Die Lehren des 20. November 2021

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Unter dem Deckmantel, gegen die Politik der Bundes- und Landesregierungen in Sachen COVID zu demonstrieren, folgten am 20. November 2021 in Wien geschätzt 40.000 Menschen dem Aufruf der FPÖ zu einer „Großdemonstration“. In Linz folgten rund 4.000 und in anderen Städten ebenfalls mehrere tausend Menschen den Aufrufen von FPÖ, MFG und anderen rechtslastigen „Initiativen“.

Einen zusätzlichen drive erhielten das tags zuvor verkündete bundesweite Maßnahmenpaket: Lockdown ab 22.11.21, Impfpflicht ab Februar 2022.

Bei den früheren Mobilisierungen der Impfgegner*innen, Coronaleugner*innen und „besorgten Bürger*innen“ untermauerten selbsternannte „Linke“ argumentativ, dass hier Menschen zu Recht über die autoritären Maßnahmen inklusive der Stärkung des „Überwachungsstaates“ besorgt seien, dass sie einfach fehlgeleitet seien und „die Menschen immer dort abzuholen sind, wo sie stehen“. Tatsächlich versuchten längst auch Organisationen, die sich selbst als revolutionär bezeichnen, in diese „Massenbewegung“ zu intervenieren. Am prononciertesten die RKOB, die sich mit ihrer internationalen Strömung zur Vorkämpferin gegen die „Corona-Diktatur“ stilisierte und offen reaktionäre „Argumente“ wie die Great Barrington-Erklärung übernahm. Dann Gruppen wie die „Antifaschistische Aktion Wien“ rund um ihr „Antifaschistisches Infoblatt“, die unter dem Namen „Volkswiderstand“ Seite an Seite mit den faschistischen Identitären demonstrierten. (Die AFA Wien ist eine mao-stalinistische Gruppierung und darf nicht mit der anarchistisch orientierten Autonomen Antifa verwechselt werden!). „Linke“ Intellektuelle wie der Verleger Hannes Hofbauer, Verfechter des „bedingungslosen Grundeinkommens“ wie Karl Reitter und Martin Birkner, die Universitätslektorin Andrea Komlosy und andere zeigten keinerlei Berührungsängste und gingen gemeinsam mit der „Mitte der Gesellschaft“ auf die Straße.

Tatsächlich war das diffuse Milieu derer, die Corona nicht ernst nahmen („eine schlimmere Grippe“) oder die Pandemiebekämpfungen als Fontalangriff auf persönliche Bequemlichkeiten einstuften („I am not muzzled“), von Anfang an anfällig für alle Arten esoterischer und faschistischer Unterwanderung. Direkt nach der ersten Protestmärschen sprangen die Identitären mit ihren diversen Tarnorganisationen („Die Österreicher“, „info direkt“) auf den Coronaleugnerinnen-Zug auf. Wer seine eigene Existenz mit pseudowissenschaftlichen Theorien („Ethnopluralismus“) unterfüttert, kann sich in so einem Milieu gleich munter wie der Fisch im Wasser tummeln. Verschwörungstheorien stehen in Krisenzeiten immer hoch in Kurs. Den Impfgegner*innen injizierten die Identitären eine gehörige Dosis Fremdenfeindlichkeit („der große Austausch! Hilfe“), verbrämten Antisemitismus („die Globalisten planen den großen Reset!“) und idiotischen Patriotismus (mit Rot-Weiß-Roten Fahnen ins Intensivbett, sozusagen).

Die verantwortungslose Politik der amtierenden türkis-grünen Bundesregierung, in Verbindung mit den bis vor kurzem verkündeten (Lügen-)Geschichten des Sebastian Kurz befeuerten das Misstrauen breiter Teile der Bevölkerung gegen „die Politik“. Erst dadurch wurde die Impfgegner*innenszene für die FPÖ interessant. Einen ersten Versuchsballon startete Herbert Kickl im Prater Mitte März 2021, als er vor tausenden „besorgten Bürger*innen“ seine Stimme erhob. Die Botschaft der flankierenden Identitären lautetKurz Wegkickln“ und „Stoppt den Globalistendreck“. Da durfte auch Gottfried Küssel, ein wegen Wiederbetätigung verurteilter Nazi, nicht fehlen, der wohlgefällig grinsend unter den Zuschauer*innen in den vorderen Reihen stand.

