Grundsätzliches zu unserer Wahlempfehlung: “Keine Stimme den bürgerlichen Parteien!”

Zeiten bevorstehender Wahlen sind ein guter Anlass, einige prinzipielle Punkte der marxistischen Theorie in Erinnerung zu rufen.

Die Politik der Kommunistischen Internationale (Komintern) zur Arbeit in Parlamenten und zur Wahlbeteiligung war ein zentrales Thema während der frühen Jahre der Organisation. Sie stand in enger Verbindung mit der marxistischen Analyse des Staates und der politischen Strategie der Arbeiterbewegung, insbesondere im Kontext der revolutionären Kämpfe nach dem Ersten Weltkrieg. 

Inhalt:

Marxistische Staatsanalyse und Parlamentarismus

Lenins Position in “Der Linke Radikalismus”

Die Thesen des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationale

Kritik am Reformismus und an der Sozialdemokratie

Parlamentarismus als taktische Waffe im Klassenkampf

Die „bürgerlichen Arbeiterparteien“ und unsere Haltung ihnen gegenüber

Friedrich Engels: Arbeiteraristokratie und bürgerliche Arbeiterpartei

Lenin und die Bolschewiki: Kritik am Reformismus

Die Kommunistische Internationale und die Abgrenzung von der Sozialdemokratie

Die Entwicklung bis heute: Sozialdemokratie und „neue“ Arbeiterparteien

Transformation der stalinistischen Parteien in neue bürgerliche Arbeiterparteien

Nationalratswahlen 2024 in Österreich: Zentrismus und KPÖ – eine Liebesgeschichte

Die Internationale Sozialistische Alternative ISA (Ex-SLP)

Die Sozialistische Offensive SO

Der Funke

Die Revolutionäre Sozialistische Organisation RSO

Der Arbeiter*innenstandpunkt

Unsere Wahlposition: Keine Stimme den bürgerlichen Parteien!

Marxistische Staatsanalyse und Parlamentarismus

Für Marxisten, insbesondere nach Marx und Engels, stellt der Staat ein Instrument der herrschenden Klasse dar, um ihre Herrschaft zu sichern. Marx selbst sprach in der Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ davon, dass die “Exekutive” die Hauptmacht des Staates ist, und das Parlament oft als „Feigenblatt“ dient, um diese Herrschaft zu legitimieren. Es war jedoch auch klar, dass der Parlamentarismus – als Ausdruck der bürgerlichen Demokratie – eine Arena ist, in der Kämpfe um die politische Hegemonie stattfinden können. Die Aufgabe der Arbeiterklasse besteht darin, den bürgerlichen Parlamentarismus zu durchbrechen und eine revolutionäre Form der Demokratie, die Diktatur des Proletariats, zu errichten.

Lenins Position in “Der linke Radikalismus”

Lenins Schrift “Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus” (1920) war ein bedeutender Beitrag zur Debatte über die parlamentarische Taktik der Kommunistischen Parteien. Lenin richtete sich gegen diejenigen, die den Parlamentarismus aus prinzipiellen Gründen ablehnten und ihn als unvereinbar mit der revolutionären Strategie ansahen. Diese „linken“ Radikalen argumentierten, dass das Betreten der bürgerlichen Parlamente eine Kapitulation vor der bürgerlichen Herrschaft darstelle.

Lenin argumentierte jedoch, dass diese Position einer „Kinderkrankheit“ des Kommunismus gleichkomme. Für Lenin war der Parlamentarismus, trotz seiner Beschränkungen und seines repressiven Charakters, eine Taktik, die genutzt werden musste, um den Kampf der Arbeiterklasse voranzutreiben. Lenin schrieb:

„In Westeuropa und Amerika hat sich das Parlament den besonderen Haß der fortgeschrittenen Revolutionäre aus der Arbeiterklasse zugezogen. Das ist unbestreitbar. Es ist durchaus begreiflich, denn man kann sich schwerlich etwas Niederträchtigeres, Gemeineres, Verräterischeres vorstellen als das Verhalten der übergroßen Mehrheit der sozialistischen und sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament während des Krieges und nach dem Kriege. Es wäre aber nicht nur unvernünftig, sondern geradezu verbrecherisch, dieser Stimmung nachzugeben, wenn die Frage entschieden werden muß, wie das von allen erkannte Übel zu bekämpfen ist (…) Solange ihr nicht stark genug seid, das bürgerliche Parlament und alle sonstigen reaktionären Institutionen auseinanderzujagen, seid ihr verpflichtet, gerade innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten, weil sich dort noch Arbeiter befinden, die von den Pfaffen und durch das Leben in den ländlichen Provinznestern verdummt worden sind. Sonst lauft ihr Gefahr, einfach zu Schwätzern zu werden.“

Lenin betonte, dass Kommunisten den Parlamentarismus nutzen sollten, um die politische Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse zu fördern. Dabei war für ihn klar, dass die parlamentarische Arbeit nicht das Endziel sein konnte. Vielmehr sollte sie als Tribüne dienen, um die revolutionäre Perspektive in die Massen zu tragen und den Kontrast zwischen den Zielen der proletarischen und der bürgerlichen Demokratie herauszustellen.

