nicht zur Reiterei des Herrn Kickl gehört, das heißt im österreichischen Amtsdeutsch tatsächlich so), wird von “seinem” Minister mehr oder minder elegant abserviert. Ja, es geht um Peter Gridling, den Direktor des BVT. Ja, Kickl hat Gridling auf dem Kieker – und da sind wir bei der Umfärbung. Das Pikante an der “Staatsaffäre”, die am 28. Februar 2018 mittels Hausdurchsuchungen in der Zentrale des BVT und in den Privatwohnungen von führenden Staatsschützern losgetreten war ist die Tatsache, dass Gridling ein bekannter und bekennender Parteigänger der nunmehr türkisen ÖVP ist. Die beinahe schon mit öffentlichem Zungenkuss beschworene Pakttreue zwischen Basti Kurz und H. C. Strache endet dort, wo es um Posten geht.

Ehrlich gesagt interessiert uns weder, ob hier Staatsanwälte, Ministerialbürokraten oder Minister die letzten Anweisungen gegeben haben; es ist für uns auch nicht wirklich interessant, wer wem nordkoreanische Reisepässe nachgeschmissen hat; oder ob Daten betreffend Dr. Lansky und die Alijew-Affäre gelöscht wurden oder nicht.

Wir misstrauen den Repressivkräften des bürgerlichen Staates prinzipiell, und ganz besonders lehnen wir seine geheimen Dienste ab, die immer in der Geschichte in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung (und zwar nicht nur die revolutionäre, sondern sogar die reformistische) gearbeitet haben. Wir glauben nicht, dass irgendwelche Spitzeldateien tatsächlich gelöscht werden, bloß, weil das in irgendeinem Gesetz oder Verordnungsblatt steht. BVT und Heeresnachrichtenamt – das sind die Experten, die im Vizekanzler-Büro die angebliche Wanze gefunden hatten, die sich als alte Lautsprecheranlage entpuppte – sind zugleich wesentliche Instrumente der imperialistischen Politik der österreichischen herrschenden Klasse. Schon in den 50er Jahren war Österreich mit Radarlauschposten im Auftrag der NATO an der Überwachung des osteuropäischen Luftraums beteiligt, heute sammelt das HNA im Ausland Informationen, die laut Verteidigungsministerium “Grundlage für strategisch wichtige Entscheidungen der obersten politischen und militärischen Führung in Österreich” sind. Die angeblichen Instrumente zu Bewahrung der Demokratie sind also in Wahrheit Instrumente der Überwachung und Kriegstreiberei.

So gesehen war es wohl eine lehrreiche Erfahrung für die Schlapphüte von ÖVP-Gnaden, als die fröhlichen Herren der Einsatzgruppe Straßenkriminalität bei ihnen eintraten (und zwar die Türen), aber kein Glück mitbrachten, sondern den FPÖ-Gemeinderat Oberst Wolfgang Preiszler, der auf Facebook wenig Berührungsängste gegenüber Reichsbürgern und faschistischen Verschwörungstheoretikern hat.

„Jawoll, Herr Minister! Alles unter Kontrolle, keine Daten gelöscht!“

Nein, wir teilen die Sorge von Herrn Kern (SPÖ) nicht, dass jetzt plötzlich der Terrorismus über uns hereinbrechen wird, weil Herr Gridling suspendiert wurde; nein, wir glauben nicht, dass jetzt plötzlich die Überwachung von “Extremisten” eingestellt wird – vielmehr wird folgendes geschehen:

Die FPÖ wird alles daran setzen, einen ihr genehmen Direktor des BVT einzusetzen (Gert-René Polli, Ex-BVT-Direktor, privater Sicherheitsberater, unter anderem in der demokratischen [?] Ukraine scharrt schon mit den unberittenen Hufen). Dass die Intensität der Überwachung “extremistischer” Umtriebe eine deutliche Verlagerung von rechts nach links durchmachen wird, wird ebenfalls nicht überraschend sein. Wobei allerdings klargestellt werden muss: Hätten sich die österreichische Naziszene und ihre halbfaschistischen Sympathisanten nicht viel zu auffällig, frech und provokativ gebärdet, hätte das BVT wohl auch etwas zurückhaltender auf die “Szene” reagiert. Wer in aller Öffentlichkeit den braunen Kraftmeier mimt, muss (immer noch) mit mehr oder minder raschen Konsequenzen rechnen.

Die SPÖ, und wir sagen es immer und immer wieder, hat als vollständig  in den bürgerlichen Staat integrierte Partei mit Wurzeln in der Arbeiterbewegung alles getan, um den Werktätigen, den Arbeitslosen, der Jugend diesen Staat als die beste aller sozialpartnerschaftlichen Welten zu verkaufen. Sie hat alles getan, um den Staatsapparat zu ölen und reibungslos laufen zu lassen. Dementsprechend hat sie ohne jeden ernsthaften Widerstand in den letzten Koalitionen Schlüsselministerien wie Inneres oder Finanzen in die Hände der Bourgeoisie gelegt.

Eine wirkliche Analyse dessen, was hier passiert – nämlich ein Machtkampf zwischen verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Fraktionen – ist von ihr nicht zu erwarten.

Als Revolutionäre ist es nicht unsere Aufgabe, Herrn Gridling gegen die Machtgelüste des verhinderten Reitergenerals Kickl zu verteidigen. Wir wollen keinen “demokratischeren” Geheimdienst – wir wollen gar keinen Geheimdienst!

Die schwarz-blaue Regierung bastelt an einem “Sicherheitspaket”, mit Bundestrojanern, Aufweichung des Briefgeheimnisses, erweiterten Polizeibefugnissen, Verschärfungen des “Fremdenrechts”, Blitzabschiebungen usw.. Verkauft wird all das unter dem Deckmantel, man könne nur so die Bevölkerung vor dem Terrorismus schützen. Dass die Bourgeoisie und ihre Parteien in Wirklichkeit in fast 200 jährigen Kämpfen errungene demokratische Freiheiten zerstört, blenden die Blender am Ballhausplatz aus.

Diese gesamte Dynamik muss bekämpft werden, das geht aber nur, wenn wir geduldig und immer wieder erklären, was der Staat ist: Ein Instrument zur Unterdrückung einer Klasse durch die andere, eine Ansammlung von “Formationen bewaffneter Menschen und ihrer materiellen Anhängsel” wie Gerichte und Gefängnisse.

Bedauerlicherweise wird gerade in einer Situation, in der die österreichische Arbeiterklasse durch Jahrzehnte sozialdemokratischer Klassenkollaboration besonders demoralisiert und entwaffnet ist immer offensichtlicher, dass die marxistische Analyse des Staates und der kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor gültig ist. Dementsprechend werden wir alles unternehmen müssen, um durch theoretische Schulung und praktische Aktion den arbeitenden Menschen den Weg zu weisen, wie dieses perfide Regime beseitigt werden kann.