Noch “F”? Schon Identitär? Blaue Identität – es wächst zusammen, was zusammen gehört

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Der folgende Artikel wurde vor dem Sommergespräch mit Herbert Kickl und vor der Veröffentlichung des Propaganda-Videos des RFJ geschrieben!

Terror und…

Als die FPÖ noch in der Regierung mit Sebastian Kurz war und das Ibiza-Video knapp vor der Veröffentlichung stand, verübte ein aus Australien stammender Rechtsextremist im März 2019 in Neuseeland einen Terroranschlag auf zwei Moscheen, der mehr als 50 Tote und ebenso viele teils schwer Verletzte forderte.

Der Attentäter berief sich wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik auf rechtsextreme und islamfeindliche Theorien, insbesondere auf den „Großen Austausch“. Darunter verstehen Neonazis und „Neue Rechte“ einen angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch der weißen Europäer durch Muslime und eine Islamisierung Europas. Immer wird allerdings auch der Kampf gegen den „Kulturmarxismus“ propagiert und war nicht zufällig gerade ein Jugendlager der sozialdemokratischen Arbeiter*innen Partei Norwegens Ziel des norwegischen Attentäters.

Das Attentat in Neuseeland hatte Auswirkungen auf die Innenpolitik in Österreich in jenem Frühjahr 2019 und das hatte folgenden Hintergrund:

Es wurde bekannt, dass Martin Sellner, Frontmann der IBÖ (Identitäre Bewegung Österreichs), mit dem Attentäter von Neuseeland in Kontakt war, dieser auch zu Besuch in Wien gewesen war, dass aber jedenfalls € 1.500,– von ihm an Martin Sellner gespendet wurden. Das führte zu einer Hausdurchsuchung bei Sellner und einer öffentlichen Diskussion in Österreich, die zur Folge hatte, dass Saubermann Sebastian Kurz seinen damaligen Koalitionspartner FPÖ aufforderte, sich von der IBÖ zu distanzieren.

Identitäre

Die IBÖ wurde 2012 als „Wiens Identitäre Richtung“ gegründet und unterhält eine Reihe von Vereinen, wurde aber letztlich unter dem Label „Identitäre“ bekannt. Mittlerweile hat sich die Gruppe in „Die Österreicher“ mit der Abkürzung DO5 umbenannt, wobei hier auf die legendäre Widerstandsgruppe O5 im Österreich des Nationalsozialismus Bezug genommen werden soll. O5 wurde vom ehemaligen Propagandaleiter der austrofaschistischen Vaterländischen Front Hans Becker initiiert und versuchte zwischen 1940 bis 1944 in erster Linie die monarchistischen und austrofaschistischen Hitlergegner zu sammeln. Erst später wurde versucht, die Bewegung Richtung Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen zu öffnen. Ideologische Grundlage war ein starker Österreichpatriotismus. Die Bezugnahme auf das Kürzel O5 fügt sich nahtlos in die identitären Bestrebungen ein, unter dem Codenamen “Patriotismus” alle faschistischen Kräfte, egal welcher Herkunft, zu sammeln. In deutschen Neonazikreisen wurde das übel aufgenommen – rotweißrote Fahnen statt der “Reichsfahne” wurde als Verrat interpretiert. Dass es sich dabei nur um des Sellners neue Kleider handelt, wurde offenbar nicht verstanden. Die IBÖ trat in den 2010er Jahren hauptsächlich mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung, die sich gegen Geflüchtete und sie unterstützende Organisationen richtete (afro-amerikanischer Tanzworkshop, von Geflüchteten besetzte Wiener Votivkirche, Audimax-Bühne, Burgtheater, Kampagne gegen Seenotrettung).

Der eigentliche Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich („Bloc identitaire“) und wurde 2002 als Nachfolgeorganisation der rechtsextremistischen „Unite radicale“ begründet, die nach einem Attentat auf Präsidenten Chirac verboten worden war. Beeinflusst wurde die IB von Anfang an auch von der italienischen neofaschistischen „Casa-Pound-Bewegung“.