Die Thesen des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationale

Der 2. Kongress der Kommunistischen Internationale (1920), der unter Lenins Führung stattfand, stellte eine systematische Auseinandersetzung mit der Frage des Parlamentarismus und der Wahlbeteiligung dar. In den “Leitsätzen” über den Parlamentarismus wurde festgelegt, dass die kommunistischen Parteien in bestimmten Situationen an Wahlen und parlamentarischen Aktivitäten teilnehmen sollten. In den Thesen wurde festgehalten:

„Gegen die Teilnahme am parlamentarischen Kampf kann durchaus nicht die Begründung angeführt werden, dass das Parlament eine bürgerliche Staatsinstitution sei. Die kommunistische Partei geht in diese Institution nicht hinein, um dort organische Arbeit zu leisten, sondern um vom Parlament aus den Massen zu helfen, die Staatsmaschine und das Parlament selbst durch die Aktion zu sprengen (z. B. die Tätigkeit Liebknechts in Deutschland, der Bolschewiki in der zaristischen Duma, in der “demokratischen Beratung”, in dem “Vorparlament” Kerenskis, in der “Konstituierenden Versammlung und in den Stadtdumas, schließlich die Tätigkeit der bulgarischen Kommunisten). (…)

14. Die Wahlkampagne selbst soll nicht im Geiste der Jagd auf eine Höchstzahl von Parlamentsmandaten geführt werden, sondern im Geiste revolutionärer Mobilisierung der Massen für die Losungen der proletarischen Revolution. Die Wahlkampagne soll von der gesamten Masse der Parteimitglieder geführt werden und nicht nur von der Elite der Partei. Es ist notwendig, dabei alle Massenaktionen (Ausstände, Demonstrationen, Gärungen unter den Soldaten und Matrosen usw.), die gerade stattfinden, auszunutzen und mit ihnen in enge Fühlung zu kommen. Das Heranziehen aller proletarischen Massenorganisationen zur aktiven Tätigkeit ist notwendig.

15. Bei Wahrnehmung aller dieser wie auch der in einer besonderen Instruktion angeführten Vorbedingungen ist die parlamentarische Tätigkeit das direkte Gegenteil jenes gemeinen Politikasterns, das die sozialdemokratischen Parteien aller Länder anwenden, die ins Parlament gehen, um diese “demokratische” Institution zu unterstützen oder sie bestenfalls zu “erobern”. Die Kommunistische Partei kann ausschließlich nur für die revolutionäre Ausnutzung des Parlamentarismus im Geiste Karl Liebknechts und der Bolschewiki sein.

[Abschnitt III.] 8. Jeder kommunistische Abgeordnete des Parlaments muss dessen eingedenk sein, dass er kein Gesetzgeber ist, der mit anderen Gesetzgebern eine Verständigung sucht, sondern ein Agitator der Partei, der ins feindliche Lager entsandt ist, um dort Parteibeschlüssen nachzukommen. Der kommunistische Abgeordnete ist nicht der losen Wählermasse, sondern seiner legalen oder illegalen kommunistischen Partei gegenüber verantwortlich.

12. Die kommunistischen Abgeordneten haben sogar in den Fällen, wenn es ihrer nur einige im ganzen Parlament gibt, durch ihr ganzes Betragen dem Kapitalismus gegenüber eine herausfordernde Haltung zu zeigen. Sie dürfen nie vergessen, dass nur derjenige des Namens eines Kommunisten würdig ist, der nicht nur in Worten, sondern auch in seinen Taten ein Erzfeind der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer sozialpatriotischen Handlanger ist.”

(https://www.sozialistischeklassiker2punkt0.de/sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/komintern-1/2-weltkongress/6-leitsaetze-ueber-die-kommunistischen-parteien-und-den-parlamentarismus.html)

Wichtig ist hier die Betonung, dass der Kommunismus den Parlamentarismus als Plattform für revolutionäre Propaganda und als Möglichkeit der Entlarvung der bürgerlichen Heuchelei betrachtete. Es war nicht die Aufgabe kommunistischer Abgeordneter, sich in Reformverhandlungen zu verstricken, sondern den Klassencharakter des bürgerlichen Staates offenzulegen.

Ein weiteres zentrales Element der Thesen war die Betonung der Verbindung zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Arbeit. Das Parlament durfte nie isoliert von den Massenbewegungen betrachtet werden, sondern sollte stets in Wechselwirkung mit Streiks, Massenmobilisierungen und revolutionären Aktionen stehen. Diese Dialektik zwischen Parlamentarismus und revolutionärer Massenbewegung war für die Strategie der Komintern von entscheidender Bedeutung.

Kritik am Reformismus und an der Sozialdemokratie

Ein zentraler Punkt in Lenins und der Kominterns Haltung zur parlamentarischen Arbeit war die Abgrenzung vom Reformismus, insbesondere von den sozialdemokratischen Parteien. Die Sozialdemokratie, die sich in vielen Ländern bereits fest im parlamentarischen System etabliert hatte, wurde von den Kommunisten als Verräterin der Arbeiterklasse angesehen. Lenin und die Komintern warfen der Sozialdemokratie vor, den Parlamentarismus zu einem Selbstzweck zu machen und die revolutionären Interessen des Proletariats zu opfern, um sich in der bürgerlichen Ordnung einzurichten.

In diesem Zusammenhang stand auch die Frage der Beteiligung an Wahlen. Während die Sozialdemokratie darauf abzielte, durch Wahlen schrittweise Verbesserungen im Rahmen des kapitalistischen Systems zu erreichen, sahen die Kommunisten die Wahlen als taktisches Mittel, um revolutionäres Bewusstsein zu schaffen. Es ging nicht darum, durch parlamentarische Reformen eine “Milderung” des Kapitalismus herbeizuführen, sondern das Parlament als Tribüne zu nutzen, um den revolutionären Kampf außerhalb der bürgerlichen Institutionen zu organisieren.

Parlamentarismus als taktische Waffe im Klassenkampf

Die Politik der Kommunistischen Internationale zur parlamentarischen Arbeit und zur Wahlbeteiligung war tief in der marxistischen Analyse des Staates verwurzelt. Weder Lenin noch die Komintern betrachteten den Parlamentarismus als ein strategisches Ziel, sondern als ein taktisches Instrument im revolutionären Kampf. Der Parlamentarismus wurde als ein Mittel verstanden, um die hegemoniale Kontrolle der Bourgeoisie über die politischen Institutionen zu entlarven und die revolutionären Kräfte zu stärken.

Die revolutionäre Praxis musste immer die Verbindung zwischen parlamentarischer Agitation und der Mobilisierung der Massen außerhalb des Parlaments aufrechterhalten. Diese dialektische Beziehung war zentral, um die reformistischen und opportunistischen Tendenzen innerhalb der Arbeiterbewegung zu bekämpfen und den revolutionären Charakter der kommunistischen Parteien zu bewahren.

