Krisengipfel und Gipfel der Dummheit

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Der Gipfel, den  niemand bemerkte

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt fand am 18. Februar 2022 in Wien ein sogenannter Krisengipfel statt, bei dem darüber diskutiert wurde, ob es möglich wäre, in der Bundeshauptstadt vollständige oder teilweise Demonstrationsverbote zu erlassen. Spannend die repräsentative Zusammensetzung dieses Gipfels: am gemeinsamen Tisch saßen “betroffene Wiener Geschäftstreibende und Experten des Bundesministeriums für Inneres”, so die Wiener Zeitung vom 19. Februar. Und was war die Quintessenz aus den Verhandlungen? “Die Versammlungsbehörde könnte künftig Demonstrationen einschränken – sofern sie nachweislich und dauerhaft die Erwerbsfreiheit der Wiener Unternehmer behindern (wieder laut Wiener Zeitung).

Die Begründung für diese Schlussfolgerung ist so simpel wie dem kapitalistischen System immanent. Laut dem Leiter der Versammlungsbehörde in Wien ist die Erwerbsfreiheit der Kaufleute in der Inneren Stadt ebenso ein Recht wie jenes der Versammlungsfreiheit. Daher wäre es aus Sicht der Behörde durchaus möglich, eine Demonstration zu untersagen, sofern ein Gutachten einen massiven und vor allem dauerhaften Einschnitt in die Erwerbsfreiheit sichtbar macht. Besagter Leiter der Versammlungsbehörde ist übrigens Landespolizeivizepräsident Franz Eigner.

Das im Nachhinein Gipfel genannte Gespräch war auf Initiative der Wiener Wirtschaftskammer einberufen worden. Konkreter Hintergrund waren die wöchentlichen Demonstrationen von Faschisten, Esoterikern und Coronaleugner*innen, die ab Samstag Mittag das öffentliche Leben in der Innenstadt und in angrenzenden Bezirken schwer beeinträchtigten. Vor allem, wenn Österreichs größter kleiner Mann, Herbert Kickl, zu seinem Volk sprach, war der Andrang beträchtlich. Nun entbehrt diese Gipfel-Szenerie jedoch nicht einer gewissen Pikanterie.

FPÖ: Mit Schaum vor dem Mund gegen Demonstrationen

Seit 2009 war die Wiener FPÖ (in der WKÖ durch ihren “Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender” RFW gar nicht so schlecht verankert) die Vorkämpferin, wenn es um die Forderung nach Demonstrationsverboten ging. Anton “Toni” Mahdalik, FPÖ-Gemeinderat, forderte ab dem Sommer 2009 ein Demonstrationsverbot für die Mariahilferstraße und den ersten Bezirk. Egal ob es um antiimperialistische Demonstrationen, Proteste gegen den WKR-Ball, Kundgebungen gegen das (gleichgeschlechtliche) Kussverbot in einem Wiener Cafe oder Aktionen gegen den Sozialabbau ging – die FPÖ forderte die “Absage der dumpflinken” Veranstaltungen und protestierte vehement gegen eine “Ringsperre für eine dubiose Splittergruppe”, weil das eine Provokation für die Autofahrer sei.

Im Wahlkampf 2013 legte FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus (vor seiner Filmkarriere als bester Nebendarsteller in der Ibiza-Production “Die scharfe Oligarchennichte”) noch kräftig nach, indem er gegen Asylwerber, kriminelle Ausländer, Islamisten und linke Schreier den “Knüppel aus dem Sack” androhte. 

Sein Parteikamerad Georg Fürnkranz scheiterte 2016 krachend im Wiener Gemeinderat mit dem Antrag auf “Demoverbots-Zonen” im Stadtgebiet. Das entmutigte den freiheitlichen Brachialrhetoriker Dominik Nepp aber nicht, im November 2017 neuerlich zu bekräftigen, dass die Wiener FPÖ für ein “Demo-Verbot auf Hauptverkehrsadern und Einkaufsstraßen” stehe.