Die Identitären versuchen sich durch eine vordergründig unverfängliche Sprache, durch ein modernes, zeitgemäßes Auftreten von den früheren plump auftretenden Neonazis abzuheben und so in der Gesellschaft bestehende negative Gefühle gegenüber Rechtsextremen zu überwinden und eine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu erreichen. Sie stellen sich in eine ideologische Reihe mit der antidemokratischen, von bürgerlichen Intellektuellen und Akademikern getragenen „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik.

Ideologisch ist Kern der identitären Botschaft der sogenannte Ethnopluralismus, der von einer biologisch begründeten Einheitlichkeit einer Volks- und Abstammungsgemeinschaft ausgeht und eine kulturelle Reinhaltung der Gesellschaft von äußeren Einflüssen anstrebt, die als fremd oder feindlich definiert werden. Jedes Volk habe einen eigenen Charakter, der gegen Bedrohungen und Vermischungen zu schützen sei, wobei eine Entwicklung des „Stammvolkes“ oder der Zugewanderten ausgeschlossen wird – Geburt in eine Gemeinschaft legt die Zugehörigkeit für immer fest. Dabei vermeiden die Identitären den Begriff „Rasse“, wobei in der Rassismusforschung in diesem Zusammenhang von einem „Rassismus ohne Rassen“ gesprochen wird. Bei den Nationalsozialisten hieß das: „Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“

Die IB lehnt die repräsentative Demokratie ab und möchte einen „Starken Mann“ an der Spitze einer homogenen, ethnisch reinen Volksgemeinschaft. Auch hier gehen die Traditionen auf die rechtskonservative Ideologie der Weimarer Republik zurück und sind Ernst Jünger oder Carl Schmitt geradezu intellektuelle Ikonen der IB.

Universelle Menschenrechte werden von den Identitären abgelehnt, laut Martin Sellner ist der Sammelbegriff „Mensch“ in seiner identitären Bedeutsamkeit nur für die jeweiligen Völker angebracht.

Zentral für die identitäre Propaganda ist der „Große Austausch“ (siehe Attentate in Norwegen und Neuseeland), wonach derzeit mit dem Mittel der Migration die europäische Bevölkerung gegen eine nichteuropäische ausgetauscht werden soll, die im Wesentlichen aus Kriminellen und Sozialleistungserschleichern besteht.

Die intellektuelle Oberfläche der IB ist durchaus brüchig, wie zum Einen die Anti-Coronademos gezeigt haben, wo es durchaus zum Zusammenschluss mit deklarierten Neonazis wie auch mit Hooligans der rechten Fußballanhängerschaft gekommen ist, und zum Anderen gehören zur IB regelmäßige Sommercampangebote, wo Boxen und Kickboxen trainiert wird.

Die Vernetzung in Neonazikreise, in Kreise der rechtsextremen politischen Parteien, in die rechte Publizistik ist evident und es gibt vielfältige persönliche Überschneidungen.

Zusammenfassend der österreichische Verfassungsschutz: „Die Distanzierung vom Neonazismus in öffentlichen Statements ist als taktisches Manöver zu werten, da sich in den Reihen der Bewegungseliten amtsbekannte Neonazis befinden und Kontakte in andere rechtsextremistische Szenebereiche bestehen.“

Politik

Im Frühjahr 2019 also forderte Sebastian Kurz eine Distanzierung der FPÖ von der IB, zwischen denen bis dahin offensichtliche Berührungspunkte in personeller oder unterstützender Hinsicht bestanden hatten.