Der Marxismus sieht also den Parlamentarismus als eine taktische Waffe im Kampf gegen die herrschende Klasse. Die revolutionäre Perspektive muss immer auf die Errichtung einer neuen politischen Ordnung abzielen, die die kapitalistische Herrschaft zerschlägt und die politische Macht in die Hände der Arbeiterklasse legt.

Die „bürgerlichen Arbeiterparteien“ und unsere Haltung ihnen gegenüber

Der Begriff der “bürgerlichen Arbeiterpartei” hat eine lange Geschichte in der marxistischen Theorie und Praxis, die bis zu den Schriften von Friedrich Engels zurückreicht. Engels verwendete diesen Begriff, um die doppelte Natur von Parteien zu beschreiben, die zwar auf die Arbeiterklasse angewiesen sind und von ihr getragen werden, aber politisch die Interessen der Bourgeoisie vertreten oder sich in das bürgerliche System integrieren. 

Friedrich Engels: Arbeiteraristokratie und bürgerliche Arbeiterpartei

Friedrich Engels, der engste Weggefährte von Karl Marx, prägte den Begriff der “bürgerlichen Arbeiterpartei” im Zusammenhang mit einer kritischen Analyse von politischen Parteien, die zwar die Interessen der Arbeiterklasse vertreten, aber in ihren Strukturen und Zielen letztlich bürgerlich geprägt sind. Das Konzept bezieht sich auf Parteien, die sich formal auf die Arbeiterklasse stützen, jedoch im Rahmen des bestehenden kapitalistischen Systems agieren und somit keine grundlegende Umwälzung der Produktionsverhältnisse anstreben.

Im Vorwort zur englischen Ausgabe seiner “Lage der arbeitenden Klasse in England” von 1892 verweist Engels auf die Veränderungen innerhalb der englischen Arbeiterklasse selbst, vor allem auf das Entstehen einer Schicht qualifizierter Arbeiter, die sich aus ihrer besonderen Stellung heraus “über” den Rest der Klasse aufgeschwungen haben:

Zweitens die großen Trades Unions. Sie sind die Organisationen der Arbeitszweige, in denen die Arbeit erwachsener Männer allein anwendbar ist oder doch vorherrscht. Hier ist die Konkurrenz weder der Weiber- und der Kinderarbeit noch der Maschinerie bisher imstande gewesen, ihre organisierte Stärke zu brechen. Die Maschinenschlosser, Zimmerleute und Schreiner, Bauarbeiter sind jede für sich eine Macht, so sehr, daß sie selbst, wie die Bauarbeiter tun, der Einführung der Maschinerie erfolgreich widerstehn können. Ihre Lage hat sich unzweifelhaft seit 1848 merkwürdig verbessert; der beste Beweis dafür ist, daß seit mehr als fünfzehn Jahren nicht nur ihre Beschäftiger mit ihnen, sondern auch sie mit ihren Beschäftigern äußerst zufrieden gewesen sind. Sie bilden eine Aristokratie in der Arbeiterklasse; sie haben es fertiggebracht, sich eine verhältnismäßig komfortable Lage zu erzwingen, und diese Lage akzeptieren sie als endgültig. Sie sind die Musterarbeiter der Herrn Leone Levi und Giften, und sie sind in der Tat sehr nette, traktable Leute für jeden verständigen Kapitalisten im besondern und für die Kapitalistenklasse im allgemeinen.

Engels, der ja die englische Politik aus nächster Nähe studieren und die Akteure der Arbeiterbewegung persönlich kennenlernen konnte, zog schon in den 50er Jahren des 19. Jahhunderts die Schlussfolgerung, dass bestimmte privilegierte Schichten des Proletariats empfänglich für die Verlockungen der Bourgeoisie und ihrer Politik waren. 

Die Reform League wurde 1865 gegründet, um das allgemeine Männerwahlrecht und geheime Abstimmungen zu fordern. Sie wurde von radikalen Vertretern der Mittelschicht sowie von Arbeitern, darunter auch Mitglieder des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), angeführt. Schon bald erhielt die Liga Unterstützung von liberalen Politikern und Industriellen, musste jedoch ihre Forderungen dahingehend anpassen, dass Wähler “registriert und ansässig” sein mussten. Die Führung der Gewerkschaften innerhalb der Liga wurde dafür bezahlt, die Stimmen der Arbeiterklasse bei den Wahlen von 1868 für die Liberalen zu gewinnen.

In Bezug auf Irland unterstützten die Gewerkschaftsführer die liberalen Politiker und verteidigten Premierminister Gladstone bei der Unterdrückung der Fenier-Bewegung. Im Gegensatz dazu organisierte die IAA Massendemonstrationen zur Unterstützung der irischen Fenians. Engels kommentierte dazu:

„Die Massen stehen auf der Seite der Iren, während die Organisationen und die Arbeiteraristokratie im Allgemeinen Gladstone und dem liberalen Bürgertum folgen.”

Wer eine ausführliche Darstellung der Position von Marx und Engels sucht, sei auf W.I. Lenins Aufsatz “Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus” (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1916/10/spaltung.html) verwiesen.

