Die Wahlschlacht um Wien ist geschlagen. Wobei die Schlacht in diesem Jahr eher einem müden Scharmützel geglichen hat. Abgesehen von der Volkspartei sind alle anderen im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien mehr oder minder zufrieden bzw. proklamieren sich selbst zu Siegern.
Die SPÖ freut sich über 39,4 % der Stimmen, 2020 waren es noch 41,6 %. Die Freiheitlichen kommen auf 20,4 nach 7,1 %. Die Grünen konnten mit 14,5 % fast ihr prozentuelles Ergebnis von 2015 (14,8) halten, während sich NEOS von 7,5 % (2015) auf 10 % steigern konnten. Die ÖVP wurde mit einem Stimmenanteil von 9,7 % um 10,8 Prozent (20,5 bei den letzten Wahlen) zurückgestutzt. Die KPÖ erzielte im Bündnis mit LINKS 4% – darauf gehen wir weiter unten detaillierter ein.
Was sich in Prozenten noch ganz gut macht, wird aber ziemlich desaströs, wenn man in absoluten Wählerstimmen rechnet:
Jahr | Wahlberechtigte | Abgegebene Stimmen | Wahlbeteiligung |
---|---|---|---|
2015 | 1.143.045 | 854.406 | 74,75 % |
2020 | 1.133.010 | 739.485 | 65,27 % |
2025 | 1.109.936 | 696.345 | 62,7 % |
Wenn wir die Veränderungen der Stimmen (absolute Zahlen) über die letzten zwei Wahlperioden vergleichen, ergibt sich ein Bild, das weit von den triumphierenden Aussagen der Parteifunktionäre abweicht.
Partei | Stimmen 2015 | Stimmen 2020 | Stimmen 2025 | Veränderung 2015–2025 |
---|---|---|---|---|
SPÖ | 329.773 | 301.967 | 268.514 | −61.259 |
FPÖ | 256.451 | 51.603 | 138.761 | −117.690 |
ÖVP | 76.959 | 148.238 | 65.820 | −11.139 |
GRÜNE | 98.626 | 107.397 | 98.995 | +369 |
NEOS | 51.305 | 54.173 | 68.152 | +16.847 |
KPÖ+LINKS | 8.937 | 17.919 | 27.700 | +18.763 |
Wenn man von der Zahl der Wahlberechtigten absieht, sondern die gesamte Bevölkerung betrachtet, ergibt sich folgendes Bild: Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2025 waren 611.000 Personen im wahlfähigen Alter (über 16 Jahre) nicht wahlberechtigt, da sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Dies entspricht 35,6 % der Wiener Bevölkerung im Wahlalter.
Von diesen 611.000 Personen sind etwa 264.776 nicht-österreichische EU-Bürger*innen, die zwar an den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen dürfen, jedoch nicht an der Gemeinderatswahl, da der Wiener Gemeinderat gleichzeitig als Landtag fungiert, dessen Wahl gemäß der österreichischen Bundesverfassung nur österreichischen Staatsbürger*innen vorbehalten ist. Die verbleibenden rund 346.000 Personen sind Drittstaatsangehörige, die weder bei der Gemeinderatswahl noch bei den Bezirksvertretungswahlen wahlberechtigt sind.
In einigen Wiener Bezirken ist der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten besonders hoch: etwa in Rudolfsheim-Fünfhaus mit 45,9 %, der Brigittenau mit 44,4 % oder Favoriten mit 44,2 %.
Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist also von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Organisationen wie SOS Mitmensch warnen davor, dass sich Wien auf dem Weg zu einer „halben Demokratie“ befinde, und fordern Maßnahmen zur Erleichterung der Einbürgerung und zur Ausweitung des Wahlrechts.
Die Wiener Wahlen 2020 waren aus mehreren Gründen „Ausreißer“:die ÖVP profitierte vom „Kurz-Effekt“, während die FPÖ durch den Ibiza-Skandal im Keller war. Auch die SPÖ verlor moderat im Vergleich zu 2015, während NEOS, Grüne und KPÖ/Links zulegen konnten.
