Eine Bourgeoisie, die unfähig ist, das Land zu einen
Zum Zeitpunkt der formalen Unabhängigkeit (1956) teilte sich die im Entstehen begriffene sudanesische Bourgeoisie auf zwei Optionen auf. Der eine Teil setzte auf die Religion, um die anderen Klassen zu beherrschen; er nahm in verschiedenen Bewegungen Form an: der ägypterfeindlichen Umma (entstanden 1945) und der Front der Muslimbruderschaft der Islamischen Charta (ICF, heute aufgespaltet in NCP und PCP). Der andere Flügel setzte auf den arabischen Nationalismus, der im benachbarten Ägypten im Aufwind war: Die Nationale Unionistische Partei (NUP, heute DUP), wobei der Begriff „Unionistisch“ den anfänglichen Willen der pronasseristischen Partei zur Vereinigung des Sudan mit Ägypten zum Ausdruck brachte.
Ohne ausreichende Kapitalakkumulation auf nationaler Ebene tat sich die sudanesische Bourgeoisie schwer, sich im ganzen Land zu vereinen, den Staat zu stabilisieren und ihre Hegemonie über die anderen sozialen Klassen zu gewährleisten. Die imperialistischen Mächte (vor allem Großbritannien und die Vereinigten Staaten), die Regionalmächte (Ägypten, Israel, Saudi Arabien, Iran) und sogar Nachbarstaaten (Eritrea, Tschad, Äthiopien, Uganda …) mischten sich in die Politik des Landes ein und trugen zu seiner Balkanisierung bei. Militärputsche und Volksaufstände bestimmten das politische Leben des Landes mehr als Wahlen und das Parlament.
Kann die Arbeiter_innenklasse das historische Versagen der Bourgeoisie ausgleichen? Die Partei, über die das Proletariat zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit verfügte, die Kommunistische Partei des Sudan (SCP), ist eine der wichtigsten Arbeiter_innenparteien in Afrika. Sie ist sowohl im Süden als auch im Norden präsent. Sie führt die junge Arbeiter_innenklasse, insbesondere die Eisenbahnarbeiter_innen, und beeinflusst viele Bäuerinnen und Bauern, Studierende, Intellektuelle, Soldaten und Offiziere. Aber trotz des Namens „Kommunistisch“ ist sie tatsächlich stalinistisch, menschewistisch. Sie hat kein Vertrauen in die Arbeiter_innenklasse. Sie ordnet das Proletariat dem Kleinbürgertum und der Bourgeoisie im Namen der „Einheit der lebendigen Kräfte der Nation“ unter, „der Einheit der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, der nationalen Bourgeoisie, der progressiven Intellektuellen”. (SCP, 1. Januar 1956).
1989: Der Putsch von Scheich Turabi und Oberst Bashir
im Jahre 1989 stürzte Oberst Omar al-Bashir die Al-Mahdi-Regierung und ergriff mit Hilfe der NIF (Nationale Islamische Front) die Macht. Er proklamierte einen islamischen Staat, verbot politische Parteien und unabhängige Gewerkschaften (die SWTUF wurde ein Anhängsel des Staates). Die NIF säuberte massiv die Armee, die Polizei und die Zivilverwaltung. Bashir gründet eine islamistische Einheitspartei, die National Congress Party (NCP).
2003 beschloss das Regime, Darfur gewaltsam in den Grenzen des Landes festzuhalten und dabei die gleichen Methoden anzuwenden wie zuvor im Südsudan. Da sich die Armee als wenig offensiv erweist, bezahlt und rüstet Bashir „arabische“ Milizen (Janjawid) aus. Der Konflikt fordert bis heute 300.000 Tote und 2,5 Millionen Vertriebene.
2011 findet die Teilung zwischen Nord und Süd statt. Der Südsudan erhält den größten Teil der Ölvorkommen (zwischen 70% und 80%). Im Januar 2016 bricht der Sudan mit dem Iran. Er nähert sich Ägypten und den Golfmonarchien an. Saudi-Arabien verkauft billigen Kraftstoff und gewährt einen Kredit über eine Milliarde Dollar (rund 900 Millionen Euro); im Gegenzug unterstützt der Sudan die Invasion im Jemen und liefert Truppen, insbesondere Milizen. Die Vereinigten Staaten hoben ihre Sanktionen im Oktober 2017 auf.
