Ein neues Wort geht um in der reformistischen und zentristischen “Linken”. Selbst lachsrosa getünchte Leitartikler schleudern es dem burgenländischen SP-Oberbonzen Hans Niessl entgegen, schaudernd sprechen es sozialdemokratische Jugendfunktionäre und diejenigen, die seit gut einem Vierteljahrhundert (erfolglos) den “revolutionären Massenflügel” in der SPÖ aufbauen wollen, aus: TABUBRUCH!
Als solchen bezeichnen die erwähnten politischen Strömungen und Individuen die Koalition zwischen SPÖ und FPÖ im Burgenland. Dass LH Niessl damit (angeblich) einen SP-Bundesbeschluss gebrochen hat, mag ein Bruch einer ohnehin nicht vorhandenen Parteidisziplin gewesen sein; das ist aber nicht unser Problem, sondern jenes der SP-Führung. Zum Vergleich: Originellerweise hat ausgerechnet im burgenländischen Eisenstadt die SPÖ-Parteibürokratie 1969 eine Erklärung veröffentlicht, die offiziell bis heute nicht aufgehoben wurde und in der jede Form der Zusammenarbeit mit “Kommunisten” ausgeschlossen wird – ein bürokratisches Verbot jeglicher Einheitsfront zwischen Arbeiterorganisationen also. In der Praxis haben sich vor allem die sozialdemokratischen Jugend- und StudentInnenorganisationen immer wieder über die “Eisenstädter Erklärung” hinweggesetzt (und wurden dann von oben entsprechend getriezt). Was lediglich illustrieren soll, dass Parteibeschlüsse in der SPÖ immer und zuallererst taktische und Machtfragen sind.
Rekapitulieren wir: Seit 1945 war die SPÖ auf Bundesebene nur 17 Jahre lang nicht in Koalitionen mit offen bürgerlichen Parteien. Zwischen den Jahren 1966 und 1987 sowie 2000 und 2007 gab es keine Große Koalition auf Bundesebene, zwischen 1983 und 1986 hatten die Sozialdemokraten eine Kleine Koalitionsregierung mit der FPÖ angeführt.
Selbstverständlich gibt es zwischen ÖVP und FPÖ beziehungsweise ihrer Vorläuferpartei, dem VdU, ideologische Unterschiede. Allerdings: Während sich die (bisher) größte Partei des österreichischen (Klein)Bürgertums und der reicheren bäuerlichen Schichten aus der christlich-sozialen und später austrofaschistischen “Traditionslinie” entwickelt hat, stehen bei der FPÖ der Deutschnationalsozialismus und der Nazifaschismus Pate.
Und genau hier muss die Kritik am derzeitigen “Tabubruch”-Gesudere ansetzen. Die Tendenz darf nicht dahin gehen, die “demokratischere” bürgerliche ÖVP als besser, akzeptabler hinzustellen als die “rechtspopuilistische, rassistische” FPÖ (manche “Linke” machen ja seit Jahren sogar den fatalen Fehler, die FPÖ als “Nazipartei” zu bekämpfen, was nicht nur politisch falsch, sondern taktisch auch völlig unproduktiv ist).
Der tatsächliche “Tabubruch” der Sozialdemokratie, wenn wir dieses moralisierende Wort wirklich gebrauchen wollen, hat heuer 101-jährigen Geburtstag gefeiert: Das war der Übergang der meisten sozialdemokratischen Parteien ins Lager der “eigenen” Bourgeoisie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges; das war die “Burgfriedenspolitik”, mit der während des Weltkrieges die Interessen der Arbeiter jenen der kriegführenden imperialistischen Mächte untergeordnet wurden. Dieser “Sozialpatriotismus”, den die internationalistichen, marxistischen Kräfte vehement bekämpften, war wiederum das kristallisierte Produkt des Reformismus in den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Massenorganisationen, jener Strömung, die den Kapitalismus durch gutes Zureden und den Stimmzettel besser, menschlicher, “gerechter” machen wollte.
