Regierungskrise in Österreich: Die herrschende Klasse mag es autoritär

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Schön dass wir so einen netten Onkel als Bundespräsidenten in der Hofburg sitzen haben.

Alexander Van der Bellen (VdB) hat Österreich durch seine die schwerste politische Krise der 2. Republik, ausgelöst durch die offen zu Tage getretene Bereitschaft der FPÖ-Führung, sich selbst und das Land an die nächstbeste russische Oligarchin zu verkaufen, begleitet und er hat das nach fast einhelliger Meinung „hervorragend“ getan. Sein Kompass durch die ungestüme See der politischen Wirrungen war dabei die österreichische Bundesverfassung von Hans Kelsen aus 1920, in der Fassung von 1929, die er nicht müde wurde ob ihrer Eleganz und Sicherheit in allen politischen Wetterlagen zu rühmen. Und er empfahl dem Volke ruhig zu bleiben und der demokratischen Verfasstheit einer bürgerlichen Demokratie zu vertrauen.
Tatsächlich hätte ja auch zu diesem Zeitpunkt ein Vertreter der FPÖ, die gerade mit dem Skandal-Video von Ibiza die Republik erschütterte, nämlich der erst im 3. Wahlgang in einem Fotofinish gescheiterte Kandidat der FPÖ zur Bundespräsidentenwahl Norbert Hofer, an dieser Stelle sein können. Der Mann, der das Volk mit fiesem Lächeln im Wahlkampf vorbereitete, dass man schon noch sehen werde, was alles geht.
Nun: kein Hofer in der Hofburg, eine Verfassung, die die oberste Verfassungsrichterin als Experten-Kanzlerin gebracht hat – alles in Ordnung, alles bestens?
Man sollte nicht vergessen, dass diese so gepriesene Verfassung einem Mann wie Norbert Hofer, sehr viel Macht als Bundespräsident in die Hand gäbe.
Mit der Neufassung der Verfassung 1929 auf Druck der faschistischen Heimwehr wird der Bundespräsident, nach dem Muster der autoritären Trends der damaligen Zeit, gegenüber dem Parlament gestärkt. Das parlamentarische Regierungssystem erhält dadurch einen präsidialen Einschlag. Der Bundespräsident wird nun vom Volk direkt auf einen Zeitraum von 6 Jahren gewählt und erhält wesentlich erweiterte Kompetenzen. Zugleich kommt es zu einer Stärkung der Exekutive auf Kosten der Legislative, der Mehrheit auf Kosten der Minderheit, des Bundes auf Kosten der Länder.
Man hat auch 1945 die Problematik erkannt und gesagt, man würde die Verfassung von 1929 wieder in Kraft setzen, aber im Geiste der Verfassung von 1920, was immer das heißen sollte. Das „Volk“ wurde auch zu diesem Zeitpunkt darüber nicht befragt.
Tatsache ist, dass – wie im Mai/Juni 2019 gesehen – ein Bundespräsident, der bei einer einmaligen Wahl für 6 Jahre bestimmt wird, ziemlich frei bestimmen kann, wer Bundeskanzler_in wird und nicht einmal darauf Rücksicht nehmen muss, ob diese oder dieser eine stützende Mehrheit im Parlament besitzt.. Auch das hat uns VdB gezeigt, als er ohne Prüfung einer solchen Unterstützung das Kabinett Kurz II angelobt hat, das dann krachend abgewählt wurde. Dieses Mal ist das passiert und es gibt letztlich am 29. September Neuwahlen, aber es könnte auch anders ausgehen, wenn nur ein paar andere Protagonisten an der Macht wären.