Lenin und die Bolschewiki: Kritik am Reformismus

Lenin, der mit seinem Beitrag zur marxistischen Imperialismustheorie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der neuen Epoche des Kapitalismus geleistet hatte, erlebte ab dem Sommer 1914 mit, wie sozialdemokratische Parteiführungen angesichts des herannahenden und dann beginnenden Ersten Imperialistischen Weltkrieges vor “ihren” nationalen Bourgeoisien kapitulierten. Im oben erwähnten Aufsatz findet sich erstmals auch eine stringente Darstellung des Phänomens der “bürgerlichen Arbeiterparteien”:

Die Monopolstellung des modernen Finanzkapitals wird wütend umstritten; die Epoche der imperialistischen Kriege hat begonnen. Damals war es möglich, die Arbeiterklasse eines Landes zu bestechen, für Jahrzehnte zu korrumpieren. Heute ist das unwahrscheinlich und eigentlich kaum möglich, dafür aber kann jede imperialistische „Groß“macht kleinere (als in England 1848-1868) Schichten der „Arbeiteraristokratie“ bestechen und besticht sie auch. Damals konnte sich die „bürgerliche Arbeiterpartei“, um das außerordentlich treffende Wort von Engels zu gebrauchen, nur in einem einzigen Land, dafür aber für lange Zeit, herausbilden, denn nur ein Land besaß eine Monopolstellung. Jetzt ist die „bürgerliche Arbeiterpartei“ unvermeidlich und typisch für alle imperialistischen Länder, aber in Anbetracht des verzweifelten Kampfes dieser Länder um die Teilung der Beute ist es unwahrscheinlich, daß eine solche Partei auf lange Zeit in mehreren Ländern die Oberhand behalten könnte. Denn die Truste, die Finanzoligarchie, die Teuerung usw., die die Bestechung einer dünnen Oberschicht ermöglichen, unterdrücken, unterjochen, ruinieren und quälen die Masse des Proletariats und Halbproletariats immer mehr.

(…) Auf der geschilderten ökonomischen Grundlage haben die politischen Institutionen des neusten Kapitalismus – Presse, Parlament, Verbände, Kongresse usw. – die den ökonomischen Privilegien und Almosen entsprechenden politischen Privilegien und Almosen für die respektvollen, braven, reformistischen und patriotischen Angestellten und Arbeiter geschaffen. Einträgliche und ruhige Pöstchen im Ministerium oder im Kriegsindustriekomitee, im Parlament und in verschiedenen Kommissionen, in den Redaktionen der „soliden“ legalen Zeitungen oder in den Vorständen der nicht weniger soliden und „bürgerlich-folgsamen“ Arbeiterverbände – damit lockt und belohnt die imperialistische Bourgeoisie die Vertreter und Anhänger der „bürgerlichen Arbeiterparteien“.

Und dann eine Warnung, die es im “Mutterland” des Austromarxismus nach wie vor zu beachten gilt: 

Aber die sozialchauvinistische oder (was dasselbe ist) opportunistische Strömung kann weder verschwinden noch zum revolutionären Proletariat „zurückkehren“. Wo unter den Arbeitern der Marxismus populär ist, dort wird diese politische Strömung, diese „bürgerliche Arbeiterpartei“ auf den Namen Marx schwören. Man kann ihnen das nicht verbieten, wie man einer Handelsfirma nicht verbieten kann, ein beliebiges Etikett, ein beliebiges Aushängeschild, eine beliebige Reklame zu benutzen. Es ist in der Geschichte oft genug so gewesen, daß die Namen der revolutionären Führer, die bei den unterdrückten Klassen populär waren, nach dem Tode dieser Führer von ihren Feinden ausgenutzt wurden, um die unterdrückten Klassen irrezuführen.

Lenin sah diese Parteien daher als „bürgerliche Arbeiterparteien“, die durch ihre sozialdemokratische Führung die Arbeiterklasse an das kapitalistische System binden und die revolutionären Bestrebungen der Klasse unterdrücken. Dies war für ihn besonders tragisch, da sie die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse kanalisierten und in reformistische Sackgassen führten.

Die Kommunistische Internationale und die Abgrenzung von der Sozialdemokratie

Während der frühen Kommunistischen Internationale (Komintern) war die Abgrenzung von den “bürgerlichen Arbeiterparteien” ein zentrales Thema. Der Bruch zwischen der Sozialdemokratie und den Kommunisten beruhte nicht nur auf taktischen Differenzen, sondern auch auf einer fundamentalen politischen Analyse: Die sozialdemokratischen Parteien wurden als Teil des bürgerlichen Staatsapparates betrachtet, die die Rolle spielten, den revolutionären Elan der Arbeiterklasse zu dämpfen und ihre politische Mobilisierung auf reformistische Ziele zu lenken.

Auf dem 2. Kongress der Kommunistischen Internationale (1920) wurde dies klar formuliert. In den “21 Bedingungen” für die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Internationale wurde die Teilnahme an reformistischen oder sozialdemokratischen Parteien scharf verurteilt. Diese Parteien wurden als “Sozialverräter” bezeichnet, die der Bourgeoisie halfen, die Arbeiterklasse durch politische und ökonomische Zugeständnisse zu befrieden, ohne das kapitalistische System zu gefährden.

Ein zentrales Beispiel dafür war die SPD nach dem Ersten Weltkrieg, die sich an der Niederschlagung revolutionärer Aufstände in Deutschland beteiligte, einschließlich der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Sozialdemokratie wurde von den Kommunisten daher nicht nur als bürgerlich beeinflusste Partei, sondern als aktiv konterrevolutionäre Kraft angesehen.

Antonio Gramsci trug im Rahmen der Diskussionen der Komintern zur Weiterentwicklung des Begriffs der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ bei, indem er das Konzept der Hegemonie in den Vordergrund stellte. Gramsci argumentierte, dass die Bourgeoisie durch ideologische und kulturelle Hegemonie die Führung über die Arbeiterklasse ausübt, oft durch die Institutionen des bürgerlichen Staates, einschließlich der politischen Parteien.

Die „bürgerlichen Arbeiterparteien“ könnten demnach als ein Instrument dieser Hegemonie betrachtet werden, da sie die politischen Bestrebungen der Arbeiterklasse in institutionelle Kanäle lenken und die Macht des Kapitals legitimieren, indem sie Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems durchsetzen, ohne dessen Grundstrukturen zu verändern. Gramsci sah dies als eine Form der “passiven Revolution”: Die Bourgeoisie behält ihre Macht, indem sie Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung macht, ohne ihre grundlegende Dominanz infrage zu stellen.

