Wer geglaubt hat, ein neuer Faschismus würde wie ein Zombie des alten Nazismus daherkommen, in zerfetzter SA- oder SS-Uniform, mit Heil-Hitler-Rufen und Hakenkreuzen, hat sich (teilweise) getäuscht. Natürlich gibt es sie, die alten und jungen Kellernazis, mit ihrer einschlägigen Symbolik: 88 (achter Buchstabe des Alphabets daher HH, daher “Heil Hitler”), eintätowierten SS-Runen, Swastikas und Reichsadlern. Die meist kahlgeschorenen Rabauken sind, wie ihre Vorbilder aus den 30er Jahren, die Schlägertrupps, die Migrantinnen und Migranten oder Aktivistinnen und Aktivisten der Arbeiterbewegung attackieren, als “Ordner” bei FPÖ-Aufläufen eingesetzt werden und Austro-PEGIDA-”Spaziergänge” flankieren.
Mittlerweile aber hat sich der Faschismus in Österreich neu gestyled, hat neue Parolen und ein neues Outfit gefunden – und damit in kurzer Zeit an Boden gewinnen können. Der alte Deutschnationalismus, wesentliches ideologisches Merkmal der Nazi-Verehrer, hat in Österreich ohnehin zusehends an Bedeutung verloren, weil seine “Wirtskörper” (die Reste der nazistisch versifften Kriegsteilnehmergeneration) weggestorben sind. Ein Österreichnationalismus konnte nicht als Ersatz dienen – ein wirkliches österreichisches Nationalbewusstsein hat sich kaum entwickelt, paradoxerweise waren es die österreichischen Stalinisten, die am inbrünstigsten die Farben rot-weiß-rot vor sich hergetragen haben.
Wieder einmal sind es die Burschenschaften, in denen sich der Keim für die neue faschistische Bewegung gebildet hat – die Identitären, ein politisches Franchise-Unternehmen, das seine Wurzeln in Frankreich hat. Ihre Führer – Sellner, Markovic, Rusnjak und wie sie alle heißen – hatten ihre ersten politischen Schritte teilweise in mittlerweile verbotenen neonazistischen Banden wie der “Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition” VAPO des noch einige Jahre einsitzenden Nazis Gottfried Küssel gemacht. Dass im Umfeld der NSDAP-Wiederaufbaufraktion allerdings kaum ein “Staat” zu machen sein würde, war den Burschenschaftern bald klar. Betrunkene Hools und renitente Skins waren zwar das ideale “Kanonenfutter” für Schlägereien, konnten aber kaum Sympathien in der Bevölkerung wecken. Einer der ideologischen Inspiratoren der “neurechten Szene”, FPÖ-Ideologe Andreas Mölzer, äußerte sich wiederholt in Interviews naserümpfend über die “prollige” rechte Szene.
Das Heil der rechten Sieg-Heils-Armisten kam diesmal nicht aus Deutschland, sondern aus dem eigentlich verachteten welschen Frankreich: Dort bildete sich 2003 der “Bloc Identitaire” (Identitärer Block) als Sammelbewegung diverser reaktionärer und faschistischer (Jugend)Banden, nachdem ein Mitglied der Vorläuferorganisation Unité Radicale 2002 nach einem geplanten Attentat auf den französischen Präsidenten verhaftet wurde.
Das Programm der französischen Identitären ist letzten Endes das Vorbild für deren österreichische und deutsche Franchisenehmer: “Nationalismus” wird durch “Patriotismus”, die Idee der “arischen Herrenrasse” durch die Ideologie einer Überlegenheit der “weißen Rasse” ersetzt, als ideologischer Kleister der modernen Version der alten “Volksgemeinschaft (also der Zurückweisung jedes Klassenkampfs) muss die “Verteidigung der europäischen Werte” herhalten. Mit dem Schlagwort der “Rekonquista” (Rekonquista ist die Bezeichnung für die Rückeroberung des maurischen Spanien durch christliche Heere) werden auch reaktionäre christliche Militante ins identitäre Boot geholt, die vom nazistisch orientierten Faschismus bekämpft wurden.