Die Träume der Wiener Blauen schienen in greifbare Nähe zu rücken, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 18. Dezember 2017 Herbert Kickl als Innenminister der türkis-blauen Bundesregierung angelobte. Im Fokus des Mannes fürs Grobe standen aber zunächst die Kernthemen, mit denen seine Partei die reaktionärsten Schichten des Wahlvolks mobilisiert hatte. Ausländerfeindlichkeit und Aufrüstung der Polizei wurden zu den Vorzeigeprojekten des BIMAZ (“Bester Innenminister aller Zeiten”). Dass nebenbei und vor der Öffentlichkeit möglichst versteckt ein Machtkampf zwischen den Koalitions”partnern” um die Macht beim Staatsschutz tobte, ließ die Anliegen der Wiener Kameraden wohl etwas aus dem Sichtfeld geraten.

Dann kam der denk- und merkwürdige Mai 2019, in dem die FPÖ über ein Video stolperte, in dem Vizekanzler und Parteiobmann H.C. Strache Dinge sagte und versprach – welche in der Praxis von seinen türkisen Kolleg*innen in der Regierung schon längst und viel größer dimensioniert praktiziert wurden. Sebastian Kurz entledigte sich seiner blauen Hilfstruppe, ritt eine schneidige Attacke gegen die bürgerlich-parlamentarische Demokratie – und holte die Grünen ins bürgerliche Boot.

Müßig darüber zu spekulieren, wie ein Innenminister Kickl in der Corona-Pandemie agiert hätte. Der autoritäre Kurs, den Kurz und sein neuer Innenminister Karl Nehammer einschlugen, nachdem sich der “Skandal in Ischgl” als Beginn einer Krise, die weit über die Alpenrepublik hinausreichte, entpuppt hatte, wäre aber sicher nach Kickls Geschmack gewesen. Da eine Notverordnung, dort eine Stärkung der Rechte der Polizei, Ausgangssperren – und das ganze “medizinisch” begründet. Aber leider – oder zum Glück? – hatte Kickl dieses Rendezvous mit der Geschichte verpasst.

Nachdem sich die Rest-FPÖ (Parteiaushängeschild H.C. Strache wurde mit Schimpf und Schande ausgestoßen und machte sich mit einer neuen Zwergenpartie politisch selbständig) aus ihrer Schockstarre gelöst hatte, entdeckte sie ein Betätigungsfeld, das sich wunderbar von ihr beackern ließ: die “Protestbewegung” gegen die Coronapolitik der Regierung”.

Die FPÖ will die Straße erobern

“Protestbewegung gegen die Coronapolitik der Regierung” tritt allerdings zu kurz: waren es anfangs tatsächlich “besorgte Bürger*innen”, denen die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie zu weit gingen, wandelte sich das Bild deutlich. Allerdings wehrte sich nur ein Bruchteil der Protestierenden gegen Maßnahmen wie die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und die Legalisierung eigenmächtiger Polizeikontrollen – den meisten ging es schon damals um ihre “Nasenfreiheit” und das Recht, sich anzustecken (und dabei wohlweislich zu “vergessen”, dass sie damit zur Gefahr für andere wurden). Als sich zur Leugnung von Corona (“bessere Grippe”) dann auch noch die Ablehnung der Impfungen kam, war eine irrationale und egoistische Massenbewegung entstanden, in der sich fast zwangsläufig Faschist*innen, Esoteriker*innen und Verschwörungsschwurbler*innen aller Art tummelten wie bösartige Raubfische im verseuchten Wasser. 

Spätestens als die Hipster-Faschisten der Identitären Bewegung und Neonazi-Idol Gottfried Küssel an der Spitze von Großdemonstrationen durch Wien ziehen konnten, hatte die Stunde der Freiheitlichen geschlagen. Die seit ihrer Gründung mit dem Nationalsozialismus verwandte Partei hatte sich konsequent zu immer offener faschistoiden Positionen hinbewegt. Was ihr immer gefehlt hatte war eine Massenbasis, mit der sie die Straßen erobern konnte. Nun lag diese Bonanza glänzend vor Kickl und seiner Mannschaft auf der Ringstraße.