Die Entwicklung bis heute: Sozialdemokratie und „neue“ Arbeiterparteien

In der Gegenwart wird der Begriff der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ weiterhin verwendet, um die Rolle von sozialdemokratischen und anderen sogenannten „linken“ Parteien zu analysieren, die sich zunehmend den reaktionären wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepten der Bourgeoisie angeschlossen haben. Ein herausragendes Beispiel ist wieder einmal die Labour Party in Großbritannien. Unter der Führung von Tony Blair und der „New Labour“-Bewegung verfolgte die Partei eine Politik, die mehr in den Traditionen des Thatcherismus als in jenen der Labourregierungen unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg standen (Regierung Attlee 1945-51).Trotzdem behielt New Labour über wichtige Fraktionen der Gewerkschaftsbürokratie ihre historische Verbindung zur Arbeiterklasse aufrecht.

Parteien wie die SPD in Deutschland, die Labour Party in Großbritannien, die Sozialistische Partei in Frankreich und eben auch die SPÖ haben mit den radikalen Ansätzen ihrer Geschichte schon lange gebrochen und fungieren als Verwalter des kapitalistischen Systems, indem sie bürgerliche Reformen umsetzen und die Macht des Kapitals aufrechterhalten. Über ihren Einfluss in den Gewerkschaften versuchen sie, Widerstandskämpfe der Lohnabhängigen entweder von Haus aus zu verhindern, in Scheinaktionen verpuffen zu lassen oder, wenn es gar nicht mehr anders geht, ausgebrochene Kämpfe zu sabotieren. Beispiele sind etwa die Manöver der bürgerlichen und reformistischen Arbeiterparteien in Frankreich, die alles daran setzen, den Generalstreik gegen Angriffe der Bourgeoisie zu verhindern (Jugendausbildungsgesetz, Renten-Gegenreform), oder die proforma-Aktionen des ÖGB und der Sozialdemokratie 2003 bei den Massenprotesten gegen die Pensions”reform” der Schüssel/Haider-Regierung.

Die modernen „bürgerlichen Arbeiterparteien“ sind daher weiterhin politische Kräfte, die auf der Basis der Arbeiterklasse operieren, aber in erster Linie die Interessen des Kapitals vertreten. Ihre Taktiken zielen darauf ab, sozialen Frieden zu wahren und die Arbeiterbewegung durch Zugeständnisse ruhigzustellen, ohne den Kapitalismus als solchen herauszufordern.

Transformation der stalinistischen Parteien in neue bürgerliche Arbeiterparteien

So wie 1938, als Trotzki am Vorabend des 2. Imperialistischen Weltkrieges erklärte, dass die “Krise der Menschheit die Krise der revolutionären Führung” ist, stellt die Existenz der “bürgerlichen Arbeiterparteien” nach wie vor ein gewaltiges Hindernis auf dem Weg zur proletarischen Revolution dar.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus in den meisten deformierten Arbeiter*innenstaaten haben auch die “Kommunistischen Parteien” einen Umwandlungsprozess durchgemacht, den das CoReP in These 44 seiner “Internationalen Plattform” beschreibt:

Der Stalinismus brach als internationaler Apparat, der sich auf Staatsbürokratien stützt (die russische und in geringerem Maße chinesische und kubanische), zusammen.

Sein Erbe (Etatismus, Sozialismus in einem Land, Unterordnung unter eine Fraktion der Bourgeoisie, Chauvinismus, körperliche Gewalt in der Arbeiterbewegung, Kult des Führers …) wiegt immer noch schwer. Die Trümmer des Stalinismus spielen weiterhin ihre konterrevolutionäre Rolle in den Gewerkschaften und in Gestalt von Parteien …

In Mitteleuropa und Deutschland hat der gewandelte Stalinismus neue bürgerliche Arbeiterparteien gebildet. Meist unterscheidet nichts die alten stalinistischen Parteien von der traditionellen Sozialdemokratie (die als marxistisch geboren wurden), die sich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr von Labour-Parteien (die nie Marxisten waren) unterscheidet.

Die meisten alten stalinistischen Parteien berufen sich nicht mehr auf den Sozialismus. Eine Ausnahme ist die KKE, die zur Anbetung Stalins zurückkehrte und in Griechenland seine sektiererische Politik aufleben lässt, die Hitlers Sieg ermöglichte.

Manchmal hat der Stalinismus bürgerliche Parteien hervorgebracht: liberale (im politischen Sinne) wie die PD in Italien, nationalistische wie die KPRF in Russland, despotische wie die KPC in China …

Wie der traditionelle Reformismus beteiligen sich die Stalinisten, die ihr altes Ornat abgelegt haben, mit bürgerlichen Parteien an kapitalistischen Regierungen (SACP in Südafrika 1994, PCF in Frankreich 1997, PRC in Italien 2006, PCCh 2014 in Chile …).

Gewerkschaftsbürokratien verhandeln über Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Arbeitszeiten oder Renten, sabotieren Kämpfe, indem sie den Kampf in einem einzigen Betrieb, in einer einzigen Branche mit Unterstützung reformistischer Parteien und zentristischer Organisationen isolieren, indem sie zu symbolischen “Aktionstagen” aufrufen.

Gewerkschaftsführer lenken häufig die Unzufriedenheit auf das Ausland (WTO, Europäische Kommission, Einwanderer usw.). Unter diesen Bedingungen macht sich die Arbeiterklasse weniger Illusionen über Reformisten aller Art als im 20. Jahrhundert, auch wenn sie weiterhin für sie stimmt und sich Gewerkschaften anschließt.

In Ermangelung einer revolutionären Arbeiterpartei steigt der Reformismus wieder aus der Asche auf, wenn er vorübergehend von der Macht entfernt wurde, oder er benützt neue Etiketten, um die Erwartungen der Arbeiterklasse und der Jugend neuerlich zu enttäuschen (Die Linke, Syriza ). Die Führungskrise ist nicht gelöst.

