Regierungskrise: Es gibt keine bürgerliche Lösung!

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Mit den Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale, dem Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium und Privatwohnungen von Kurz-Vertrauten am 6. Oktober 2021 auf Anordnung der WKStA ist die Krise der türkisgrünen Regierung offen aufgebrochen.

Seit langem warnen wir von der Gruppe KLASSENKAMPF die Lohnabhängigen davor, auf das Spiel bürgerlicher und sozialdemokratischer “Politexpert*innen”, Parteisprecher*innen und der Medien hereinzufallen, Politik an den Maßstäben des Strafgesetzbuches zu messen. Jeder Korruptionsfall, jeder Ämterkauf, jeder Gesetzeskauf werden so zu persönlichen Verfehlungen gemacht. Diejenigen, die hinter solchen formalen Gesetzesbrüchen stecken, kommen in der Regel ungeschoren davon, weil sie ihre Hände in Unschuld waschen bzw. nie schriftliche Anweisungen gegeben haben, die eine (personenbezogene) Verantwortung beweisbar machen. In unserer Zeitung KLASSENKAMPF und auf unserer Homepage haben wir erst vor Kurzem einen entsprechenden Text veröffentlicht (“Korruption gehört zum System”).

Spannend an den 104 Seiten der Begründung für den Durchsuchungsbefehl (https://we.tl/t-b8Vj4gMpfs, https://we.tl/t-OtXULo5Yqp) ist nicht die Auflistung der strafrechtlich relevanten Anschuldigungen (klar, hier gilt die Unschuldsvermutung :-)!) – Bestechung von Meinungsforschungsinstituten, illegale Finanzierung von Inseraten in Boulevardmedien des Fellner-Konzerns, Fälschung von Umfrageergebnissen etc. – spannend ist das Gesamtbild und die Schlussfolgerung der Staatsanwält*innen: “Sebastian Kurz ist die zentrale Person: sämtliche Tathandlungen werden primär in seinem Interesse begangen”.

Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch: Der aufhaltsame Aufstieg des Sebastian K. beginnt schon lange vor dem ÖVP-internen Putsch, mit dem im Mai 2017 Reinhold Mitterlehner, Bundesparteiobmann und Vizekanzler der großen Koalition, kaltgestellt (?) beseitigt wurde. Damit wurde der Weg für Kurz und seine Clique frei gemacht. Das Ziel der reaktionären und ideologisch – zu allererst durch den Hass auf alles, was nur im weitesten Sinne “sozialistisch” ist, – zusammengehaltenen Geheimfraktion war nicht nur die Machtergreifung in der ÖVP, sondern vor allem die Machtergreifung im Staat.

Alle Mittel wurden diesem Ziel untergeordnet. Daher:

  • getürk(is)te Meinungsumfragen;
  • unverschämte Lügen gegenüber der Bevölkerung;
  • Suche nach Finanzierungsmitteln, egal welcher Art;

und dann, nachdem man den sozialdemokratischen Partner in der Koalition ebenfalls ausgeschaltet hatte –

  • ein Wahlkampf, bei dem die Kurz-Bande ganz bewusst die gesetzlich gedeckelten Wahlkampfkosten fast um das Doppelte, rund 6 Millionen Euro, überschritten hatte und durch manipulierte Umfragen und lancierte Jubelartikel in Boulevardblättern und deren TV-Sendern einen “Wahlsieg” einfuhr, den man in anderen bürgerlichen Staaten wohl als “Wahlbetrug” bezeichnet hätte.

Mit dem blauen Koalitionspartner ging es dann an den Umbau der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie, wie sie bisher bekannt war. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, jetzt “Guru” der Impffreiheitskämpfer, bekam freie Hand für Hetze und Schikanen gegen Migrant*innen; die Sozialversicherungen wurden in die Hände der Kapitalistenverbände überführt. Ein Herr Blümel spazierte in türkisen Socken vor den Rängen des Nationalrats auf und ab, während sein Herr Sebastian Kurz am Handy spielte (fast genauso intensiv wie sein Vizekanzler H.C. Strache).