Nach dieser Abwahl hat Sebastian Kurz, der bisher am kürzesten amtierende Kanzler der zweiten Republik, eilig ein Aufgebot von türkisen Anbetern medienwirksam heran karren lassen und geflügelte Worte gesprochen: „Das Parlament hat bestimmt, aber das Volk wird entscheiden!“

Vom bürgerlichen Parlemantarismus Richtung autoritärer Staat

Diese Abwertung der bürgerlichen Demokratie, durch deren Vertreter und populistische Anführer, und das Hervorheben des Gegensatzes zwischen dem natürlichen Volkswillen und parlamentarischer Vertreter ist ein internationaler Trend, der immer mehr Länder in den Autoritarismus treibt. Der Rechtstheoretiker Carl Schmitt, Kronjurist des 3. Reiches und mit der Propagierung des Führer-Prinzips einer der intellektuellen Legitimierer des faschistischen Staates, ist nicht umsonst eine der Ikonen der „Neuen Rechten“.
Weltweit haben wir in den letzten Jahren die Tendenz feststellen müssen, dass die bürgerlichen Demokratien in eine Krise geraten sind, dass das kapitalistische System und seine bürgerliche Demokratie brüchig wurden.
Die Krise der bürgerlichen Demokratie hat viele Namen. Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Jair Bolsonaro gehören dazu – doch die Liste ist weit länger. Und das Problem ist ein globales. Bei vielen Wahlen in Europa war von einem „Rechtsruck“ die Rede. Autokratische Potentaten, oft genug mehr oder minder erfolgreiche kapitalistische „Businessmen“, machen sich daran, rechtsstaatliche Ordnungen umzubauen.
In Europa sind es Orban und Salvini, die PIS in Polen und Sebastian Kurz in Österreich, die es bereits an die Macht geschafft haben.
Der Humus für diese Machthaber ist die parlamentarische Demokratie als bürgerliche Herrschaftsform, die in der Aufstiegsphase der Bourgeoisie deren liebster politischer Kampfboden war. In dem Moment, wo die Bourgeoisie ihre Klassenmacht gefestigt und ausgebaut hat (durch die Schaffung eines ihr loyalen Polizei- und Militärapparates, einer Beamtenkaste, der ideologischen Kontrolle über Schulen und Universitäten, gesetzgeberische Maßnahmen, etc.) wird diese politische Herrschaftsform verzichtbar, wenn auch die Arbeiter_innenklasse versucht, egal in welcher Form, diese Tribüne zu nutzen. Sogar zahnlose und bürgerliche Politik betreibende sozialdemokratische Parteien werden dann zum lästigen Ballast. Wir reden gar nicht von den (hypothetischen) Vertreter_innen revolutionäre Arbeiterparteien, die das Parlament als Tribüne zur Propagierung der sozialistischen Revolution nützen würden.
Der bürgerliche Parlamentarismus wird mehr und mehr zur rissigen Hülle für politische Entscheidungen der herrschenden Klasse. Ihre Pseudodemokratie soll die unruhiger werdenden Massen kalmieren und die Illusion einer „Gleichheit Aller“ vor dem Gesetz aufrechterhalten, solange das notwendig ist.
Beispiel Griechenland: die Austeritätsregeln werden von demokratisch kaum legitimierten Gremien in Verträgen festgeschrieben und im Zweifelsfall sehr autoritär auch gegen den erklärten Willen der Bevölkerung durchgesetzt.
Lange Zeit war die Legitimation der bürgerliche Demokratie, dass sie im herrschenden Kapitalismus Kompromisse zwischen den divergierenden Interessengruppen und gesellschaftlichen Klassen finden kann. Dies kann bei einer glaubhaften Vertretung des Proletariats im Parlament schnell zu einer Gefährdung der herrschenden Klassen führen und erzeugt Gegenbewegungen, die am Ende auf autoritäre Lösungen zum Machterhalt der Kapitalisten und Ausbeuter hinauslaufen.
Die Strategie des politischen Arms des Kapitals, namentlich der Rechtspopulisten, die oben erwähnt wurden, um die Menschen für ihre Sache zu gewinnen ist in den letzten Jahren von folgenden Elementen geprägt gewesen:

  • Bevölkerungsaustausch: diese Denkfigur schließt an klassischen Rassismus an, der bei der Diskreditierung von Nicht-Einheimischen, insbesondere bei der „Legitimierung“ von Gewalt gegen Menschen, eine starke Rolle spielt. Die Anti-Migrations-Propaganda verbindet sich heute oft mit Verschwörungsdenken und Antisemitismus, indem Migration zum absichtsvollen Werk vermeintlicher „Mächte“ verzerrt wird, die „die Nation“ oder ein zum „Volk“ erhobenes, abgeschlossenes „Wir“, untergraben wollten.