Nationalratswahlen 2024 in Österreich: Zentrismus und KPÖ – eine Liebesgeschichte

Spätestens seit den Wahlerfolgen der KPÖ bei Regionalwahlen (Steiermark, Salzburg, Tirol …) haben viele Organisationen des zentristischen Spektrums ihr Hauptaugenmerk auf die KPÖ gerichtet. Die Orientierung Richtung SPÖ-Basis spielt für sie bestenfalls eine untergeordnete Rolle. 

Vor allem Organisationen, die aus der internationalen “Militant”-Tradition und deren Spaltungen (zu verschiedenen Zeitpunkten) hervorgegangen sind und daher selber über Jahre in der SPÖ oder deren Jugendorganisationen gearbeitet haben (ISA/SLP, Sozialistische Offensive, Der Funke), sind ziemlich bruchlos zu exklusiven Wahl-Unterstützern der KPÖ mutiert. Schauen wir uns diese Positionen genauer an.

Die Internationalistische Sozialistische Alternative

Als ISA wollen wir den Aufbau von Organisierung und Widerstand auf allen Ebenen unterstützen. Deshalb rufen wir zur Wahl der KPÖ auf und werden sie in den nächsten Monaten auch im Rahmen unserer Möglichkeiten in ihrem Kampf unterstützen. Ein Einzug der KPÖ wäre der größte Schlag gegen die Politik der Banken und Konzerne und auch gegen den Rechtsruck des etablierten Systems, der bei den Wahlen möglich ist. (ISA/SLP, https://www.slp.at/artikel/vorw%C3%A4rts-schwerpunkt-zu-den-nationalratswahlen-2024-drohender-rechtsruck-chancen-f%C3%BCr-links)

Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass langfristig eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses nach links insgesamt in Österreich nur dann möglich ist, wenn es uns gelingt, Menschen in Protesten, Betrieben und sozialen Bewegungen zu organisieren und diese Auseinandersetzungen miteinander zu verbinden. 

(…) Wir wollen solche Aktivitäten gemeinsam mit der KPÖ oder Mitgliedern der KPÖ organisieren und damit den Einzug der KPÖ in den Nationalrat, aber auch den langfristigen Aufbau von Bewegungen und Widerstand unterstützen. Gleichzeitig wollen wir die Situation nutzen, um eine breitere Diskussion zu starten, welches Programm und welchen Zugang wir angesichts einer immer tieferen Krise des weltweiten Kapitalismus brauchen und wie wir das konkret umsetzen können. Warum ist es entscheidend, auch antikapitalistische Forderungen aufzustellen? Warum müssen wir gegen jede Unterdrückung im Kapitalismus kämpfen? Warum braucht es Bewegungsorientierung?

Die ISA (die übrigens wie die meisten zentristischen Organisationen statt einer klassenmäßigen Charakterisierung die “Links-Rechts-Dichotomie” zur Beurteilung politischer und sozialer Kräfte heranzieht) wendet sich also offensichtlich in der nächsten Phase an die KPÖ und deren Mitglieder. Das ist natürlich eine durchaus legitime Orientierung, die unserer Meinung nach aber entschieden zu kurz greift.

Die Erfolge der KPÖ in den Bundesländern wurden nicht aufgrund eines “kommunistischen Programms” eingefahren, sondern durch die Fokussierung der Partei auf ein Hauptthema – Wohnen und Mietrecht. Dabei bewegen sich die Vorschläge und Konzepte der KPÖ vollständig im Rahmen der kapitalistischen Ordnung. Die KPÖ hat hier ein politisches Vakuum gefüllt, das die Sozialdemokratie hinterlassen hat, seitdem sie als sozialpartnerschaftliche Mitgestaltungspartei des Kapitalismus ihre eigenen Parteistrukturen immer stärker technokratisch aufgeweicht hat.

Die Verbreiterung der KPÖ-Basis durch “junge Menschen” kann mit Recht zweischneidig gesehen werden. KPÖ Plus bedeutete zwar das Zusammengehen der “alten” KPÖ mit Aktivist*innen aus dem Umfeld der Grünen Jugendorganisation. Eine programmatische Weiterentwicklung der Partei gab es aber nicht – unserer Einschätzung nach ist das Programm der KPÖ ein klassisches Dokument des Reformismus.

Die Schlussfolgerung des programmatischen Dokuments des 38. Parteitags der KPÖ (2021) lautet:

Das erfordert neben der Abwehr von unzumutbaren Sparprogrammen, neben der Interessenspolitik auf betrieblicher, kommunaler und anderen Ebenen, den Aufbau progressiver Milieus, eine Politik der Selbstermächtigung, eine Erneuerung der Solidaritätskultur mit historischer Perspektive, einen demokratischen und ökologischen Sozialismus. Es braucht einen Bruch mit dem irrationalen, finanzmarktge­triebenen, ökonomischen System, ein Denken und Handeln, aus denen politische Räume entstehen, einen praktischen Prozess zur Demokratisierung der Machtverhältnisse.

In diesen Prozess bringen wir uns als Partei ein. Mit einem Vorschlag, der unserer Auffassung von revolutionärer Realpolitik entspricht. Ein Vorschlag auf der Höhe der Zeitenwende, in der wir uns befinden. Der Vorschlag der Solidarischen Gesellschaft.
Ein Systemwechsel ist notwendig!

Wohlgemerkt – das Wort Klassenkampf taucht in diesem Dokument nicht auf. Die Beschreibung des “demokratischen und ökologischen Sozialismus” klingt irgendwie wie ein einziges großes 7Stern. Bei der “revolutionären Realpolitik” stand wohl der gute alte Austromarxismus Pate…

Die Sozialistische Offensive SO

erklärt in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage:

Ein Einzug der KPÖ bei den Nationalratswahlen wäre ein Fortschritt.

Die Kapitalist*innen sind bereits jetzt alarmiert. Der Erfolg von Melenchon in Frankreich und jener der KPÖ zeigen, dass sich Unmut auch nach links ausdrücken kann. Medien, ÖVP und FPÖ setzen auf Antikommunismus.  Das könnte eine Gegenreaktion auslösen: “Wenn die ÖVP das sagt, dann ist Kommunismus vielleicht etwas Gutes”.

