Landtagswahl Bremen 2019: Linker Kotau vor grüner Bürgerlichkeit

Die gleichzeitig durchgeführten Landtags- und Bürgerschaftswahlen im 2-Städte-Bundesland Bremen kennt in der Stadt Bremen vier Sieger: die CDU mit 27,23% und – die neue Regierungskoalition aus den Wahlverlierern SPD (24,92%), Bündnis‘90/Die Grünen (17,56%;) und Die Linke (11,78%). Bei einer Gesamtwahlbeteiligung in der Stadt Bremen von 66,45% (394.110 Wahlberechtigte, davon 261.869 gültige abgegebene Stimmen) wurde schon in den ersten Tagen nach der Wahl klar, dass der Wahlsieger CDU nicht, wie ungeschriebene Regeln der bürgerlichen Demokratie es bisher nahelegten, die Koalitionsgespräche zu führen beginnt.

Wir beschränken uns hier auf die Stadt Bremen, weil die Ergebnisse in der zweiten Stadt des Bundeslandes Bremen, in Bremerhaven, nur unwesentlich anders ausgefallen sind und auf Landesebene umgerechnet nur eine unwesentliche Änderung bei den Prozentzahlen herbeiführen. Bei Interesse: Der SPD-Spitzenkandidat und bisherige Bürgermeister Bremens, Carsten Sieling, noch am Vorabend der Wahl mit 41% Zufriedenheitszuspruch unangefochten an der Sympathiespitze (Infratest-Umfrage vom 26.05.2019) wollte tagelang nicht die krachende Niederlage der SPD von fast 8 Prozent Verlust eingestehen und weiter Bürgermeister bleiben. Mit ihm ging die SPD in die Koalitionsgespräche. Nach deren Abschluss durfte er dann seinem Nachfolger Andreas Bovenschulte, gerade erst selbst zum neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt, weichen.

Ein Blick in die Wahlergebnisse in den Wahlbezirken der Stadt zeigt, dass die SPD in den traditionellen, noch nicht gentrifizierten Arbeiterstadtteilen die Mehrheit klar behielt. Weder Grüne noch Die Linke konnten hier wesentliche Stimmenzuwächse verzeichnen. Auch der Erfolg der AfD (6,1%) kann als Umgruppierung am rechten Rand verstanden werden: von der BiW (Bürger in Wut, nur noch 2,4%) zur AfD. Wichtig ist der große Anteil der Nichtwähler, in der sich die große Verdrossenheit vieler Menschen mit der herrschenden Politik ausdrückt.

Die Koalitionsverhandlungen wurden zügig geführt von den „heimlichen“ Wahlgewinnern, den Grünen. Der Koalitionsvertrag kam schnell zustande und überrascht vor allem durch die fehlende finanzielle Ausgestaltung der einzelnen angekündigten Maßnahmen. Dem „Wahlvolk“ wurde in bester Herrenmentalitätsmanier mit Absichtserklärungen für seine Kreuzchen-Beteiligung gedankt. Die eigentlichen Koalitionsverhandlungen werden im Herbst geführt. Dann muss der Doppelhaushalt für die Jahre 2020/2021 aufgestellt werden. Auch dieser Haushalt unterliegt der in der Landesverfassung verankerten Schulden- bremse. Die Zustimmung zu ihr stellte für die Grünen in den Koalitionsgesprächen mit der Linkspartei ein K.O.-Kriterium dar. Sie führt dazu, dass alle im Vertrag enthaltenen Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt sind. Die Führung der Linkspartei in Bremen hat sich schon zu diesem Zeitpunkt in vorauseilendem Gehorsam der kapitalistischen Haushaltsdisziplin, eisern in den vergangenen Jahren von der grünen Finanzsenatorin durchgesetzt, unterworfen, nur um selbst als „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ (Lenin) teilhaben zu können. Die Integration in das kapitalistische Wirtschafts- und Machtgefüge geht jedoch noch weiter. Als Wirtschaftssenatorin wurde die Spitzenkandidatin der Linkspartei, Kristina Vogt, gewählt. Das war ihr Herzenswunsch. Natürlich nicht der des Bremer Kapitals. Aber nach dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!“ erhält sie postwendend den Ritterschlag der Bremischen Unternehmensverbände.