Tatsächlich gab der damalige Parteichef der FPÖ, HC Strache, nach und schwor im März 2019 die Partei auf einem Landesparteitag auf eine strikte Abgrenzung von der Identitären Bewegung ein. Nach „Ibiza“ kam es zu einem Wechsel an der FPÖ-Spitze und Norbert Hofer übernahm die Partei. Auch er bekräftigte im September 2019: „Was extrem ist, soll keinen Platz haben. Bei den „Identitären“ ist es nachvollziehbar, dass die ein Wahnsinn sind.“ Es war dies der öffentliche Versuch eine Grenze zu zeigen, die es inhaltlich und personell ohnehin nie gab, zumal das Postulat man könne nicht Mitglied in der FPÖ und bei der IBÖ sein, mangels Mitgliedern bei der IBÖ ohnehin fadenscheinig war.

Doch mit der Machtübernahme in der FPÖ durch Herbert Kickl im Jahr 2021 änderte sich auch das verlautbarte Verhältnis der Partei zu den Identitären. Schon knapp vor seiner Wahl zum Parteiobmann gab Kickl die neue Linie vor: die IB sei so etwas wie eine rechte NGO, die diesen Namen auch verdient, weil sie kein Geld vom Staat bekomme und er lobte vor allem die Kampagne der Identitären gegen den 2018 beschlossenen UNO-Migrationspakt.

Kickl nutzte in weiterer Folge die Corona-Massnahmen der Regierung, um einmal auszutesten, wie erfolgreich man auch die Straßen mit hetzerischen Parolen erobern könne. Auch hier hatte er keine Berührungsängste mit mitmarschierenden Neonazis, Verschwörungstheoretikern oder den nunmehr als „Die Österreicher“ firmierenden Identitären.Blaue Identität

Eine wesentliche Rolle spielt die Jugendorganisation der FPÖ, der RFJ, beim Schulterschluss mit den Identitären. So stellte der RFJ 2022 eine Website mit dem bezeichnenden Namen „Bevölkerungsaustausch“ ins Netz, die „statistisch“ die Angst vor der „Umvolkung“ schüren soll. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz macht in der Öffentlichkeit der „neurechten“ Jugendorganisation nicht nur die Mauer, sondern tritt auch selbst auf Veranstaltungen mit Identitären auf.

Im Sommer 2023 spitzt sich das ideologisch Idente zwischen Identitären und der FPÖ weiter zu. Im Juli machte die IB im Rahmen ihrer „Remigrationstour“ ausgerechnet hinter der Wiener Oper vor dem „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ von Alfred Hrdlicka halt und hielt unter Führung von Martin Sellner eine Kundgebung ab, bei der nichts anderes als die Deportation von allen, die nicht hierher gehören gefordert wurde. Und Sellner bediente sich sogar des neuen ÖVP-Sprechs, indem er die zuhörende Menge als die „Normalen“ ansprach.

Dass die ÖVP, seitdem Gerald Fleischmann wieder für die Parteikommunikation verantwortlich ist, versucht FPÖ-Themen zu besetzen, um wie unter Sebastian Kurz den Wählerabfluss nach rechtsaußen abzudichten, ist die eine Seite. Die andere Seite bedeutet, dass die FPÖ immer offenkundiger das rechtsextreme Milieu bedient.

Dementsprechend trat der rechtsextreme Theoretiker Martin Semlitsch (Lichtmesz) im März dieses Jahres in der Bildungsakademie der FPÖ als Referent auf. Obmann der Parteijugend in Korneuburg wurde der IB-Aktivist Elias Schuch und bei der oben erwähnten Demo vor der Oper in Wien sprach neben Martin Sellner auch der Obmann der oberösterreichischen FP-Parteijugend, Silvio Hemmelmayr. Seine Aussage auf der Kundgebung kann als programmatische Drohung verstanden werden: „Wir haben heute hier einen Schulterschluss vollzogen, und dieser Schulterschluss wird erst der Anfang sein von etwas ganz, ganz Großem.“