Man kann nicht über Niessl jammern und oder schimpfen und die Augen davor verschließen, dass in der Bundesregierung der ewig lächelnde und buchstäblich nichtssagende SP-Kanzler Faymann mit der schwarzen Frau Johanna Mikl-Leitner eine Politikerin am Tisch des Ministerrats sitzen hat, die in der “Ausländerfrage” eins zu eins das praktiziert, was FP-Strache fordert: Grenzen zu, Abschiebungen, Behördenwillkür, um Österreich so ausländerunfreundlich wie nur möglich zu machen; mit dem Bürschchen Sebastian Kurz einen Außenminister, bei dem man nicht weiß, ob er eine Sprechpuppe von Frau Angela Merkel (Ukraine und Griechenland oder eben auch des Herrn Strache (“Kürzt die Sozialausgaben für EU-Zuwanderer”) ist.
Revolutionäre lehnen jede Form der Koalition mit bürgerlichen Parteien ab. Das ist keine abstrakt-ideologische Frage, sie ergibt sich aus klaren und verständlichen politischen Überlegungen, die der mathematischen Mengenlehre entnommen sein könnten: Jede Koalition muss zwangsläufig eine Schnittmenge aus den gemeinsamen politischen Vorstellungen ihrer Einzelkomponenten sein. Damit wird sie automatisch zur Exekutorin der rückschrittlichsten Programmpunkte einer der beteiligten Parteien – sonst wäre sie ja sinnlos und zerbräche noch vor ihrer Bildung.
Wer rot-blau im Burgenland ablehnt, muss auch rot-schwarz auf Bundesebene ablehnen. Statt verzweifelt ein “Machtwort” der Bundespartei gegen den kleinen Machiavelli im Burgenland zu fordern, müsste man konsequent fordern: “ÖVP raus aus der Regierung”.
Wenn wir heute in Diskussionen mit Mitgliedern der SPÖ vorschlagen, sie sollten ihre Parteiführung mit dieser Forderung konfrontieren, dann tun wir das nicht, weil wir irgendwelche Illusionen in diese Partei haben, die seit Jahrzehnten eine rein bürgerliche Politik betreibt. Wir tun das deshalb, um jenen Arbeiterinnen und Arbeitern, die nach wie vor, wenn auch mit immer größerem Abscheu, in der SPÖ in verzerrter Form “ihre” Partei sehen, zu helfen, den wirklichen Charakter dieser Partei zu verstehen.
Über ihren Einfluss in den Gewerkschaften und damit in den Betrieben präsentiert sich die SPÖ immer noch als Arbeiterpartei. Das macht auch – noch – ihren Wert für die herrschende Klasse aus. Solange der Einfluss der SPÖ groß genug ist, eventuelle Arbeiterproteste zu kanalisieren oder im Keim zu ersticken (Stichwort: Sozialpartnerschaft), wird sie noch gebraucht. Durch ihre bürgerliche Politik zerstört die SP-Bürokratie diesen politischen Einfluss immer mehr, sie begeht einen langsamen und qualvollen Selbstmord. Leider zieht sie damit aber auch immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter und Jugendlich mit in den Abgrund.
Ihre Integration in den bürgerlichen Staat, ihr Schönreden des Kapitalismus, ihr Kampf gegen den Sozialismus liefert ihre Basis schutzlos den Angriffen von Seiten der kleinbürgerlichen Demagogen der FPÖ aus. Den einzigen Schutzwall gegen die bürgerlichen Attacken auf allen Ebenen – auf Sozialleistungen, Löhne, Arbeitszeit, gegen Migrantinnen und Migranten, gegen das Erstarken konservativer und reaktionärer gesellschaftlicher Verhaltensweisen – bietet einzig und allein ein bewusster, entschlossener und gut geführter Klassenkampf der Werktätigen gegen die Herrschenden. Den Klassenkampf von oben erleben wir jeden Tag – damit wir zurüchschlagen können, müssen wir eine revolutionäre Alternative aufbauen – eine internationalistische revolutionäre Arbeiterinnen- und Arbeiterpartei als Teil einer neuen revolutionären Internationale.