Die FPÖ lieferte den teilweise bizarren und psychisch merkwürdigen „Führern“ der Coronaleugner wie Klauninger, Brejcha, Ehrlich und Ruttner ein konsistentes Argumentationsgerüst: Es gehe um die „Freiheit“, es gehe um den „Schutz der Verfassung“, es gehe um den „Volkswillen“. Diese Begründungen wurden von den erwähnten, miteinander konkurrierenden, Anführer*innen stetig wiederholt. Doch erst durch die Parlamentspartei, die in alle Bereiche des faschistoiden und faschistischen Spinnennetzs verästelt ist, hat dieses Leitmotiv an Gewicht gewonnen und wird zur zentralen Achse dieser „unheiligen“ Allianz.

Kickl bediente sich von Haus aus einer Rhetorik, die sich schwerstens an ein Milieu anlehnte, zu dem er erst relativ spät Kontakt geknüpft hatte: den deutschnationalen und faschistoiden Burschenschaften. Er verwendete den Volks- und Freiheitsbegriff in einer Weise, die der verlogenen Selbstdarstellung der Burschenschaften als Motoren der bürgerlichen Revolution von 1848 entspricht. Gemeint ist eine rein individuelle Freiheit, die direkt im Gegensatz zu einem solidarischen Freiheitsbegriff steht. Das „Volk“ ist ein schwammiges Konstrukt, dessen Mitglieder immer wieder neu definiert und dem beliebig Eigenschaften zugeschrieben werden, in erster Linie, um dieses „Volk“ von anderen, vom „Fremden“, abzugrenzen.

Gerade die bürgerliche Politik kommt nicht ohne Emotionen und Ressentiments aus. Der Zeloteneifer, mit dem sich Kickl in die Coronaschlacht gegen seinen einstigen türkisen Regierungspartner stürzte, dürfte wohl auch damit zusammenhängen, dass der tiefe Absturz H.C. Straches auch zum tiefen Fall des „besten Innenministers“ Herbert Kickl wurde. Die Fundamentalopposition der FPÖ gegenüber dem heillos missratenen „Krisenmanagement“ der Regierung hat dadurch noch zusätzlich an giftiger Würze gewonnen.

Während sich die Türkisen unter der Ägide von Sebastian Kurz deutlich dem von Jörg Haider propagierten System der „3. Republik“ angenähert haben – hie das Volk, dort das Parlament; Konzentration der Macht in einer Hand (hieß: bei Kurz); Zurückdrängen der Sozialpartnerschaft und klare Kante gegenüber allem, was auch nur im Entferntesten sozialistisch sein könnte, sah sich die FPÖ nach Ibiza plötzlich in die undankbare Rolle zurückgeworfen, als parlamentarische Opposition agieren zu müssen.

Hatte die Partei unter Strache noch geglaubt, im Bündnis mit den Türkisen die Republik umbauen zu können und einen deutlichen Schwenk Richtung eines autoritär(er)en Regimes mitmachen zu können, musste sie sich nach dem Ende der Koalition erst einmal neu sortieren. Noch dazu, da die Türkisen zügig daran gingen, die von der FPÖ(neu-)geschaffenen Bastionen im Innenressort direkt und sofort wieder in Beschlag zu nehmen.

Seit Ausbruch der Coronakrise hatte die FPÖ erneut die Chance, als Fundamentopposition zu agieren, indem sie selbst die insuffizienten , nur bedingt Expertenwissen fundierten Regierungmaßnahmen frontal angriff, sogar öffentlich karikierte (FPÖ-Parlamentarier ohne FFP3-Maske) wurde sie zum Treibmittel der Coronaleugner*innenbewegung.