  • Klimaskeptizismus: er bezeichnet eine Denkungsart, in deren Kern die Behauptung steht, der Klimawandel sei gar nicht vom Menschen verursacht, sondern zum Beispiel auf natürliche Zyklen zurückzuführen. Bei dieser Art „Skepsis“ geht es aber nicht darum, gewonnene Erkenntnisse der Forschung zu hinterfragen oder zu überprüfen, sondern entweder um Propaganda im Interesse von Konzernen, die sich gegen Maßnahmen zum Klimaschutz wehren. Nicht selten steckt auch eine ganz allgemeine Diskreditierung von „grünen ökologisch orientierten Politikzielen dahinter, die als angeblich nur ideologisch angetriebene Verbotsfantasien abgetan werden.
  • Antifeminismus: Darin vermischen sich Aspekte des Sexismus und der Misogynie, also der Annahme einer Minderwertigkeit von Frauen, mit populistisch geförderten Reflexen gegen Gender Studies oder eine plurale Sexualerziehung. Der Kampf dagegen ist zu einem der wichtigsten Kampagneinstrumente von Reaktionären aller Schattierungen geworden.
    Kampf gegen „Politische Korrektheit“: In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelten liberale amerikanische Student_innen, vor allem an der UCLA (Universität von Kalifornien) eine Theorie der Sprachcodes. Minderheiten herabwürdigende oder diskriminierende Ausdrücke sollten vermieden werden. Mit der Ausweitung der poststrukturalistischen Identitätspolitik, die letzten Endes zu einer Aufsplitterung von Protesten und einem Hindernis für die Entwicklung sozialistischer Perspektiven wurde, geriet die geforderte „political correctness“ (pc) ins Fadenkreuz reaktionärer, rassistischer und religiös-fundamentalistischer Bewegungen. Diese führten keine inhaltliche Polemik gegen die pc, sondern unterstellten einerseits erlogene absurde „Zitate“ zur Untermauerung ihrer These, dass „kulturmarxistische“ Intellektuelle durch „Zensur“ die traditionellen „westlichen Werte“ zersetzen wollten.

Diese ideologischen Versatzstücke werden verwendet, um sich bei Wahlen legitimieren zu lassen. Indem Angst und Unsicherheit geschürt werden, die von den realen Ursachen des (materiellen und ethischen) Elends in der Klassengesellschaft ablenken, werden auch Wählerstimmen von Lohnabhängigen ergattert, um so das Geschäft der Kapitalisten fortzuführen. Dabei ist es nicht so, dass eine „autoritäre Revolution gegen die bestehenden Institutionen“ stattfindet. Nein, die Vorkämpfer eines neuen bürgerlichen autoritären Staates kommen durch Wahlen, sozusagen „demokratisch“, an die Macht, kaum durch Militärdiktaturen oder Ausnahmesituationen. Sie putschen nicht gegen Verfassungsnormen, sondern bedienen sich dieser und ändern sie dann zum Machterhalt – siehe Ungarn und Polen – gegebenenfalls ab.
Medienkontrolle durch das Kapital, über das Internet gesteuerte Wahlbeeinflussung und Relativierung von Wissen durch „alternative Wahrheiten“ runden das Bild der schönen neuen Welt der autoritären Kapitalfraktionen ab. Dabei sollte man nicht übersehen, dass manche Internet-Trolle einfach prekarisierte Arbeiter_innen sind, für die das Posten von Fake-News eine Einkommensquelle darstellt ist, weil man über solche Kanäle Werbeeinnahmen generiert.
Für das Internet, die Plattformen und sozialen Medien, die Serverfarmen muss das gleiche gelten wie für alle anderen Produktionsmittel im Kapitalismus: Sie müssen den Händen der Kapitalist_innen entrissen, entschädigungslos vergesellschaftet und unter Arbeiter_innenkontrolle gestellt werden.
