Kurz ist weg – jetzt alle Kräfte der Arbeiter_innenbewegung für eine sozialistische Offensive mobilisieren!

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Zweite Erklärung der GKK zur Regierungskrise in Österreich

Kurz ist weg – jetzt alle Kräfte der Arbeiter_innenbewegung für eine sozialistische Offensive mobilisieren!

Die Wahlen zum „Europaparlament” haben zu einer Verschiebung weg von den klassischen „Volksparteien” EVP und Sozialdemokratie hin zu noch konservativeren, aggressiveren und reaktionäreren Fraktionen der Kapitalist_innenklasse (ALDE, diverse Nationalist_innen) geführt. Zwar konnten die extrem reaktionären bis faschistoiden Parteien Zuwächse erzielen, der von ihnen angekündigte große Durchbruch ist aber ausgeblieben. Dafür konnten sich die Grünen und ökologischen Parteien in nahezu allen Ländern der EU konsolidieren oder, wie in Deutschland, beträchtliche Wahlerfolge erzielen.

Die in der Europäischen Volkspartei zusammengeschlossenen traditionellen bürgerlichen Parteien mussten ebenso Verluste hinnehmen wie, in noch stärkerem Ausmaß, die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament.

In Österreich konnte die „neue Volkspartei” unter Sebastian Kurz als einzige Partei nennenswert von der aktuellen innenpolitischen Krise profitieren (34,9% der Stimmen). Wenig erstaunlich wechselten einige FPÖ-Wähler_innen zur ÖVP, entscheidend für das Abschneiden der Partei war jedoch die Mobilisierung der ehemaligen Nichtwähler_innen.

Mit 17,2% der Wähler_innenstimmen (-2,5%) waren die Verluste der Freiheitlichen deutlich geringer als erwartet. Mit einem Minus von 0,7 % (23,4%) blieb die SPÖ stabil, ebenso wie die Grünen (14%, -0,6) und die Neos (8,7%, +0,6%). Die KPÖ, die bei den letzten Europawahlen nicht alleine angetreten war, erzielte 0,8 % der Stimmen (2014 kandidierten KPÖ, Piratenpartei, Der Wandel und Unabhängige unter der Listenbezeichnung „Europa anders” und kamen gemeinsam auf 2,1% der Stimmen).

Das Ergebnis der Wahlen zum Europaparlament in Österreich ist natürlich vor dem Hintergrund des Platzens der türkisblauen Koalition zu sehen und zu analysieren. In erschreckender Weise bestätigt sich wieder einmal der Satz aus dem Übergangsprogramm der Vierten Internationale von 1938: „Die Krise der Menschheit ist die Krise der revolutionären Führung”.

Das Fehlen einer wirklichen revolutionären Arbeiter_innenpartei entwaffnet die lohnabhängige Bevölkerung in Stadt und Land politisch, ebenso wie die Jugend in Ausbildung, die Arbeitslosen, die prekär Beschäftigten und Teile des Kleinbürgertums, die von ihrer Klassenlage in Richtung Proletariat tendieren.

Die Sozialdemokratie als bürgerliche Arbeiter_innenpartei offenbarte in dieser innenpolitischen Krisensituation ihre völlige Unfähigkeit, auch nur ansatzweise von der Implosion der Koalition der beiden offen bürgerlichen Parteien zu profitieren.

Es ist völlig verfehlt, das Versagen der Sozialdemokratie der schlechten Rhetorik oder dem wenig charismatischen Auftreten der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner anzulasten. Die Sozialdemokratie als langjährige Geschäftsführerin des bürgerlichen Staates im Dienste der herrschenden Klasse hat schlicht und ergreifend die Glaubwürdigkeit bei einem guten Teil der arbeitenden Bevölkerung verspielt. Das heißt andererseits nicht, dass diejenigen, die heute nach wie vor in der SPÖ organisiert sind oder ihr ihre Stimme geben, großartige Illusionen in diese Partei haben. Genau darin besteht der Widerspruch der bürgerlichen Arbeiter_innenpartei. Immer noch gibt es einen historisch und oft „familiär-erblich” bedingten Reflex, dass arbeitende Menschen und Jugendliche in dieser Partei so etwas wie einen Garanten für soziale Sicherheit, progressivere gesellschaftliche Ideen oder auch nur ein Bollwerk der bürgerlichen Demokratie sehen.