Die ersten, teilweise schon recht starken Demonstrationen, wurden von der FPÖ offensichtlich genau beobachtet und analysiert. Sicherlich wolle Kickl sehen, wie eine dem türkisen Innenminister Karl Nehammer unterstellte Polizei auf den „Volksprotest“ reagierte. Immerhin stimmten bei den letzten Personalvertreterwahlen knapp 23% der Polizist*innen für die freiheitliche Fraktion AUF.

Während die Polizei bei „linken“ Demonstranten mit aller Härte vorging, Knüppel und Pfefferspray einsetzte, kesselte und Leute niederrannte, setzten die Einsatzkräfte bei den Coronaleugner*innen-Demos auf Deeskalierung. Bei Angriffen von Hooligans und Faschisten auf Journalist*innen, Antifaschist*innen oder einfach kritisch dreinschauende Passant*innen schauten die Exekutivkräfte gerne mal weg. Kein Wunder, dass Sprecher der „Bewegung“ wie Franz Rutter oder Alexander Ehrlich (ehrlich – welcher Honk nennt seine Bewegung wohl „Honk for Hope“?) immer wieder der Polizei für ihr „vorbildliches Verhalten“ dankte.

Von Demonstration zu Demonstration zeigte sich immer klarer, dass Martin Sellner (Identitäre) und Gottfried Küssel (Coronaquerfront), also Organisatoren mit klarem Bekenntnis zum Rechtspopulismus bzw. Faschismus ( das Bild und die Linie der Bewegung prägten. Spätestens seit März 2021 also seit der ersten FPÖ-Kundgebung im Prater, gibt es keine Entschuldigung dafür, Seite an Seite mit den Kickl-Mannen und faschistischen Banden und Hooligans zu demonstrieren.

Die vierte Welle, die sich schon vor dem Sommer, also dem schmählichen „Seitensprung“ Sebastian Kurz’, angekündigt hatte, wurde intensiv in allen Facetten in den Massenmedien diskutiert. Die Behauptung, es mangle an Information, ist für den Großteil der Ungeimpften oder gar aktiven Impfgegner nicht zutreffend. Tatsächlich muüssen wir feststellen: Abgesehen von wenigen wirklich Ängstlichen mischt sich bei den Impfgegner*innen religiöse oder esoterische Verblendung mit zutiefst reaktionären Verschwörungstheorien und/oder einem bodenlosen Egoismus, der das Eigenwohl über das der Allgemeinheit stellt.

Sorry – diese Leute lassen sich durch Vernunftargumente nirgends „abholen“ – das haben die offenen oder versteckten Faschist*innen schon gründlich erledigt.

Natürlich gibt es Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen bisher nicht geimpft sind: Da gibt es die Gruppe derer, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können und die Gruppe an Kleinkindern, für die es bis dato kein geeigneter Impfstoff vorhanden ist. Dann gibt es die Gruppe der sozial Benachteiligten: So gibt es sicher einen Zusammenhang zwischen sozialer Lage, Bildungsgrad und ethnischer Herkunft.

Die Wiener Bezirke mit der schlechtesten Impfquote sind Favoriten (59,5%), Rudolfsheim und Brigittenau (beide 60,7%). Der Migrant*innen-Anteil beträgt in Rudolfsheim (53,7%), der Brigittenau (51,8%) und in Favoriten (50,5%). Zwar hat die Stadt Wien relativ früh Impfinformationen in einigen Sprachen von Migrant*innen herausgegeben, allerdings fehlt es noch immer an migrantenspezifischen Informationen und Initiativen, z.B. Impfbussen, die flächendeckend und kontinuierlich in diese Bezirke fahren.