Die Aushöhlung der parlamentarischen Macht durch „Entschließungsanträge“, das offene und höhnische Vorbeimogeln von reaktionären Gesetzen an Kontrollausschüssen, die brutale Ignorierung von (sogar zahmen) Einwänden der Gewerkschaft gegen Verschärfungen im Sozialrecht – all das zielt nicht nur auf eine rasche Durchsetzung bürgerlicher Interessen ab; zugleich sollen die lohnabhängige Bevölkerung und die Jugend sowie kleinbürgerliche Werktätige selbst von der Bedeutungslosigkeit der Schwindeldemokratie des Parlamentarismus „befreit“ werden.
Auch der gegenwärtige Rechtsruck wird oft durch Führerpersönlichkeiten verkörpert, die auf Basis demokratischer Legitimation durch Wahlen einen autoritäten Umbau des Staates anstreben und sich dabei auf den Alleinvertretungsanspruch eines angeblichen „Volkswillens“ berufen. Nicht selten wird das mit sozial klingenden Parolen verbunden, deren Problem aber nicht nur die nationalistische, ethnozentristische oder rassistische Ausschlusslogik ist, sondern auch, dass hier die private Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums in Wahrheit unangetastet bleibt.
Als Marxist_innen verteidigen wir jedes Stückchen demokratischer Freiheit, das von den triumphierend grinsenden politischen Geschäftsführern der Bourgeoisie (der Horten, Mateschitz, Pierer, Orter) angegriffen wird.
Wohlgemerkt: Es gilt, über Jahrzehnte von der Arbeiter_innenklasse errungene Rechte und Freiheiten zu verteidigen, weil sie uns den besten Kampfboden für die Verteidigung der Interessen der werktätigen Massen bieten. Wir verteidigen nicht die politische Herrschaftsform der Bourgeoisie in Form der parlamentarischen oder repräsentativen „Demokratie“.
Wir kämpfen für die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Dazu bedarf es der Massenmobilisierung der arbeitenden Bevölkerung, organisiert in Räten (Komitees, Sowjets, oder wie auch immer in der Geschichte diese Strukturen in den verschiedenen Ländern hießen). Die Räte sind die tatsächlich basisdemokratische Form der Ausübung der proletarischen Macht in der Phase des Übergangs zum Sozialismus-Kommunismus. Die Delegierten werden direkt in den Betrieben, den Schulen und Universitäten, den Stadtteilen, in den Dörfern, … gewählt, sind rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar; die lokalen Räte werden in einem zentralen Rat zusammengefasst und kontrollieren und leiten alles politischen Maßnahmen, die zur Organisierung der neuen Gesellschaft auf der Basis des kollektiven Eigentums notwendig sind, insbesondere auch die bewaffnete Verteidigung der neuen Ordnung gegen Versuche der gestürzten herrschenden Klasse, das Rad der Geschichte zurück zu drehen.
Da wir selbst nicht stark genug sind, eine revolutionäre Kandidatur zu präsentieren (deren Ziel es wäre, die Massen zum Kampf gegen die kapitalistische Ordnung aufzurufen), können wir der Politisierung in Zeiten bevorstehender Wahlen nur sehr allgemein Rechnung tragen.
Wahlen sind nur Gradmesser des politischen Bewusstseins der Arbeiter_innenklasse zu in einem gegebenen Augenblick. Daher ist unsere Aufforderung an alle Werktätigen, die am 29. September zur Wahl gehen werden:
Keine Stimme den bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Parteien! Keine Stimme für ÖVP, FPÖ, JETZT, NEOS, Grüne, Wandel!
Trotz aller Kritik, die wir an der Politik und den Programmen der kandidierenden Parteien, die aus der Arbeiter_innenbewegung hervorgegangen sind, rufen wir zu einer Klassenwahl auf. Das heißt, dass wir dazu aufrufen, je nach politischer Präferenz die bürgerliche Arbeiter_innenpartei SPÖ, die reformistisch-stalinistische KPÖ oder (in Oberösterreich) die zentristische SLP zu wählen.