Was die offen bürgerlichen Parteien FPÖ und ÖVP seit einigen Jahren spielen ist der offene Bruch mit den klassischen Regeln der bürgerlichen Demokratie und des bürgerlichen Parlamentarismus, wie sie Teil der österreichischen Nachkriegsordnung gewesen sind. Die Bourgeoisie ist bereit, immer offener eine Politik zu betreiben, die in Richtung eines autoritären Regimes geht. Sie tut das nicht deswegen, weil ihre Herrschaft wie in den 20er Jahren durch einen revolutionären Ansturm gefährdet ist. Sie tut es ganz einfach deswegen, weil sie es kann. Weil die Arbeiter_innenklasse durch ihre politische Führung entpolitisiert, demoralisiert, bewusstlos gemacht worden ist.

Gegenüber Strache, Meinl-Reisinger und Kurz kann die Sozialdemokratie nur deswegen als fortschrittlich erscheinen, weil sie ungebrochen den hehren Idealen der bürgerlichen Demokratie anhängt. Das führt dann zu so paradoxen Situationen wie einer langmächtigen Diskussion im Parteivorstand, ob es zulässig ist, einen Misstrauensantrag gegen den diskreditierten Bundeskanzler Kurz im Parlament einzubringen. Was die SPÖ als „Sturz der Regierung” interpretiert, nämlich eine Abstimmung im Parlament, gehört in anderen imperialistischen Ländern zur politischen Routine.

Die SPÖ ist in der derzeitigen Situation orientierungs- und wehrlos. Ihr erklärtes Ziel ist ein Zurück zu einem System der funktionierenden Sozialpartnerschaft. Angesichts der Schwächung der Gewerkschaften, des Bedeutungsverlustes der sozialdemokratischen Organisationen und der weitgehenden Zerschlagung des Klassenbewusstseins der arbeitenden Bevölkerung kann die Uhr der Geschichte nicht zurückgedreht werden. Die heimischen Kapitalist_innen fühlen sich heute stark genug, statt schöner Worte knallharte Attacken auf die Rechte der Lohnabhängigen zu machen.

Das Gift der Ausländerfeindlichkeit, des als „Patriotismus” schöngeredeten Nationalismus, der Entsolidarisierung, das den Massen über Jahrzehnte zunächst in kleinen Dosen und dann immer kräftiger eingeträufelt wurde, zeigt jetzt seine Wirkung. Das bockbeinige Verharren der Sozialdemokratie am Boden des Kapitalismus, das Mittragen oder selbständige Schnüren von Sparpaketen, das Schachern um Verwaltungspositionen in Staat und kapitalistischer Wirtschaft hat die Schichten der Bevölkerung, die tatsächliche Probleme haben, anfällig für die Demagogie der reaktionärsten und faschistoiden Parteien gemacht.

Der Vormarsch der extrem reaktionären, nationalistischen und faschistoiden Parteien in ganz Europa und Österreich ist die historische Strafe für das Versagen der Führungen der Arbeiter_innenorganisationen. Mit Herumjammern und besänftigenden Worten wird man der reaktionären Offensive nicht Herr. Genauso wäre es falsch, wenn Revolutionärinnen und Revolutionäre plötzlich als Bannerträger_innen der bürgerlichen Demokratie und ihrer Institutionen auftreten würden.

Selbstverständlich werden wir wie bisher alle Angriffe auf demokratische Errungenschaften mit allen unseren Mitteln bekämpfen und rufen im Geiste einer Arbeiter_inneneinheitsfront alle Organisationen, die aus der Arbeiter_innenbewegung kommen, dazu auf, das gleiche zu tun.

Das bestimmt auch unsere Taktik für die bevorstehenden Wahlen im September. Wir begrüßen es, das nach langem Zögern die SPÖ-Fraktion im Nationalrat den erfolgreichen Misstrauensantrag gegen den Architekten der reaktionären türkisblauen Kapitalist_innen-Regierung eingebracht hat. Damit haben sich bis zum Wahltermin im Herbst deutlich bessere Kampfbedingungen gegen die reaktionäre Politik der bisherigen Regierungsparteien ergeben. Ohne jede Illusion in den bürgerlichen Parlamentarismus nützen internationalistische Kommunistinnen und Kommunisten Wahlen, um ihr eigenes Programm so gut wie möglich zur Diskussion zu stellen. Da wir zu schwach sind, um eine revolutionäre Kandidatenliste zu präsentieren, rufen wir schon jetzt dazu auf, ausschließlich aus der Arbeiter_innenbewegung kommende Parteien zu wählen. Keine Stimme den bürgerlichen Parteien!

Nach wie vor genießt die Sozialdemokratie das Vertrauen wichtiger Schichten von, vor allem gewerkschaftlich organisierten, Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten. An sie wenden wir uns in dieser neuen politischen Situation, die große Chancen bietet, endlich einen Gegenpol gegen die vereinigte Reaktion zu schaffen:

Wenn ihr die Rückkehr von Kurz, Hofer, Kickl und ihresgleichen verhindern wollt, müssen SPÖ- und ÖGB Führung mit der Bourgeoisie brechen; nostalgische Träumereien von der angeblichen Sozialpartnerschaft sollen euch nur einlullen und eine neue Phase der Zusammenarbeit zwischen der Arbeiter_innenbürokratie und den Unternehmer_innen ermöglichen.

Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass die Kapitalist_innen und ihre Parteien unter dem Deckmantel von Parlamentsbeschlüssen (z.b. die Arbeitszeitverlängerung oder die Zerschlagung der Sozialversicherungen) ihre Profitinteressen durchdrücken, weil wir angeblich nichts dagegen machen können. In anderen europäischen Ländern, unter anderem in Frankreich, haben wir gesehen, wie die Lohnabhängigen und die Jugend reaktionäre Gesetze zumindest teilweise durch Streikaktionen blockieren oder verhindern können.

Vor allem die Jugend hat in ganz Europa und auch in Österreich in den letzten Monaten deutlich gezeigt, dass sie keineswegs entpolitisiert oder passiv ist. Bei antirassistischen und antifaschistischen Aktionen sind zahlreiche Auszubildende, Schüler_innen und Studierende auf die Straße gegangen; an den „Fridays for future” haben sogar sehr junge Schüler_innen teilgenommen.

Dementsprechend haben die politischen Vertreter_innen der Bourgeoisie mit Herablassung, Häme oder Aggression auf diese Bewegungen reagiert. Die internationalistischen Kommunist_innen stehen selbstverständlich in diesen Bewegungen an der Seite der kämpferischen Jugend. Ebenso unterstützen wir den Kampf gegen Zensur und Reglementierung im Internet. Auch zu diesen Themen, die Teil des Klassenkampfes sind, muss die bürgerliche Arbeiter_innepartei SPÖ und die ÖGB-Spitze klar Stellung nehmen.

“Genug ist genug”, erklärte Sebastian Kurz, als er verlogen in die Opferrolle schlüpfte und erklärte, warum er die Zusammenarbeit mit seiner zuvor hochgelobten blauen Minister_innenriege beendete. Auch wir sagen:

Neuwahlen werden nichts ändern! Genug ist genug!

In unserer ersten Erklärung zur Regierungskrise haben wir gesagt:

„Wir haben genug von

  • sozialpatriotischen und offen bürgerlichen Parteien, die mit teils wechselnden Namen und Farben die Geschäfte der Kapitalist_innen unterstützen und verwalten
  • Löhnen in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen (Arbeiter, Arbeiterinnen, Angestellte, „geringfügig” Beschäftigte, Werkvertragsnehmer_innen, Scheinselbstständige), die zum Leben nicht ausreichen
  • Versuchen, uns zu immer längerer Arbeit auf Kosten unserer Gesundheit zu zwingen – täglich, jährlich oder auf die Lebenszeit gerechnet
  • Mieten, die jährlich weniger zum Leben übrig lassen und zunehmend unleistbar werden
  • dem kapitalistischen Lohnsystem, Angst um den Arbeitsplatz und Arbeit, die der Profitmaximierung dient
  • Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der Spaltung unserer Klasse nach Herkunft, Religion oder Geschlecht
  • dem Abbau grundlegender bürgerlich-demokratischer Freiheiten, dem Ausbau staatlicher Überwachung und Bespitzelung
  • ständiger Fremdbestimmung durch eine kleine Minderheit der Bevölkerung, welche die Unternehmen und Vermögen besitzen

Nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand!

  • Bilden wir gemeinsame Aktionskomitees aller Aktivist_innen, die sich auf die Arbeiter_innenbewegung beziehen – in den Betrieben, Schulen, Universitäten, Stadtteilen und Dörfern – um den Widerstand gegen die Angriffe im Interesse des Kapitals zu organisieren und zurückzuschlagen.
  • Kämpfen wir für einen arbeiterdemokratischen Gewerkschaftsbund und arbeiterdemokratische Einzelgewerkschaften, in denen alle Funktionäre und Funktionärinnen gewählt, rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein müssen, und deren Entlohnung nicht höher sein darf als die eines qualifizierten Facharbeiters.
  • Die Aktionskomitees sollen zügig eigene Zeitungen und elektronische Informationsmedien schaffen, um ihre Ziele zu propagieren und der in den bürgerlichen Medien vertretenen reaktionären oder klassenversöhnlerischen Ideologie entschieden entgegenzutreten!

Die Aktionskomitees, im Bündnis mit kämpferischen Gewerkschaften, könnten die Basis einer Arbeiter_innenregierung sein – einer Regierung ohne kapitalistische Minister_innen, die sich ausschließlich an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen orientiert”.

Das wird die Achse unserer politischen Arbeit in den nächsten Monaten sein.

Gruppe Klassenkampf, 28.5.2019