Während die FPÖ-Führung in Wien rund um Parteichef Kickl, den Parteisekretären Hafenecker und Schnedlitz offensiv die Überschneidungen mit der IB verteidigt, dürfte dieser Kurs nicht in allen Länderorganisationen in der FPÖ unumstritten sein. Zuletzt ließ die FPÖ-Oberösterreich den Beschluss eines „Plans gegen Extremismus“ zu, nachdem in Oberösterreich bei Razzien Waffenarsenale, NS-Devotionalien und Kriegsmaterial gesichert wurden. Christian Hafenecker kritisierte die oberösterreichische Landesgruppe für diese Duldung und verkündete in „patriotischen Medien“, dass die Landesgruppe diesen Fehler korrigieren müsse. Es gibt in der FPÖ durchaus Stimmen, die nicht verstehen, weshalb Herbert Kickl die positiven Umfragewerte der FPÖ mit einem Radikalkurs aufs Spiel setzen will. Aber Kickl setzt offenbar auf den rechtsextremen Kurs des anything goes, weil die bürgerliche ÖVP immer weiter nach rechts rückt und damit der gesellschaftliche Diskurs schon so verschoben ist und weil er offenbar im Innersten faschistisch tickt. Ob diese Strategie aufgeht, wird auch an den der Bourgeoisie anhängenden Medien liegen. Werden diese den rechtsextremen Charakter der FPÖ deutlich machen, könnte das Kickls Ambitionen schaden. Es ist letztlich eine Auseinandersetzung einer durch die kurze Türkis-Ära radikalisierten ÖVP mit einer FPÖ, die dort steht, wo Haider und Strache sie verbal überspitzt positionierten, wo Kickl sie aber identitär haben will. Es geht letztlich um die Hegemonie in der verrotteten österreichischen Bourgeoisie.

Demgegenüber muss eine den 3. Weg verlassende und wenigstens reformistische Ansätze findende Babler-SPÖ eine konsequent antifaschistische und gleichzeitig antikapitalistische Positionierung einnehmen. Sie muss der Arbeiter*innenklasse egal welcher Herkunft und welchen Passes die Augen öffnen, dass ob ÖVP oder FPÖ, diese Parteien immer nur die Interessen des Kapitals vertreten und mit hetzerischen Argumenten dem Proletariat Sand in die Augen streuen. Ob das eine so tief mit dem kapitalistischen System und seinen Machtstrukturen verwobene bürgerliche Arbeiter*innenpartei machen wird, ist mehr als fraglich. Revolutionär würde die SPÖ dadurch ohnehin nicht – aber der Kampf gegen die faschistischen Tendenzen ist letzten Endes Selbstschutz auch für die Sozialdemokratie, wie die Geschichte tragisch gelehrt hat.

Welcher Sand in die Augen gestreut wird, zeigt die Kulturkampfpolitik der FPÖ in Niederösterreich unter Udo Landbauer, geduldet von der als Moslem-Mama punzierten Landeshauptfrau Mikl-Leitner: Verbot der gendergerechten Ausdrucksweise in der Verwaltung, Deutschpflicht am Schulhof, Schnitzelprämien für heimische Wirtshäuser; das Kapital hingegen und seine Ausbeutung der Arbeiter*innenschaft bleibt verschont. Das ist die Quintessenz der politischen Vertreterinnen der österreichischen Bourgeoisie, in Tradition der beiden Faschismen dieses Landes.

Leo Trotzki schrieb in einer Analyse des Nationalsozialismus 1933 dazu:

„Die Beibehaltung der gotischen Schrift im Gegensatz zur lateinischen ist eine symbolische Vergeltung für das Joch des Weltmarkts. Die Abhängigkeit von den internationalen Bankiers ist nicht um ein Jota gemildert, dafür ist es verboten, Tiere nach dem Talmudritual zu schlachten. Ist der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert, so sind die Straßen des Dritten Reiches mit Symbolen ausgelegt.“

Diesem Befund ist auch 90 Jahre später nichts hinzuzufügen.