Von Adler bis Babler – was Sozialdemokrat*innen über ihre Partei wissen sollten

Ein revolutionärer Anfang

Als die österreichische Sozialdemokratie 1889 in Hainfeld gegründet wurde, verstand sie sich als revolutionäre Partei der Arbeiter*innenklasse. Ihr Programm ließ keinen Zweifel daran: Die kapitalistische Gesellschaft war ein System von Ausbeutung und Unterdrückung, das durch den Übergang der Produktionsmittel in gemeinschaftlichen Besitz überwunden werden musste.

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung.

Die Ursache dieses unwürdigen Zustandes ist nicht in einzelnen politischen Einrichtungen zu suchen, sondern in der das Wesen des ganzen Gesellschaftszustandes bedingenden und beherrschenden Tatsache, daß die Arbeitsmittel in den Händen einzelner Besitzender monopolisiert sind.

Der Besitzer der Arbeitskraft, die Arbeiterklasse, wird dadurch zum Sklaven der Besitzer der Arbeitsmittel, der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herrschaft im heutigen Staate Ausdruck findet. Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln, wie er also politisch den Klassenstaat bedeutet, bedeutet ökonomisch steigende Massenarmut und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten.

Durch die technische Entwicklung, das kolossale Anwachsen der Produktivkräfte erweist sich diese Form des Besitzes nicht nur als überflüssig, sondern es wird auch tatsächlich diese Form für die überwiegende Mehrheit des Volkes beseitigt, während gleichzeitig für die Form des gemeinsamen Besitzes die notwendigen geistigen und materiellen Vorbedingungen geschaffen werden.

Der Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes bedeutet also nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die Erfüllung einer geschichtlich notwendigen Entwicklung. Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewußte und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewußtsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, zu dessen Durchführung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewußtsein des Volkes entsprechenden Mitteln bedienen wird. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung.

Doch was als revolutionäre Organisation begann, verwandelte sich im Laufe der Jahrzehnte in eine Partei, die heute das System nicht nur verwaltet, sondern aktiv stabilisiert. Lenin und die Kommunistische Internationale (1919) analysierten sozialdemokratische Parteien als bürgerliche Arbeiterparteien: Sie wurzeln in der Arbeiter*innenklasse, vertreten aber bürgerliche Politik. Ihre Funktion besteht darin, das Proletariat an das System zu binden, spontane Klassenkämpfe zu entschärfen und revolutionäre Entwicklungen zu verhindern. Die SPÖ war nie eine konsequent revolutionäre Kraft – aber der Bruch mit dem Marxismus wurde schrittweise vollzogen.

1914 und die Konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie

Spätestens 1914 zeigte sich der Verrat der Sozialdemokratie in ganz Europa offen: Die sozialdemokratischen Parteien unterstützten den imperialistischen Krieg und stimmten für die Kriegskredite. In Österreich tat sich besonders Karl Renner hervor, der sich zum fanatischen „Vaterlandsverteidiger“ entwickelte.

Nach 1918, in einer Situation revolutionärer Möglichkeiten, hielt die Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP die Arbeiter*innenmassen bewusst zurück. Sie sabotierte von Innen heraus die Arbeiter- und Soldatenräte. Die „linken“ Parteiführer Otto Bauer, Max Adler, Friedrich Adler und Julius Deutsch redeten den Massen ein, dass eine Revolution automatisch zur Niederlage verurteilt wäre. Die Arbeiterräte als potenzielle Machtorgane der arbeitenden Bevölkerung wurden durch das „Betriebsrätegesetz“ ihrer revolutionären Dynamik beraubt und in das kapitalistische System integriert – als „Mittler“ zwischen Kapitalisten und Belegschaften. Statt einer effizienten Arbeiter*innenselbstverteidigung gegen die immer aggressiver werdende Bourgeoisie und ihre faschistischen Terrorbanden organisierte die SDAP einen parteiloyalen Schutzbund, der niemals als Instrument zur bewaffneten Machtergreifung des Proletariats konzipiert war. Auch der verbalradikale „Austromarxismus“ zeigte so alle Merkmale einer „bürgerlichen Arbeiterpartei“.

Schlimmer noch: 1927, als die Arbeiterklasse spontan gegen den Faschismus und die Klassenjustiz aufstand, ließ die sozialdemokratische Führung die Proteste ins Leere laufen. Der Justizpalast brannte – doch Otto Bauer rief zum Rückzug und der Parteivorstand zwang die zum Kampf entschlossenen Schutzbündler, die eigenen Genossen abzudrängen.

1934 schließlich rächte sich diese Politik bitterlich: Die Dollfuß-Diktatur ließ die sozialdemokratische Arbeiter*innenbewegung zerschlagen. Die Helden und Heldinnen des 12. Februar unterlagen nicht wegen mangelnden Mutes – sondern wegen des Verrats der eigenen Parteiführung, die jahrzehntelang den revolutionären Weg verbarrikadiert hatte.