Die KPÖ zu wählen ist ein erster, richtiger Schritt, reicht aber nicht. Wir müssen uns auf die Angriffe der künftigen Regierung vorbereiten und eine Bewegung für den Herbst aufbauen. Denn selbst wenn die KPÖ ins Parlament einzieht, kann sie mit einzelnen Mandaten nichts durchsetzen – das geht nur mit Druck von der Straße und aus den Betrieben. Doch die aktuelle KPÖ-Führung geht in eine andere Richtung.

  • (…)

Wir sollten aus internationalen Erfahrungen lernen und es besser machen: Die Rifundazione Communista (RC, Italien) hat in den 00er Jahren eine Regierung gestützt, die Kürzungen umgesetzt hat. Als Ergebnis wurde die Rechte gestärkt. Syriza (Griechenland) hat an der Regierung massive Kürzungen umgesetzt, weil sie nicht bereit war, mit kapitalistischen Zwängen zu brechen. Die KPÖ hat also Chance – und Verantwortung!

(https://sozialistischeoffensive.net/2024/09/09/kpo-wahlen-kampfe-vorbereiten/)

Abgesehen von den üblichen Verdächtigen der bürgerlichen Medienlandschaft kann man derzeit kein größeres Zittern bei Industriellenvereinigung oder  WKÖ angesichts der Möglichkeit eines Einzugs der KPÖ ins Parlament erkennen. Da wird auch drei Tage vor der Wahl mehr Energie in Kampagnen gegen die SPÖ und Andreas Babler investiert. 

Im Gegensatz zur ISA weist die SO korrekt auf die klassenkollaborationistischen Projekte diverser ex-stalinistischer Parteien hin, nachdem diese zu biederen Reformist*innen mutiert waren. Die Schlußfolgerung “Die KPÖ hat also Chance – und Verantwortung!” erschließt sich uns daher nicht wirklich.

Der Funke

Der Funke, der es wesentlich länger als seine Geschwister aus der Militant-Familie in der Sozialdemokratie ausgehalten hat, bis am Himmel über London der Rote Stern der Revolutionären Kommunistischen Internationale erstrahlte, ist auch exklusiv ins Lager der KPÖ-Wähler*innen gewechselt. 

Die Sozialdemokratie ist in permanenter Krise. Das gilt international für die reformistischen Arbeiterparteien und ist in letzter Analyse der Unmöglichkeit geschuldet, die Klasseninteressen von Kapital und Arbeit friedlich miteinander zu versöhnen, wie es der Reformismus gerne hätte. Das Programm der sozialen Reformen des SPÖ-Vorsitzenden Bablers wird von den Exponenten des bürgerlichen Flügels der SPÖ „Unernsthaftigkeit“ attestiert. Babler hat nicht mit den staatsorientierten Kräften im SP-Apparat gebrochen – und somit wird umgekehrt die SP-Linke gebrochen.

Menschen die einen solidarischen, linken Ausweg aus der Krise suchen, die eine nicht-korrupte, saubere Repräsentanz der Arbeiterbewegung stärken wollen, wählen daher am 29. September die KPÖ. Wir gehören dazu. Die Öffnung der parlamentarischen Debatte nach links, und der Umstand, dass die Partei nicht direkt unter dem Einfluss des Kapitals steht (im Gegensatz zu den SPÖ-Apparaten) sprechen objektiv für diese Wahl. Unsere Wahlunterstützung ist aber kritisch und erstreckt sich dezidiert nicht auf das Programm und die politische Ausrichtung der KPÖ. Sie will eine „Partei mit einem konkreten Gebrauchswert im Alltag“ sein, nicht eine kommunistische Kampfpartei. Dies ist mutlos und der Versuch, dem notwendigen gesellschaftlichem Konflikt mit den Kapitalisten und ihren Ideologen auszuweichen.

Im Gegensatz zu anderen Unterstützern kommt der Funke (evtl. bald RKP?) sogar mit einem Quäntchen Moral daher. “Solidarischer linker Ausweg”, “nicht-korrupte, saubere Repräsentanz”.  Am 14.9.2024 klang KPÖ-Spitzenkandidat Tobias Schweiger, im Ö1 Mittagsjournal auf Palästinasolidarität und “Der Funke” angesprochen, alles andere als solidarisch. Vielleicht schaut das heute aber auch anders aus, nachdem der Vorstand der SJ-Vorarlberg, zufällig ganz auf Linie mit “Der Funke”, zur Wahl der KPÖ aufgerufen hat. 

Die Revolutionäre Sozialistische Organisation RSO

Einen interessanten Akzent bringt die Revolutionäre Sozialistische Organisation RSO mit ihrer Erklärung zu den Nationalratswahlen in Spiel:

Der mögliche Einzug der KPÖ ins Parlament zeigt jedoch eine wachsende Offenheit vieler Menschen für eine linke Alternative. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Österreich keine nennenswerte Kraft links der SPÖ. Die KPÖ im Parlament könnte linke Ideen sichtbarer machen, jedoch existiert die Gefahr, dass die Partei durch den Parlamentarismus zu einer reformistischen Kraft wird und das Erbe der Sozialdemokratie antritt. Wir verstehen den Wunsch nach einer neuen linken Kraft im Parlament und werden deshalb gemeinsam für die KPÖ und die LINKS-Kandidat:innen stimmen. Wir werden als RSO weiterhin revolutionär-sozialistische Perspektiven vertreten und unsere Politik in Richtung betrieblicher Kämpfe und Bewegungen orientieren. Wir hoffen, dass möglichst viele KPÖ-Aktivist:innen und Unterstützer:innen auch jenseits bürgerlicher Institutionen im Betrieb und auf der Straße solch eine Politik unterstützen. (Aurora Nr 45, S. 6)

Der Satz “Die KPÖ im Parlament könnte linke Ideen sichtbarer machen, jedoch existiert die Gefahr, dass die Partei durch den Parlamentarismus zu einer reformistischen Kraft wird und das Erbe der Sozialdemokratie antritt”  lässt erahnen, dass die RSO die KPÖ nicht als reformistische Kraft (sondern etwas revolutionäreres?) einschätzt. Ist für die RSO die KPÖ eine zentristische Organisation? Vermutlich keine durchgehend revolutionäre, weil die RSO ja auf ihrem eigenständigen Profil beharrt.