China ist Hauptlieferant und -investor des Sudan. Die Einheitspartei NCP lud die Einheitspartei Chinas, die KPCh, zu ihrem Kongress im Jahr 2017 ein. Sie entsendet Kader an die Schule zur Ausbildung hochrangiger chinesische Beamter, die Universität von Pudong (Shanghai).
2018: Der Beginn einer Revolution
2018 sinkt das BIP um 2,3%. Das Handelsbilanzdefizit steigt trotz heimlicher Goldexporte. Die Inflation beträgt mindestens 70%. 70% der Haushaltsausgaben werden den Unterdrückungsorganen zugeteilt (Geheimdiensten wie die NISS, den in RSF (Rapid Support Forces) umgewandelten Milizen sowie der traditionellen Armee …).
Am 19. Dezember 2018 kündigte die sudanesische Regierung unter anderem die Verdreifachung des Brotpreises an. Am nächsten Tag demonstrierte die Bevölkerung, darunter viele Frauen. Dieser Aufstand ist Teil der anhaltenden demokratischen Kämpfe in Angola, Äthiopien, Gambia und insbesondere Algerien. Die Demonstrationen werden durch eine kleinbürgerliche Organisation organisiert, den Sudanesischen Berufsverband (SPA), der Ingenieure, Rechtsanwält_innen, Ärzt_innen, Wissenschaftler_innen organisiert… Die gewaltsame Unterdrückung der Proteste bedeutet: Verhaftungen, Prügelorgien, scharfe Schüsse auf die Menge durch den NISS und islamistische RSF-Milizen. Es wurden 90 Journalist_innen verhaftet, 9 Frauen wegen „Fehlverhaltens”, 800 zu langen Haftstrafen verurteilt und mindestens 60 Menschen getötet.
Aber die Massen bringen nach vier Monaten der Opferbereitschaft und des Widerstands die Wehrpflichtigen und Unteroffiziere ins Wanken. Einige schützen sie vor den Übergriffen der politischen Polizei: Am 8. April sehen sich Soldaten einer „schnellen Eingreiftruppe „gegenüber (der RSF von Oberst Daglo, genannt „Hemetti“). In den Stadtteilen bilden sich Formen der Selbstorganisation. Die Revolution beginnt.
Die herrschende Klasse bereitet mit Hilfe westlicher imperialistischer Bourgeoisien seit langem Alternativen im bürgerlichen Rahmen vor. Auf der einen Seite sind die politische Polizei und der Generalstab bereit, den unberechenbaren Bashir zu opfern (wie ihre Gegenstücke in Algerien Bouteflika abgesägt haben), eine Lösung, der sich auch China anschließt. Auf der anderen Seite integrieren die bürgerlichen Parteien (DUP, Umma, PCP …) in ihre Allianzen und ihre Verteidigungsstrategie des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates die militante Organisation des Kleinbürgertums, die SPA, und die einzige Arbeiter_innenpartei, die SCP.
Diese nationale Union nennt sich „Erklärung für Freiheit und Wandel” (FDFC). Am 1. Jänner veröffentlicht sie ihr Programm. Es ist nicht einmal demokratisch: Es geht nicht um eine gewählte Regierung, sondern um eine zivile Regierung, die das Land vier Jahre lang regiert, ohne die Bevölkerung zu konsultieren, die sich unbewaffnet gegen das Regime gestellt hat.
Wenn die SPA Demonstrationen organisiert, bittet sie den Generalstab, Bashir abzusetzen, und predigt den Massen den Pazifismus. Die Arbeiter_innen und Angestellten dienen ihr als Truppen, weil diese keine wirklich unabhängige, tatsächlich kommunistische Organisation zur Verfügung haben. Die „Kommunistische“ Partei, die bereits mit den politischen Trümmern des Pan-Arabismus und sogar der Ummah eine Volksfront gebildet hatte, schließt sich mit Sack und Pack der Kleinbourgeoisie und sogar dem Großkapital an.