Nach 1945: Systempartei und „bürgerliche Arbeiterpartei“ in Reinform

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die SPÖ endgültig unverhohlen zu einer Partei des Kapitals. Die Rhetorik des “Austromarxismus” wurde über Bord geworfen. Die „Sozialpartnerschaft“, das zentrale Instrument der Nachkriegsordnung, war nichts anderes als ein Klassenkompromiss, bei dem die Sozialdemokratie als Vermittler zwischen Arbeit und Kapital auftrat. Ihr Ziel war es nicht, den Kapitalismus zu überwinden, sondern ihn stabil zu halten.

Lenins Analyse bestätigte sich vollends: Die SPÖ hatte eine Massenbasis in der Arbeiter*innenklasse, betrieb aber durchgehend eine bürgerliche Politik. Ob in der keynesianischen Phase der 1970er oder in der verstärkten Offensive des Kapitals gegen die Arbeiterinnen in den 1980er und 2000er Jahren – die Partei garantierte, dass die Arbeiterbewegung in geordneten Bahnen blieb und nie über den Kapitalismus hinaus dachte.

Ab den 1980ern verschärfte die Bourgeoisie weltweit ihre Angriffe auf die Lohnabhängigen: Privatisierungen, Deregulierung und der systematische Abbau sozialer Errungenschaften wurden zur neuen politischen Strategie des Kapitals. Die SPÖ akzeptierte diesen Kurs nicht nur, sondern setzte ihn aktiv um. Ob unter Franz Vranitzky oder Alfred Gusenbauer – die Partei verteidigte den Standort Österreich und damit die Interessen der Kapitalistenklasse. Sie sorgte für „sozial abgefederte“ Angriffe auf Arbeitsrechte, stimmte Kürzungen in Sozial- und Pensionssystemen zu und vollendete die Privatisierung zentraler Staatsbetriebe.

Andreas Babler – „Auf zum letzten Gefecht“?

Mit Andreas Babler als Parteivorsitzendem erlebte die SPÖ 2023 einen kurzen Hype unter linken Sozialdemokrat*innen. Endlich, so glaubten viele, gäbe es wieder eine „linke“ Sozialdemokratie. Doch Bablers radikalste Forderung war nicht einmal ein Bruch mit dem Kapitalismus – sondern ein Steuerprogramm, das in den 1970ern als reformistisch gegolten hätte. 

Trotz des Enthusiasmus an der Parteibasis fuhr die SPÖ bei den Nationalratswahlen im Herbst 2024 eines ihrer schlechtesten Ergebnisse ein. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich selbst während des Wahlkampfs Teile des Parteiapparats – sogenannte „Realpolitiker*innen“ gegen ihren eigenen Spitzenkandidaten wandten. Was natürlich doppelt widersinnig war, weil es nicht nur die eigenen Chancen schmälerte, sondern auch so tat, als würde die SPÖ tatsächlich unter Bablers Führung so  etwas wie einen „Linksschwenk“ machen.  

Bereits die erste Runde von Koalitionsverhandlungen bis zum 3. Jänner 2025 mit ÖVP und NEOS zeigte, wie schnell sich Babler und sein Team von den scheinbar „linken“ Wahlkampfthemen verabschiedeten. Die historische Funktion der SPÖ als „bürgerliche Arbeiterpartei“ bleibt auch unter Babler bestehen. 

Der revolutionäre Bruch ist nötig!

Die Geschichte der SPÖ ist eine Geschichte des Verrats – von 1914 bis heute. Wir betonen: „Verrat“ ist keine moralische, sondern eine politische Kategorie. Wir gestehen den meisten sozialdemokratischen Führer*innen zu, das sie ihren Weg der „Vermenschlichung“ des Kapitalismus nach bestem Wissen und Gewissen gehen, weil sie es einfach nicht besser wissen dürfen und können. Sie haben sich ganz offen programmatisch von der Idee des Sozialismus verabschiedet, das Maximum an Vision, zu dem sie fähig sind, ist ein wenig schmerzhafter, sozialerer  Kapitalismus. 

Wer ernsthaft den Kapitalismus überwinden will, kann nicht auf eine Partei setzen, die seit über einem Jahrhundert beweist, dass sie sich immer für die Stabilisierung des Systems entscheidet. Die Arbeiter*innenklasse braucht keine bessere Verwaltung des Kapitalismus – sie braucht eine revolutionäre Partei, die mit dem System, seinen Institutionen und seiner herrschenden Klasse bricht. Eine Partei, die nicht die Fehler von 1918, 1927 oder 1934 wiederholt.

Es gibt keine Abkürzungen: Der Weg zum Sozialismus führt nicht über eine reformierte SPÖ, sondern über eine unabhängige, revolutionäre Organisation der Arbeiter*innen. Es liegt an uns, diesen Weg zu gehen.