Hoch hinaus wollte ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer am 10.3.2023 bei seiner so genannten „Zukunftsrede“. Das jedenfalls ließ der Veranstaltungsort vermuten. Vor versammelter Anhängerschar holte der ehemalige Innenminister ausgerechnet im Arbeiterbezirk Favoriten im 35. Stock eines Wolkenkratzers zum vermeintlich großen, zukunftsweisenden Paukenschlag aus. Doch zu hören waren Wortspenden bestehend aus einem Amalgam vor allem aus Rassismus, Sozialabbau, Angriffen auf Tierschutzgesetze und rückwärts gewandter Verkehrspolitik („Österreich ist ein Autoland.“). Wir greifen den Umweltaspekt von Nehammers „Rede zur Lage der Nation“ heraus – immerhin koaliert seine Volkspartei auf Bundesebene mit der angeblichen „Umweltpartei“ den Grünen. Beinahe zeitgleich weist Niederösterreich den Weg wohin die Reise auch in Umweltfragen geht: Mehr Individualverkehr, weniger Umweltschutzmaßnahmen, dafür repressive Sondergesetze gegen Umweltschutzaktivist*innen.
Kurz zu den Eckdaten der Rahmenbedingungen: Der Treibhausgasausstoß in Österreich beträgt pro Kopf etwa 8,6 Tonnen und ist damit doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt. Davon sind rund 27 % verkehrsbezogene Emissionen vor allem vom motorisierten Individualverkehr. Er gehört damit zu den größten Stellschrauben, an denen es zu drehen gilt, da seit Jahren im Verkehrsbereich keine signifikante Verbesserung festzustellen sind. Zusätzlich zu den CO² Emissionen verursacht der motorisierte Individualverkehr auch den Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub. Beide begünstigen Atemwegserkrankungen. Bis vor kurzem war es Konsens in der EU, ein Verbot von Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren bis 2035 beschließen zu wollen. Nun legen sich Deutschland und andere Staaten quer. Mit dabei: die österreichische Bundesregierung.
„Freie Fahrt für freie Bürger“ – so lautet ein Jahrzehnte alter Slogan der CDU, der deutschen Schwesterpartei der ÖVP. In diesem Sinne wird verbissen reaktionäre Verkehrspolitik gemacht.
Ein ÖVP-naher Autofahrerklub macht sich seit etlichen Jahren für so genannte E-Fuels, also synthetisch hergestellte Kraftstoffe stark. Daran anknüpfend lautet die simple Nehammer-Formel für den CO²-neutralen, motorisierten Individualverkehr: einfach einen anderen Kraftstoff in den Tank füllen und alles wird gut. Doch diese Formel hat ebenso wie die E-Mobilität einen entscheidenden Haken: Es gibt derzeit für die (energieintensive) Herstellung von E-Fuels noch keine CO²-neutrale Stromproduktion (gilt übrigens auch für E-Autos). In Deutschland, einem der wichtigsten Länder der europäischen Autoindustrie, sind gerade einmal 41 % des erzeugten Stroms „grün“. Dann gibt es auch noch den Preis von EUR 4,50 pro Liter, der für die E-Fuels (die es ja noch nirgends zu kaufen gibt) veranschlagt werden. Zudem haben diese im Vergleich zur Elektromobilität den deutlich schlechteren Wirkungsgrad. Warum also E-Fuels besser als Elektromobilität sein sollen, wissen nur der ÖVP-Chef und seine Fans.
Sind daher E-Autos der Stein der Weisen, die führende Mobilitätsform am Landweg im 21. Jahrhundert? Mitnichten! Selbst wenn es gelingen sollte, Strom zur Gänze CO² frei sowie ohne Atomkraft zu gewinnen (was derzeit in Deutschland und der gesamten EU nicht in Sicht ist), bleibt neben den noch fehlenden Netzkapazitäten die Tatsache, dass ein wesentlicher Teil des CO² Ausstoßes im Lebenszyklus eines Autos bei dessen Produktion erfolgt.
Nach wie vor setzen kapitalistische Konzerne weltweit auf die Produktion von Fahrzeugen für den Individualverkehr – Autos (unabhängig von der Antriebsform) und neuerdings e.Scooter. Im bestehenden Wirtschaftssystem sind die Vorteile dieser verkehrspolitischen Orientierung für das Kapital gleich mehrfach erstrebenswert: die Produktion kann weitgehend reibungslos fortgesetzt bzw, auf andere Antriebsarten umgestellt werden; die Art und Weise, wie die arbeitenden Menschen zum Arbeitsplatz gelangen, an dem sie ihre Arbeitskraft verkaufen und Mehrwert für die Kapitalist*innen schaffen, wird zum individuellen Problem der/des Einzelnen gemacht. Dadurch wiederum wird die Ware „Automobil“ verkauft, also „verwertet“ – und die Proletarier*innen, die sie herstellen, werden so gleich doppelt ausgenommen, als Produzent*innen und als Konsument*innen.
In einer solidarischen Gesellschaft wäre hingegen eine Grundversorgung mit Mobilität eine Selbstverständlichkeit. Diese ist sowohl in Österreich als auch im globalen Maßstab nicht gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten Österreichs ist eine generelle Unterversorgung zu bemerken, da sich auf Grund der sozialen Ungleichheiten z. B. im Waldviertel nicht jeder ein Auto leisten kann.
Vergemeinschaftung von Mobilität und damit der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist eine gute und richtige Forderung, ebenso das Streben danach, den Individualverkehr CO² neutral zu machen .
Sogar unter kapitalistischen Bedingungen ließen sich kurzfristig Maßnahmen zur Entlastung der Umwelt umsetzen. Eine Möglichkeit sind Carsharingmodelle, Anrufsammeltaxis sowie Shuttledienste bei Ausbau des öffentlichen Verkehrs, also Gemeinsamkeit statt Vereinzelung in der Mobilität. Die Nahversorgung muss wieder in die Wohngebiete verlegt werden, statt für Einkaufszentren an den Ortsrändern die Bodenversiegelung voranzutreiben. Auch die Umrüstung von Benzin- und Diesel- auf Erdgasbetrieb ist technisch gut machbar – auch für Lastkraftwagen.
Klingt einfach – ist es auch! Allerdings gibt es einen Umstand, welcher der Umsetzung derartiger Vorhaben im Weg steht: das aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, genannt Kapitalismus.
Sämtliche Überlegungen, auf bürgerlich-demokratischem Weg entscheidende ökopolitische Verbesserungen zu erreichen, waren und sind auf Grund der systemimmanenten Wachstumslogik und Profitgier des Kapitalismus zum Scheitern verurteilt. Nur eine solidarische, sozialistische Gesellschaft, eine nach den Bedürfnissen der Menschen demokratisch geplante Wirtschaft ohne Profitinteressen wird die Unbewohnbarkeit des Planeten Erde verhindern können.