Was nach Außen wirkt wie eine persönliche Abrechnung ist tatsächlich weit mehr: das Gerangel darum, wer Innenminister werden darf und wer nicht. Sebastian Kurz, Führer der nach ihm benamsten türkisen Bewegung, sagt ein klares “Njet” zu Kickl. Und, in weiterer Folge: “Kein FPÖler unter dieser Nummer!”.Kickl und Hofer sagen: “Das werden wir schon noch sehen!”. Und die SPÖ hat nichts besseres zu tun als den unsäglichen Rechtsverbinder Hans Peter Doskozil ins Spiel zu bringen.
Die türkis-blaue Regierung hat seit 2017 eines deutlich demonstriert: Das österreichische Bürgertum (egal, ob klein oder groß!) fühlt sich stark genug, diesen Staat umzubauen, und zwar weg von der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie, hin zu einem autoritären Apparat, der sich tunlichst jeder Kontrolle entziehen soll. Die Millionenspenden an die “Neue ÖVP” haben sich für die heimische Industrie, unproduktive Reiche und politische Glücksritter genauso rentiert wie jene an die FPÖ.
Wie in den späten 20er und frühen 30er Jahren benützt die Reaktion das Parlament, um dieses von Innen auszuhöhlen, es lächerlich zu machen, letztlich zu entmachten. Gesetze, die mittels Initiativanträgen an den parlamentarischen Prüfinstanzen vorbei beschlossen wurden; die Beantwortung von parlamentarischen Anfragen der Oppositionsparteien, die keine Antworten, sondern neu aufgelegte Wahlreden und Verhöhnungen waren; die Postenschiebereien rund um die Kurz-Vertraute Köstinger, die ohne parlamentarische Erfahrung für 5 Wochen zur Nationalratspräsidentin (!) gemacht wurde; die Einsetzung von Generalsekretären in Ministerien – Parallelminister, die sich jeder Kontrolle entzogen; die Aufstellung einer Privatpolizeitruppe zum “Personenschutz” von FP-Politikern durch Herbert Kickl; und, und, und…
Wohin die Reise geht, machte Kurz klar, nachdem seine so unglaublich erfolgreiche Koalition, in der ja alles immer Wonne und Waschtrog war, zerfallen war. Zum Abschied aus dem Kanzleramt raunte er dräuend: “Heute hat das Parlament entschieden, aber am Ende entscheidet das Volk” und weigerte sich, ein VP-Nationalratsmandat zu übernehmen. In allgemein verständliche Sprache sagte der aufgeblasene Berufsfunktionär: “Das Parlamant ist mir wurscht; ich werde schon ein Volk finden, das macht, was ich will”. Und wandert seither durch die Lande, das Volk suchend und umarmend und es fragend, ob es schon zu Mittag gespeist habe.
Offener ist da schon immer die FPÖ gewesen, die klar heraus gesagt hat, dass sie an die Macht will um mit allem aufzuräumen, was ihrem immer offensichtlicher faschistoiden Weltbild zuwider ist. Tatsächlich war das der Fels, auf dem der Heilige Sebastian seinen Staat bauen wollte. Die Achse eines reaktionär-deutschnationalen mit einem reaktionär-christlichen Bürgertum, dem die Mitsprache des Pöbels zutiefst gegen den Strich geht.
Natürlich ist das Innenministerium, ebenso wie das Bürgerkriegs- pardon: Verteidigungsministerium bei jeder autoritären Wende eine Schlüsselbastion. Wer diese Ministerien kontrolliert hat einen unerhörten Vorteil, auch seinen Konkurrenten im bürgerlichen Lager gegenüber.
Kurz pocht auf sowas wie eine türkise Erbpacht auf das Innenministerium. Erleichtert aufzuatmen, wie das manche liberale Journalisten tun, die meinen, damit würde eh das schlimmste (nämlich Kickl) vereitelt, ist dumm und geht an der Realität vorbei. Hier geht es nicht einfach um Posten für CVler oder Burschenschafter. Hier geht es um strategische Differenzen, wie schnell, offen und rücksichtslos der Weg in die “3. Republik” führen soll.
Als Revolutionäre warnen wir seit Jahren vor allen Illusionen in das Parlament. Als Marxisten wissen wir, dass der scheinbar demokratischste bürgerliche Staat immer ein bürgerlicher Klassenstaat war und ist, der letzten Endes immer ein Bollwerk der herrschenden Klasse gegen die Lohnabhängigen, die sozial Schwachen, die Jugend in Ausbildung bleiben wird.
Trotzdem ist uns die konkrete Form, die dieser bürgerliche Staat annimmt, keineswegs egal. Wir agieren lieber so ungehindert als möglich, soweit das im Kapitalismus eben möglich ist; wir lehnen daher jede Stärkung der Repressionsorgane des bürgerlichen Staates ab; wir wollen weiterhin Wahlzeiten nützen können, um unser revolutionäres Programm unter Arbeiter_innen, Angestellten, der Jugend … zu verbreiten.
Die Verteidigung dieser Errungenschaften (denn viele jener Freiheiten, auf die der repräsentativ-demokratische bürgerliche Staat beruht, wurden von unseren proletarischen Vorfahren blutig der herrschenden Klasse abgerungen) bedeutet nicht, dass wir im Parlament das “Ende der Geschichte” sehen.
Wir sind Verfechter einer viel höheren, tatsächlichen Demokratie: Der Arbeitermacht, ausgeübt durch Räteorgane, direkt gewählt von den Arbeiter_innen in den Betrieben, jederzeit ihren Wähler_innen rechenschaftspflichtig und auch abwählbar; ohne horrende Bezüge und Privilegien für die gewählten Vertreter_innen der Arbeiter_innklasse, sondern mit einer Entlohnung für diese Tätigkeit, die nicht höher sein darf als der Durchschnittslohn eines qualifizierten Facharbeiters..
Wir müssen die nächsten Wochen bis zu den Wahlen im September nutzen, um so viele Lohnabhängige wie möglich vor den Plänen der Bourgeoisie zu warnen. Nach wie vor liegt es in den Händen der arbeitenden Bevölkerung, die autoritäre Offensive zu stoppen. Das kann aber nur gelingen, wenn sich die Massenorganisationen der Arbeiter_innenbewegung – SPÖ und ÖGB – dazu aufraffen, ihre Basis gegen die Bürgerblockparteien zu mobilisieren. Wir können uns aber nicht darauf verlassen, dass eine Bürokratie, die über Jahrzehnte engstens mit den Interessen der herrschenden Klasse verbunden war, plötzlich aktiv wird. Dazu muss auch Druck von unten kommen.