Was also sind die Lehren aus den Gemeinderatswahlen?
Die relative Stabilisierung der SPÖ in ihrer Führungsrolle ist vor allem ihrer historischen Verankerung in der Stadt und der Schwäche ihrer bürgerlichen Konkurrenten geschuldet. Ihre Kommunalpolitik zeigt deutlich den Unterschied zwischen einer bürgerlichen Arbeiter*innenpartei und den klassischen bürgerlichen Parteien. Die SPÖ reagiert defensiv auf politische Veränderungen. Sie bemüht sich dabei, ihre Stammwählerschichten nicht frontal anzugreifen. Klarerweise macht sie eine bürgerliche Kommunalpolitik, die dem Privatkapital und seinen Interessen dient. Solange die finanziellen Mittel der Gemeinde reichen, werden aber durchaus positive Einzelmaßnahmen (Verbesserungen an der Verkehrsinfrastruktur, Aufrechterhaltung öffentlicher Dienstleistungen wie Wasserversorgung und Müllentsorgung…) umgesetzt, die in europäischen Städten mit bürgerlichen Verwaltungen erbarmungslos gekürzt wurden und werden. Die Abhängigkeit auch einer großen Gemeinde von der Bundesregierung und deren wirtschaftlichen Maßnahmen wird aber die SPÖ-Stadtverwaltung deutlich unter Zugzwang bringen, weil das Budgetdefizit der Republik die Koalition zu einem harten Sparkurs zwingen wird – und das mit einem sozialdemokratischen Finanzminister.
Die FPÖ, die sich als Herausforderin der SPÖ gebärdet, hat inhaltlich nichts zu bieten. Ihr Mantra von den „Asylmillionen“ täuscht nur oberflächlich darüber hinweg, dass die Freiheitlichen nichts anderes tun als Ängste und Unsicherheiten zu schüren und in nationalistische und rassistische Bahnen zu lenken. Die Ausländerfeindlichkeit der FPÖ müsste ein schallendes Alarmsignal in der organisierten Arbeiter*innenbewegung und vor allem bei den Gewerkschaften auslösen. Wie oben ausgeführt: gut 35 Prozent der Wiener Bevölkerung im Wahlalter sind vom Wahlrecht ausgeschlossen – sie sind genau die Zielgruppe, gegen die sich die dumpfe Xenophobie der Nepp, Krauss und Co (mit Hilfe Vilimskys und Kickls) richtet. Anders ausgedrückt: wir haben es mit einer faschistoiden Partei zu tun, die ein Drittel der Bevölkerung, davon mit Sicherheit ein Großteil lohnabhängig, ausgrenzen und rechtlos halten will. Plakativ gesprochen: einem Drittel der menschlichen Arbeitskraft in Wien wird nicht nur politische Mitsprache verwehrt, dieses Drittel wird auch zum Sündenbock für alle Defizite eines profitorientierten Wirtschaftssystems erklärt.
Die ÖVP, die im „roten Wien“ (auch als das rot immer mehr zum Rosa verblasste) traditionell aufgrund ihrer Herkunft aus dem austrofaschistischen Lager ungeliebt war und ist, wurde bei dieser Wahl wieder auf ihr Stammklientel zurückgestutzt. Im städtischen Rahmen steht eine bürgerliche Partei, die ihre Basis bundesweit bei der ländlichen Bevölkerung findet, auf verlorenem Posten. Der Versuch, mit dem „Sicherheitsthema“ und der Begeisterung fürs Autofahren zu punkten, war für die Herrschaften in der Lichtenfelsgasse zwar etwas erfolgreicher als für H.C. Strache, der ins selbe Horn stieß. Aber bürgerliche Schichten, die versuchen, endlich im 21. Jahrhundert anzukommen fühlen sich bei NEOS deutlich besser aufgehoben als bei der altbackenen Volkspartei. Die NEOS gehören daher auch zu den „Nettogewinnern“ der letzten Wahlgänge.