Als die blau-türkise Zweckpartnerschaft 2019 skandalerschüttert in die Brüche ging – unter größter moralischer Empörung des türkisen Heilands – wurden die Karten neu gemischt. Vor allem ging es darum, das Innenministerium und damit die Exekutive wieder fest in den Griff der Kanzlerpartei zu bekommen. Auf Kickl folgte der an Zentimetern größere und scheinbar kultiviertere Ex-Leutnant Nehammer, der mit seinen autoritären Polizeibefugnisträumen der perfekte Flügeladjutant des Kanzlers wurde.

Als Treppenwitz der jüngeren österreichischen Geschichte schlossen Kurz & Co. mit den Grünen ein Regierungsbündnis. Die von ihrer Geburt an kleinbürgerliche Partei, die sich längst von den radikalen Umweltkriegern ihrer Gründerzeit getrennt hatte und mehr und mehr zur Partei der städtischen Bobos geworden war, ließ sich für ein paar Ministerposten mit vagen Versprechungen über eine “ökologischere” Politik abspeisen. Man kann sich vorstellen, wie die Herren Kurz, Bonelli, Schmid und Fleischmann schenkelklopfend und lachend am Regierungstisch saßen: “Bei allem Respekt: erst hamma den Mitterlehner abgestochen, dann den Kern, dann den Strache und jetzt demolieren wir die Grünen”.

Warum hat die SPÖ bei all dem zugesehen, warum nicht einmal im Rahmen des bestehenden bürgerlichen Systems eine ernsthafte parlamentarische Oppositionspolitik betrieben? Weil sie selbst über Jahrzehnte in Form der “Sozialpartnerschaft” die Verteidigerin von Bündnissen mit der Hauptpartei der herrschenden Klasse in Österreich war. Tatsache ist, dass, wer ausschließlich in Kategorien von Wahlen und Ausschüssen denkt, das Kämpfen verlernt. Von einer politischen Fokussierung auf die Lohnabhängigen, der sozialen Randgruppen, der Jugend u.a. reden wir erst gar nicht. Wenn nur die (Wähler-)Stimme zählt, dann werden grundsätzliche Interessen, Bedürfnisse, Nöte gerne vergessen. Der Unterschied sind dann nur die Methoden, mit denen die Politik exekutiert wird.

Wer heute den Rücktritt Kurz’ oder der ganzen Regierung wegen “Korruption” fordert, begibt sich genau auf die schiefe Ebene zu glauben, dass das kapitalistische System “moralisch” zu retten sei. In ihrer Verzweiflung basteln die bürgerlichen Kreise schon an neuen “Lösungen”, bei denen die arbeitende und arbeitslose Bevölkerung wieder die Verliererin sein wird. Wenn plötzlich NEOS-Chefin Meinl-Reisinger im Mittelpunkt des Interesses steht, weil sie eine “Vier-Parteien-Koalition” aus NEOS, Grünen, SPÖ und FPÖ vorschlägt und offenbar Politiker*innen dieser Parteien ernsthaft darüber nachdenken, sollten alle Alarmglocken stürmisch läuten!

Ja, diese Regierung muss fallen, aber wegen ihrer arbeiter*innenfeindlichen, asozialen Politik. Wegen des Plans einer Steuerreform, der eine Verschärfung der Umverteilung von unten nach oben bringen soll. Wegen ihrer höhnischen Ignoranz der Grundbedürfnisse der arbeitenden Menschen – weniger Geld für Spitäler, keine Maßnahmen gegen die Pflegekrise, dafür unerhört einfallsreiche Ideen, wie man Arbeitssuchende noch wirksamer demütigen und schikanieren kann.

  • Weg mit Kurz und Kogler!
  • SPÖ, ÖGB – brecht mit den Kapitalist*innen! Für eine Regierung, die den Interessen der Werktätigen und nicht den Kapitalist*innen und Tourismusmanager*innen verant-wortlich ist!
  • Wer sich vor dem Sozialismus fürchtet, kann nicht vorwärts gehen!

Gruppe KLASSENKAMPF, 7.10.2021