Die Identitären mobilisieren in Österreich und Deutschland zu allererst mit ausländerfeindlichen und antiislamischen Parolen. Die alten Ausländer-Raus-Parolen werden mit schleimigem “Ethnopluralismus” getarnt: “Wir wollen ja den armen Flüchtlingen helfen, und zwar dort wo sie herkommen, und dort sollen sie auch wieder zurück gehen” (wobei es natürlich keine Kritik an den imperialistischen Interessen in Nordafrika, Westasien und der Subsaharazone gibt). Ausgenommen sind hier die USA – Antiamerikanismus ist bei den reaktionären Gruppierungen durchaus schick. Einerseits, weil das “Rassengemisch” in den USA als abschreckendes Beispiel herhalten muss; und zweitens, weil es aus pragmatischen Gründen einfacher ist, von einem faschistischen “weißen” Großeuropa zu schwadronieren, als von einem von Latinos, Schwarzen und Juden “gesäuberten” Amerika. Das überlässt man den dortigen Gesinnungsfreunden…
Die Propaganda wird mit Angstparolen geführt – “der große Austausch” müsse verhindert werden, Warnung vor dem “Volkstod”. Perfide (natürlich überwiegend marxistische) Politiker und Machteliten wollten den “gesunden europäischen Volkskörper” durch “Vermischung” mit den “Braunen” (nein, nicht den Nazis, sondern Menschen mit dünklerer Hautfarbe) zersetzen – die Folge wäre die “Scharia in Europa”, der “große Austausch” eben.
Diese paranoide Sicht auf die “marxistischen Zersetzer” ist einerseits ein direktes Bindeglied zum italienischen “Ur-Faschismus” der 20er Jahre und dem deutschen Nationalsozialismus, andererseits wurden diese Untergangsszenarien durch die wirren Texte des skandinavischen Massenmörders Anders Breivik neu aufgekocht.
Im Gegensatz zur dumpfen Kellernaziszene versuchen die Identitären, ihrer Bewegung einen “geschichtsphilosophischen” Anstrich zu geben. Dabei bedient man sich Versatzstücken aus dem Repertoire der italienischen Casa-Pound-Faschisten, die sowas wie einen “rechten Gramscianismus” predigen (Antonio Gramsci, 1891 – 1937, war ein von den Faschisten verfolgter kommunistischer Politiker, der sich unter anderem mit Staatstheorie und der Frage der ideologischen Hegemonie in bürgerlichen Gesellschaften auseinandersetzte), holt sich Elemente beim Altnazi Heidegger und anderen Schreibtischtätern der Vergangenheit. Diese giftige Mixtur wird mit einer Prise “christlicher Werte” angerührt, und daraus ein Cocktail gerührt, der im universitären Milieu gut ankommt: Die dortigen Identitären fühlen sich als “was Besseres”, sie können alle ihre Zukunftsängste bequem auf ein neues Feindbild schieben – den Islam (Antisemitismus kommt heute nicht mehr ganz so gut), und hoffen, durch ihr reaktionäres Agieren später über die Seilschaften der Burschenschaften in Entscheidungspositionen der bürgerlichen Gesellschaft gehievt zu werden.
Tatsächlich gibt es diese “Parallelgesellschaft” der faschistischen Traditionsverbände, durch die FPÖ ist ihr Einfluss in den letzten Jahren enorm gewachsen.
Um Jugendliche aus der vom Kapitalismus geförderten “Spaßgesellschaft” zu rekrutieren, greifen die Identitären auf aktionistische Propagandaformen wie Straßenperformances (z.B. gespielte IS-Hinrichtungen), Flashmobs etc. zurück. Zugleich geben sich ihre Sprecher betont “gewaltfrei”, obwohl immer wieder deutlich drohende Töne anklingen.