Der Arbeiter*innenstandpunkt (ASt)

In „KPÖ: Alpen-Kommunismus am Vormarsch?”  schreibt der Ast:

„Dementsprechend kommt es nicht überraschend, wenn die KPÖ sich weiter als Partei etabliert, die auf die „einfachen Leute“ (in der üblichen rechten Auslegung) zugeht und ihre konkreten Probleme innerhalb des systemischen Rahmens anspricht. Dass sie das ernsthaft betreibt und dabei nicht in Populismus verfällt, ist ihr anzurechnen. Trotzdem wäre es hier angebracht, nicht bei der praktischen Lösung zu bleiben, sondern sie mit weitergehenden Forderungen und Übergangsforderungen zu verbinden, die den Kapitalismus in Frage stellen und über ihn hinausweisen. Dass dieser das übergeordnete Problem ist, dem die anderen entspringen, kommt den Parteisprecher*innen immerhin noch manchmal über die Lippen. Ihr Ziel, sofern man es aus der praktischen Politik ableiten kann, ist aber anscheinend nur, diesen durch Mitverwaltung erträglicher zu machen. Der Weg zum ohnehin schon verwaschenen Ziel einer „solidarischen Gesellschaft“, die Sozialismus heißen kann, aber nicht muss, versinkt im Morast der Wählbarkeit. Karl Marx gefällt das nicht. (…)Um den Kampf der KPÖ zu unterstützen und zumindest im Ansatz gemeinsam führen zu können, rufen wir, trotz aller Kritik, dazu auf, die KPÖ in den Nationalrat zu wählen. Denn trotz ihrer mangelhaften Verankerung in der Klasse ist sie derzeit die einzige wahlwerbende Partei, die den Kapitalismus zumindest infrage stellt und deren Erfolg eine Weiterentwicklung der österreichischen Arbeiter*innenbewegung bedeuten kann”.

Weiter unten heißt es im gleichen Text:

Die KPÖ verfolgt also weiter den (lokal erfolgreichen) Weg, sich in die Lücke zu setzen, die durch die Rechtsentwicklung der SPÖ immer weiter aufgeht. Beachtlich ist der Bruch mit dem Bezug auf die „sozialen Bewegungen“, der für die transformationstheoretische Ausrichtung seit den 1990er Jahren grundlegend war. Stattdessen kommt der Mitverwaltungsreformismus, gestärkt durch die bereits bestehende Mitverwaltung in Graz und Salzburg immer stärker hervor und die KPÖ gibt sich schon fast staatstragend.

Wie die RSO ist der ASt mit der KPÖ in Wien über die Zusammenarbeit in LINKS verbunden (siehe dazu unsere Kritik am Programm von LINKS in Klassenkampf 41/42, Oktober 2020)

Unsere Wahlposition: Keine Stimme den bürgerlichen Parteien!

Heißt das jetzt, dass die Gruppe KLASSENKAMPF davon abrät, die KPÖ zu wählen? 

Nein, unsere Wahlposition ist etwas differenzierter. Wie in den theoretischen Bemerkungen im ersten Teil dieses Artikels dargelegt, ist das Verhalten der Revolutionäre zu Wahlen ein taktisches.

D.h.: In einer Situation, in der keine revolutionäre Kandidatur möglich ist, können wir in Diskussionen die Positionen einbringen, die wir in der gegebenen Situation für adäquat halten, um Kämpfen (oder sogar nur möglichen Kämpfen) eine Perspektive zu geben. 

Gleichzeitig beharren wir aber darauf, dass auch bei Abwesenheit einer revolutionären Wahlalternative die Arbeiter*innen und die Jugend von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen sollen, da es sich um ein von unserer Klasse in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen errungenes Recht handelt (das reaktionäre und/oder faschistoide Parteien immer wieder in Frage stellen). Ein Recht, das in Österreich derzeit 1,4 Millionen arbeitenden Menschen wegen “fehlender” Staatsbürgerschaft verweigert wird.

Diese Situation kann nur zu einer “Ausschlussempfehlung” führen: “Keine Stimme den bürgerlichen Parteien”.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir den Arbeiter*innen empfehlen, einer der beiden bürgerlichen (SPÖ) oder reformistischen (KPÖ) Arbeiter*innenparteien ihre Stimme zu geben. Wir sehen keinen so gravierenden Unterschied zwischen beiden Parteien, dass eine Bevorzugung der einen gegenüber der anderen gerechtfertigt wäre. (Die schlechteste Alternative wäre, ungültig zu wählen). 

Entscheidend sind für uns nicht die Parteien und ihre Repräsentant*innen auf dem Stimmzettel, sondern die Basis dieser Parteien. 

Sollten die reaktionären bürgerlichen Parteien bei diesen Wahlen eine Mandatsmehrheit im Nationalrat gewinnen, so dass sie eine Regierung bilden können, werden sich die politischen Auseinandersetzungen zwangsläufig vom Parlament in die Betriebe, auf die Straße, in die Universitäten und Schulen, in die Krankenhäuser… verlagern – überall dorthin, wo die Kapitalist*innen ihre Angriffe gegen die Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse führen werden. Wenn dieser Fall eintritt, werden internationalistische Kommunist*innen dafür eintreten, dass Arbeiter*innen, egal, wem sie am 29. September ihre Stimme gegeben haben, gemeinsam zum Gegenangriff übergehen. 

Die Lohnabhängigen und die Jugend sollen am 29. September eine Klassenwahl treffen – das ist für uns das Maximum, was bei diesen Wahlen möglich ist.