Die Partei, die 12 Jahre zuvor ein Verbot der “Deppendemos” gefordert hatte, wurde nun mit einem Schlag zur Demo-Partei. Auch wenn der RFW winselte, dass die Samstagdemos gar nicht gut fürs Geschäft und somit das Image der FPÖ als Partei der “kleinen Wirtschaftstreibenden” wären – das wog nichts gegen die Vision, radikalisierte und fanatisierte Schichten von Lumpenproletarier*innen, Kleinbürger*innen und Freiberufler*innen für die reaktionäre Sache der FPÖ gewinnen zu können. Nix mehr Knüppel aus dem Sack – zur Verwunderung des türkisen Innenministers droschen neonazistische Hooligans auf Polizist*innen ein, obwohl die Exekutive bei den einschlägigen Demos ohnehin samtpfötig und mit Glacéhandschuhen agierte.

Und dann kam die Stunde der erschreckten linksliberalen Bürger*innen. Von “Falter” bis “Standard” erschallte der Ruf, man müsse doch endlich etwas gegen den demonstrierenden Mob unternehmen. Völlig zu Recht wurde daran erinnert, mit welcher Brutalität die Polizei gegen Linke und antifaschistische Demonstrationen vorzugehen pflegt. Daraus wurde so etwas wie eine Theorie der symmetrischen Demonstrationsprügeltaktik entwickelt. “Haut doch endlich auch einmal die Faschist*innen”, war der Tenor. Und gleich darauf: lasst die nicht demonstrieren, untersagt ihre Versammlungen, die Straße darf nicht den Rechten gehören.

Wir erlebten also auf einer etwas anderen Ebene das, was wir in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der oft strapazierten Verbotslosung gegen Nazis kritisiert hatten. Es ist ein fataler Fehler von Arbeiter*innenorganisationen, vom bürgerlichen Staat das Verbot reaktionärer oder faschistischer Parteien und Gruppen zu fordern, ebenso wie eine Beschränkung der Rede- und Pressefreiheit oder des Versammlungs-  und Demonstrationsrechts. Es gibt ausreichend Beispiele in der europäischen Geschichte nach 1945, wo bürgerliche oder sozialdemokratische Regierungen solche Forderungen erfüllt haben. Die gleichen Regierungen haben aber diese Gesetze auch sofort gegen Arbeiter*innenorganisationen, Arbeiter*innenkämpfe und Proteste der Jugend angewendet. Der bürgerliche Staat ist kein neutraler Schiedsrichter, der über den Klassen schwebt, sondern das Instrument der Machtausübung der ökonomisch stärksten Klasse in der Gesellschaft.

Das zeigt auch der seltsame Wiener Krisengipfel. Historisch gesehen ist er nicht mal eine Fußnote der Zeitgeschichte. Politisch ist er trotzdem bedeutsam, weil hier von Vertretern der Staatsmacht offen ausgesprochen wurde, dass Profitinteressen Vorrang vor durch Kämpfe errungene demokratische Freiheiten haben. 

Reaktionäre Zusammenrottungen unter Beteiligung der FPÖ dienen nun einer prinzipiell autoritär orientierten “Neuen Volkspartei” als Vorwand, um einen Angriff auf das Versammlungs- und Demonstrationsrecht zu starten. Und, wie man vermuten kann, werden so manche Anhänger*innen der Grünen, der NEOS und sogar “linke Intellektuelle” beifällig nicken und Verständnis für solche Maßnahmen zeigen.

Demgegenüber rufen wir alle Arbeiter*innenorganisationen und Gewerkschaften auf: 

  • Verteidigen wir gemeinsam das Recht zu demonstrieren und uns zu versammeln. Den Kampf gegen Faschist*innen und reaktionäre Kräfte müssen wir selbst führen – politisch und physisch. 
  • Statt Verbotsforderungen an den bürgerlichen Staat – Selbstverteidigung unserer Demonstrationen, Kundgebungen, Infotische, Parteilokale! 
  • Die von unseren Eltern und Großeltern erkämpften demokratischen Rechte stehen über den Profitinteressen der Bourgeoisie!