Aber wenn die Identitären – gestützt auf breite Bündnisse mit anderen reaktionären Gruppen, Bürgerinitiativen und Einzelindividuen – imstande sind, größere Menschenmengen auf die Straße zu bringen, fällt die Maske rasch. Da sehen die “Intellektuellen” nicht einfach zu, wenn ihre “prolligen” Unterstützer Jagd auf jugendliche Antifaschistinnen und Antifaschisten machen, da werden auch von bekannten Führungskadern der “patrtiotischen Jugend” verbotene Teleskopschlagstöcke und Schlagringe gezückt.
Vor einigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass faschistische Gruppen in Österreich regelmäßig hunderte, mitunter sogar über tausend Personen auf die Straße bringen, und nicht nur in den Großstädten, sondern an der Grenze, um gegen die “Flüchtlingslawine” zu protestieren. Die massive Ausstattung dieser Banden mit Fahnen, Transparenten, Lautsprecheranlagen…. zeigt, dass nicht zu knapp Geld in Richtung der neuen Faschisten fließt …
Ausländerfeindlichkeit, Angst vor “den Fremden”, Sündenbockphantasien und die Verwendung plumper Lügen über angebliche Supermarktplünderungen durch Flüchtlinge und ähnliches – das sind die Grundlagen, auf denen die österreichischen PEGIDA-Ableger, Identitäre, FPÖ-Poilitiker und FPÖ-Gliederungen wie der RFS zusammenarbeiten und in der “Mitte der Gesellschaft” frustrierte Kleinbürger, verängstigte Lohnabhängige, repressionslüsterne Beamte und sonstige in der kapitalistischen Gesellschaft zu kurz gekommene zusammenfassen und indoktrinieren wollen.
Zugleich manifestiert sich hier ein Versagen der traditionellen Arbeiterorganisationen und der Gewerkschaften.
Statt mit eigenen Losungen und Lösungen auf die Frage der Massenmigration einzugehen, haben sich die sozialdemokratischen Parteiführer als brave Mitverwalter des kapitalistischen Staates zu Handlangern der imperialistischen “Flüchtlingspolitik” gemacht. Die Gewerkschaftsbürokratie hat kein Programm entwickelt, wie man die Migrantinnen und Migranten organisieren und in das österreichische Proletariat integrieren kann, um zu verhindern, dass Flüchtlinge mittelfristig vom Kapital als Lohndrücker ausgenutzt werden, um die Arbeiterklasse zu spalten, oder, in Ghettos und Lagern eingepfercht, jede Kampfperspektive zu verlieren.
Zugleich haben viele zentristische Organisationen – ebenso wie “humanitäre” und religiöse NGOs – den Kampf gegen reaktionäre Tendenzen innerhalb der Flüchtlingsmassen vernachlässigt. Ein falscher “antirassistischer” Reflex, der sich als “Kampf gegen die Islamophobie” versteht, hat reaktionär-religiösen und islamofaschistischen Strömungen freie Hand gelassen.
Die beiden Faschismen, die sich hier zeigen, ergänzen einander in ihrer Wirkungsweise. Der fremdenfeindliche Faschismus der Identitären und ihrer Kumpane ist Wasser auf die Mühlen islamofaschistischer Bewegungen, und deren Agieren wiederum schafft das ideale Feindbild, mit dem die heimischen Faschisten neue Sympathisanten gewinnen können.
Aufklärung alleine aber wird den faschistischen Sumpf nicht trockenlegen können. Der Faschismus, egal in welcher Erscheinungsform, ist in erster Linie der Todfeind der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen. Egal ob Mussolinis italienischer Faschismus ab 1919/1920 oder die Nazibewegung ab 1923 in Spanien oder die spanische Falange ab den frühen 30er Jahren – der gemeinsame Nenner der faschistischen Bewegungen ist das strategische Ziel der Atomisierung der Arbeiterbewegung, die Zerstörung ihrer Organisatioen und die Brechung des proletarischen Klassenbewusstseins mit brutaler Gewalt. Die Organisierung der Selbstverteidigung ist ein wesentlicher erster Schritt, noch wichtiger aber ist es, ein Programm zu entwickeln, das die Arbeiterinnen und Arbeiter politisch gegen die reaktionären Rattenfänger immunisiert und bewaffnet.