Genau hier hätte die Arbeiter*innenbewegung, hätten vor allem die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen können und müssen um die Impfbereitschaft in der (lohnabhängigen) Bevölkerung zu erhöhen. Während die Gewerkschaften heute primär auf ihren Serviceseiten den Ungeimpften gute arbeitsrechtliche Tipps geben, hat eine breite Kampagne für das Impfen gefehlt. Es hat keine Kampagne für Impfungen am Arbeitsplatz gegeben. Es hat keine Initiative dafür gegeben, dass die Gewerkschaften eigene Impfbusse organisiert hätten, in der von gewerkschaftlich organisierten Fachkräften „fliegend“ Impfungen, z. B. auf Baustellen, in Einkaufszentren etc. angeboten worden wären. Es hätte hier einer breiten Aufklärung in den Sprachen der Arbeitsmigrant*innen und ihrer Familien bedurft – was gleichzeitig gezeigt hätte, dass Gewerkschaften tatsächlich Basisorganisationen der Lohnabhängigen sind. Aber offensichtlich wollte sich hier die Gewerkschaftsbürokratie wie bei vielen anderen Fragen nicht zu weit hervor wagen, um ja nicht auf das kritische Terrain der „Ausländer*innenpolitik“ zu geraten und letzten Endes eine politische Kampagne zu führen. Damit war den reaktionären Rattenfängern Tür und Tor geöffnet.

Genau das hat sich am 20.11.21 gezeigt. Stimmt – nicht jeder muss die Transparente der Identitären an der Spitze der Demonstration gesehen haben. Aber im gesamten Demonstrationszug wurden permanent Sprechchöre gegen die „Antifa“, gegen den „Globalistendreck“, gegen den „Great Reset“ geschrien. Natürlich ist nicht jeder, der die Impfung verflucht und seinen Protest in der Öffentlichkeit zeigen will, ein Nazi. Aber er macht sich willfährig zum Teil der reaktionären Manövriermasse. Wer mit Nazis und Faschisten nichts am Hut hat, aber gegen Lockdown und Impfpflicht ist, hätte zu diesem Zeitpunkt die Demonstration verlassen können. Offenbar ist das aber nicht geschehen.

Die Bedeutung des 20.11. liegt darin, dass es der FPÖ erstmals gelungen ist, in Wien mit logistischer Hilfe diverser faschistischen Gruppen eine veritable Massendemonstration auf die Beine zu bringen. Vermutlich ist die Zahl der Teilnehmer*innen nicht wesentlich geringer gewesen als die an den Maiaufmärschen der Wiener Sozialdemokratie.

Indem die FPÖ als Schirmorganisation über den diversen „patriotischen“ (=faschistischen und faschistoiden) Kräften fungiert hat sie deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Klarerweise übertreiben deren faschistoide und faschistischen Einpeitscher die Stärke ihrer Mobilisierung und sprechen gar von 100.000 Teilnehmer*innen. In einer ersten Stellungnahme der FP-Spitze heißt es:

Auch FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl und die gesamte FPÖ danken den mutigen Bürgern, die am Samstag an der Freiheits-Demonstration teilgenommen haben. „Danke an die bis zu 100.000 Menschen! Das war ein unüberhörbares, aber gleichzeitig enorm diszipliniertes und völlig friedliches Zeichen des Freiheitswillens und des Widerstandes gegen diese türkis-grüne Corona-Diktatur und deren Zwangsmaßnahmen. Unser Widerstand gegen diese Maßnahmen von ÖVP und Grünen wird selbstverständlich auch in Zukunft fortgesetzt. Unser Dank gilt aber auch den Polizistinnen und Polizisten, die diese Veranstaltung so professionell, umsichtig und vorbildlich begleitet haben und damit die Wahrung unseres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit möglich gemacht haben“, sagte Kickl.(https://tinyurl.com/yypmyswd)

Deutliche Worte, dass die „Freiheitsdemonstration“ auch zukünftig geplant sind, lassen aufhorchen. „Unser Widerstand geht weiter“ führt zur logischen Frage: Gegen was? Gegen Corona? Gegen das parlamentarische System? Gegen Migrant*innen? Gegen die Wissenschaft?

Die FPÖ lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich verstärkt der außerparlamentarischen Mobilisierung zuwenden wird. Noch steht sie am Anfang, noch ist die FPÖ offenbar nicht fähig gewesen, dieses radikalisierte Potenzial dauerhaft in Partei- oder Vorfeldstrukturen einzubinden. Diese Aufgabe werden ziemlich sicher Burschenschafter und Identitäre übernehmen. Damit erreichen die faschistoiden und faschistischen Kräfte in diesem Land eine neue Qualität. Die Arbeiter*innenorganisationen müssen wachsam und verteidigungsbereit sein!