„Ich habe keinen Zweifel, dass wir gut zusammenarbeiten werden… Ich schätze sie als Person uneingeschränkt. Die künftige Wirtschaftssenatorin ist pragmatisch und kann zuhören.“.
So Cornelius Neumann-Redlin im Weser-Kurier vom 09.08.2019. Auch die Vorsitzende des Verbands deutscher Unternehmerinnen Bremen-Weser-Ems, Birgit van Aken, gibt Entwarnung:
„Ich habe gemeinsam mit Bremer Unternehmerinnen Frau Vogt als eine sehr pragmatische und authentische Politikerin kennengelernt, die die Anliegen der Wirtschaft hört und versteht… Wir vertrauen daher darauf, dass die aktuelle Regierung im Sinne der Bürger und Unternehmen für einen wirtschaftsfreundlichen Rahmen sorgen wird.“ (Ebda.; )

Das Kapital braucht sich in Bremen also keine Sorgen zu machen. Auch die innerparteiliche Opposition der Linkspartei, vor allem repräsentiert von der Strömung „Antikapitalistische Linke (AKL)“, zu deren führenden Mitgliedern Ex-Stalinisten aus DKP und deren Studentenverband, MSB Spartakus, sowie aus der sich auf das politische Erbe Trotzkis und der IV. Internationalen berufenden SAV gehören, bleibt handzahm. Sie führte keinen in der Öffentlichkeit sichtbaren Kampf gegen eine Blassrosa-blassgrün-rosa-Koalition. Sie führte keinen Kampf für eine Regierung ohne bürgerliche Parteien, zu denen gehören: Bündnis‘90/Die Grünen (sie seien an erster Stelle genannt), CDU, FDP, AfD u.a.. Sie hat keinen öffentlich sichtbaren Kampf für ihre Forderungen geführt, die sie dann auf dem Sonderlandesparteitag am 04. Juli 2019 der Linkspartei Bremen zur Abstimmung stellte. Vielmehr vertraute sie ihm die Entscheidung über ihre politischen Forderungen an, ohne genau zu sagen, was sie selbst mit dem Forderungskatalog tun will im Falle einer Ablehnung. Der zu erwartende Ausgang (Ablehnung) trat dann auch ein. Mit 71% stimmte die Mehrheit dem Koalitionsvertrag zu. Die AKL machte sich in ihrem Antrag die vom letzten Parteitag einstimmig (!) abgestimmten Forderungen der „linksjugend [‘solid]“ zu eigen:

  • Ablehnung der Schuldenbremse und ihre Streichung aus der Bremischen Verfassung;
  • Schluss mit den Abschiebungen von Flüchtlingen (im Vertrag: „Aufenthaltsbeendigung“);
  • keine Rüstungsexporte über Bremer Territorium;
  • Erhöhung der Investitionsmittel für Krankenhäuser;
  • Kostenloser ÖPNV als ein Mittel gegen den Klimawandel;
  • Legalisierung der Besetzung von leer stehenden Häusern; Verbot von Zwangsräumungen;
  • Abschaffung der Sanktionen im HARTZ-IV-System (ist Beschlusslage der Landespartei);
  • Oberste Priorität für die Armutsbekämpfung im Bundesland Bremen.

All das sollte erreicht werden durch Tolerierung einer „Rot-Grüne(n) Minderheitsregierung“:

„Um einen rechten Senat zu verhindern, sind wir bereit, eine Rot-Grüne Minderheitsregierung ins Amt zu wählen, und würden allen Senatsinitiativen zustimmen, die fortschrittlich für die lohnabhängige oder lohnerwerbslose Bevölkerung wären, ohne aber einen Tolerierungsvertrag zu unterzeichnen. Gleichzeitig würden wir parlamentarisch und außerparlamentarisch den Kampf gegen jede Verschlechterung und für die von uns, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aufgestellten Forderungen zur Verbesserung der Situation für die Masse der Bevölkerung aufnehmen.“ (Antragstext für den Parteitag am 04.07.2019)

Mit dem außerparlamentarischen Kampf geht es nun los. Die Mietenfrage wird auch in Bremen zu einem Politikum ersten Ranges. Initiativen haben sich gegründet, der DGB ist dabei. Erste Versammlungen finden schon im September 2019 statt.