Ebenfalls stabil konnten sich die Grünen in Wien halten. Obwohl nach den Wahlen 2020 SP-Bürgermeister Ludwig den Koalitionswechsel von der Ökopartei zu den NEOS vollzog, hat sich das auf die Partei keineswegs besonders negativ ausgewirkt. Ein Indiz dafür, dass trotz der Ignoranz der SPÖ und der anderen bürgerlichen Parteien in Umweltfragen eine kompakte Minderheit beharrlich mit dieser Problematik beschäftigt.Das ist ein klarer Auftrag an die Arbeiter*innenorganisationen, dieses Thema nicht nur aufzugreifen, sondern auch klassenpolitische Antworten zu formulieren. Dazu ist natürlich die bürgerliche Arbeiter*innenpartei SPÖ nicht imstande – alle Maßnahmen, die tatsächlich auf einen Kampf gegen die Umweltzerstörung hinauslaufen, müssen zwangsläufig mit den Profitinteressen des Kapitals kollidieren.
Der „Elefant im linken Raum“ war natürlich die Listengemeinschaft KPÖ und LINKS. Mit fast 28.000 Stimmen für eine Liste „links von der SPÖ“ hat sich auch in Wien ein Trend fortgesetzt, der sich schon in Graz, der Stadt Salzburg und, in Maßen, in Innsbruck gezeigt hat.
Wir haben vor den Wahlen keine privilegierte Empfehlung zur Wahl für diese Liste abgegeben, weil sie – trotz einiger unterstützenswerter Forderungen – fest auf reformistischem Boden steht und keine sozialistische Perspektive anbietet. Trotzdem drückt der Erfolg der KPÖ, auch wenn ihr der Einzug in den Gemeinderat nicht gelungen ist, in einer gebrochenen Form eine positive Opposition zur sozialdemokratischen Politik aus. Es ist aber bezeichnend, dass das Gros der Stimmen (neben den traditionellen KPÖ-Stammwähler*innen) von den Grünen und LINKS stammt und kaum eine Wählerabwanderung von der SPÖ stattgefunden hat.
Die Wahl zeigt die tiefe politische Krise der Arbeiter*innenbewegung: Die SPÖ kann der Arbeiter*innenklasse keine echte Perspektive gegen soziale Unsicherheit, steigende Mieten und Reallohnverluste bieten. Allerdings reicht es offenbar bereits, dass die Sozialdemokratie eine „Verwaltung der kapitalistischen Misere mit menschlichem Antlitz“ verspricht (außer, man hat Pech und ist Migrant*in). Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass reaktionäre Kräfte wie die FPÖ weiter an Boden gewinnen, indem sie soziale Verzweiflung für eine nationalistische Offensive instrumentalisieren.
Die Wahlbeteiligung und die Wählerwanderungen machen deutlich: Ein wachsender Teil der Arbeiter*innenklasse sieht keine Vertretung ihrer Interessen mehr im bestehenden Parteiensystem – er bleibt entweder der Wahl fern oder wählt aus Protest die FPÖ.
Die zentrale Aufgabe wird es daher sein müssen, den Kampf für die Schaffung des Klassenbewusstseins der Arbeiter*innen zu intensivieren. Es braucht eine revolutionäre, klassenkämpferische Partei, die offen gegen Kapitalismus, Nationalismus und Reformismus auftritt. Das bedeutet in Wien konkret den Kampf für die Einheit der lohnabhängigen Bevölkerung, ohne Rücksicht auf „Staatsbürgerschaft“ oder sonstige administrativen Hürden. Wer hier lebt und wer hier ausgebeutet wird, soll hier auch politisch aktiv werden können, ohne jede Einschränkung. Ohne den Wiederaufbau einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung, die dem Chauvinismus der Nationalisten entgegentritt, und der Perspektive der sozialistischen Revolution droht der Vormarsch reaktionärer und faschistoider Kräfte weiterzugehen.