Das Sekretariat des Zentralkomitees der KP des Sudan rief in zwei Erklärungen vom 31. Dezember und 1. Jänner zur Fortsetzung der Massenaktion auf Grundlage der Einheit der Oppositionskräfte und ihrer Forderungen auf: Sturz des Regimes, dessen Entmachtung und Liquidation … zusätzlich rief es die Massen auf, standhaft zu bleiben und sich rund um ihre Bestrebungen für eine glänzende Zukunft auf der Basis von Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und unabhängiger Beteiligung der Arbeiter am Entscheidungsprozess und dessen Umsetzung zu beteiligen. Es bekräftigte seine Verbundenheit mit den Grundsätzen der demokratischen Alternative der Opposition. (SCP, 8. Januar 2019)
Am 11. April setzt eine Junta, die sich Transitional Military Council (TMC) nennt, Bashir ab, lässt Demonstrant_innen und oppositionelle Gefangene frei und übernimmt für zwei Jahre die Macht. An ihrer Spitze steht General Burhan, einer der Führer der Repression von Darfur, Hemetti ist seine Nummer 2. China erkennt die Junta sofort an.
Die „kommunistische“ Partei predigt den Pazifismus und versucht, den proletarischen Klassenkampf zu verhindern.
Die SCP und alle oppositionellen Kräfte setzen ihre Revolution fort, bis eine zivile Regierung eingesetzt wird, die die Massen vertritt und das von allen Kräften akzeptierte alternative demokratische Programm umsetzt. (CPS, 12. April 2019)
Am 27. April kündigen FDFC und TMC einen Kompromiss für eine gemischte Übergangsregierung an, die sich aus Vertretern der Bourgeoisie und Offizieren zusammensetzt. Am 13. Mai greifen bewaffnete Banden, wahrscheinlich die offiziell aufgelöste NISS und die RSF, die mächtiger ist als je zuvor, Demonstranten an. Am 15. Mai kündigen TMC und FDFC an, einem nicht gewählten „Souveränitätsrat”, der zu 67% von der FDFC gebildet wird, für drei Jahre die Macht zu übertragen.
2019: Für die permanente Revolution
Die grundlegenden Freiheiten müssen von den Arbeiter_innen erobert werden und der Arbeiter_innenklasse dazu dienen, die Führung der Massen zu übernehmen, Organe vom Rätetypus aufzubauen, die NISS und RSF zu entwaffnen, die bürgerliche Armee zu untergraben und die Soldaten mit ihren Waffen für die Sache der Revolution zu gewinnen. Die Kombination der politischen und sozialen Forderungen der Arbeiter_innenklasse, der arbeitenden Bauern und Bäuerinnen, der kleinen Staatsbediensteten, der Studierenden, der Wehrpflichtigen usw. werfen das Problem der Machtergreifung durch die Arbeiter_innen auf.
Um die Revolution zum Sieg zu führen, muss sich die Vorhut der Arbeiter_innen und Studierenden in Verbindung mit den proletarischen Revolutionär_innen der Region und der ganzen Welt in einer Arbeiter_innenpartei, die unabhängig vom Imperialismus, dem bürgerlichen Staat und kapitalistischen Parteien (ob arabische Nationalisten oder Islamisten) ist, in einer Partei bolschewistischen Typs, organisieren..
- Demokratische Freiheiten! Trennung von Staat und Religion! Wirksames Verbot der Beschneidung von Frauen! Gleichstellung von Frauen! Achtung der nationalen und religiösen Minderheiten! Recht auf Trennung oder Anschluss der unterdrückten Völker an den Südsudan!
- Wiederaufbau und Entwicklung des Eisenbahnnetzes! Für ein öffentliches kostenloses und weltliches Erziehungs- und Gesundheitssystem! Entschädigungslose Verstaatlichung aller privatisierten Unternehmen! Annullierung von Bashirs Schulden gegenüber dem IWF! Arbeiter_innenkontrolle über die Betriebe! Nationalisierung der Banken und Arbeiter_innenkontrolle! Enteignung der Großgrundbesitzer, günstige Kredite und landwirtschaftliche Geräte für Nebenerwerbsbauern, Förderung der Bildung von landwirtschaftlichen Kooperativen!
- Selbstverteidigung der Demonstrationen! Bruch der Gewerkschaften und der SCP mit der Bourgeoisie! Arbeiter_innen-, Soldaten- und Studentenräte und Räte der armen Bauern und Bäuerinnen! Nieder mit der TMC-Junta! Arbeiterinnen- und Bauernregierung, gestützt auf Räte und die Bewaffnung der Arbeiter_innen! Sozialistische Föderation Ostafrikas!
16. Mai 2019
Kollektiv Permanente Revolution (CoReP)