Die Klassen kämpfen gegeneinander und die Geschichte geht weiter
Mit der Restauration des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie in der UdSSR im Jahr 1992, dem einzigen Land, in dem die Arbeiterklasse die Macht ergriffen hatte, jubelte die Bourgeoisie weltweit über ihren Sieg. Wie eine hängengebliebene Schallplatte erklärte sie, dass das Ende der Geschichte gekommen sei: die Arbeiter*innenklasse sei tot, der Klassenkampf gehöre der Vergangenheit an, die Revolution war ohnehin nur ein Betriebsunfall für die Menschheit, die einzige Zivilisation, die die Menschheit kennen werde, wird der Kapitalismus sein. Alle bürgerlichen Ideologen posaunten, dass die Menschheit von nun an eine blühende Welt erwarten würde.
Die weltweite Arbeiter*innenbewegung wurde von diesem historischen Rückschlag stark beeinträchtigt. In den kapitalistischen Ländern haben die traditionellen Parteien der Arbeiterklasse (mit Labour-, sozialdemokratischem oder stalinistischem Hintergrund) jeden Bezug zum Sozialismus aufgegeben, und ihre zentristischen Satelliten sind noch opportunistischer geworden. Bei den Stalinisten löste die Führung einer der größten “kommunistischen” Parteien, der PCI (KP Italiens), diese sogar auf und fusionierte mit einer Fraktion der Christlich-Demokratischen Partei, die Führung der britischen CPGB trat der Liberaldemokratischen Partei bei. Bei den Zentristen löste sich die französische LCR in der NPA auf, die amerikanische ISO löste sich auf und schloss sich faktisch den DSA-Mitgliedern der Demokratischen Partei an…
Die Praxis des täglichen Lebens zerstört diese Aphorismen vom « Ende der Geschichte ». Die Arbeiter*innenklasse breitet sich über alle Kontinente aus und wächst weltweit zahlenmäßig an. Die Restauration des Kapitalismus hat den Völkern Mitteleuropas, Russlands, Chinas, Vietnams … und Zentralasiens kaum Vorteile gebracht. Wirtschaftskrisen sind nicht verschwunden, im Gegenteil, sie haben 2008 und 2020 sogar eine globale Dimension angenommen. Bewaffnete Konflikte haben nicht aufgehört, sie treten einmal als Bürgerkrieg, dann als Intervention ausländischer Streitkräfte, dann wieder als Mischung aus beidem auf. Imperialistische Mächte kämpfen um die Welt, regionale Mächte um einen Kontinent oder Subkontinent.
Die Umweltzerstörung, die bereits die Austrocknung des Aralsees bewirkt hat, greift in einem immer größer werdenden Ausmaß um sich.
Und die Arbeiter*innenklasse, die arbeitenden Frauen, andere ausgebeutete Klassen, unterdrückte Nationalitäten und Student*innen haben nicht aufgehört, Widerstand zu leisten und zu kämpfen. In den letzten Jahren gab es Massenkämpfe in Algerien, im Sudan, in Hongkong, Ecuador, Kolumbien, Iran, Weißrussland, den USA, Burma, Kuba … Auch wenn sie keinen ausgeprägten proletarischen Charakter annahmen und sich ohne nennenswerte Zugeständnisse zu erringen zurückzogen
– außer in Chile, wo die reformistischen Parteien (PCCh, PS) nach wie vor versuchen, die Arbeiter mit einer verfassungsgebenden Versammlung und einer Volksfrontregierung zu täuschen.
Die Bourgeoisie in Kasachstan
Kasachstan, das sowohl an die westchinesische Region Xinjiang als auch an Russland grenzt, hat das Potenzial, im Falle einer proletarischen Revolution das regionale Gleichgewicht zu kippen und aufgrund dieser geostrategischen Bedeutung die Widersprüche zwischen den Imperialisten zu verschärfen. Bisher hatten sich die Regierungen von Nasarbajew (1992-2009) und Tokajew (2009-…) geweigert, sich zwischen den USA, China und Russland zu entscheiden.
Kasachstan zählt wirtschaftlich und geostrategisch zu den wichtigsten Ländern Zentralasiens. Es ist das neuntgrößte Land der Welt. Es verfügt über Vorkommen an Erdgas, Erdöl, Kohle, Uran (der größte Uranproduzent der Welt), Eisen, Mangan, Chrom, Kalium….. Durch das Land verlaufen zahlreiche Erdöl- und Erdgaspipelines. Es beherbergt die wichtigsten Plattformen für Kryptowährungen.
Der ehemalige stalinistische Bürokrat Nasarbajew, der die Restauration des Kapitalismus in Kasachstan anführte, von 1991 bis 2019 Staatschef war und 2019 zurücktrat, um die Rolle des Vorsitzenden des Sicherheitsrats des Landes zu übernehmen, ist ein typisches Beispiel für die Oligarchie, die sich in den letzten 30 Jahren an Energie und Mineralien bereichert hat.
Die ehemaligen Bürokraten der UdSSR haben sich im Zuge der kapitalistischen Restauration in eine Kapitalist*innenklasse verwandelt.
Sie ließen die Unterdrückungsapparate der alten stalinistischen bürokratischen Regimes intakt, während sie einen schnellen Prozess der kapitalistischen Restauration einleiteten und allen sozialen Errungenschaften und Rechten den Krieg erklärten. Damit ebneten sie den Weg für Arbeitslosigkeit, Armut und Klassenunterschiede.
Während der Durchschnittslohn bei 570 US-Dollar liegt und viele Arbeiter den Mindestlohn von 97 US-Dollar erhalten, ist es allgemein bekannt, dass die Familie Nasarbajew über ein Nettovermögen von einer Milliarde US-Dollar verfügt und in London Luxusimmobilien im Wert von 107 Millionen US-Dollar besitzt.
Das Proletariat, die Bauernschaft und die Beschäftigten im informellen Sektor haben die Wirtschaftskrise von 2008 und 2020 schmerzhaft zu spüren bekommen und einen hohen Preis in der Covid-Pandemie gezahlt. Arbeitslosigkeit und Inflation haben der Arbeiter*innenklasse schweres Leid zugefügt.
Parallel zu dieser Verschlechterung wurden die demokratischen Rechte vom bürgerlichen Staat methodisch untergraben. Im Jahr 2006 wurden ein Dutzend islamistischer Organisationen und die kurdisch-nationalistische PKK verboten. Im Jahr 2015 wurden Streiks verboten, Gewerkschaften und Arbeiter*innenparteien aufgelöst. Es gibt noch sieben politische Parteien, die alle das herrschende Regime unterstützen. Vereinigungen, die von westlichen imperialistischen Ländern unterstützt werden, spielen die Karte der Feindseligkeit gegenüber China und Russland.
Anfang der 2000er Jahre kam es zu einem großen Streik der Bergarbeiter- und Ölarbeiter*innen. Bei diesen Streiks überwogen soziale und politische Aspekte gegenüber den wirtschaftlichen Forderungen. Die zentrale Forderung bestand in der Enteignung der Unternehmen im Ölsektor. Kommunistische oder linke Gruppen hatten keinen Einfluss auf diese Streiks. Als die Bergarbeiter 2011 streikten, schlug die kasachische Bourgeoisie mit Staatsterror zurück und ließ bei Demonstrationen in Janaozen (im Westen) auf die Arbeiter*innen schießen. Dutzende Arbeiter verloren ihr Leben, Hunderte wurden verletzt. Doch einige Arbeiter*innen zogen ihre Lehren daraus und sie reorganisierten sich wahrscheinlich im Geheimen.
Ein Aufstand mit proletarischem Ursprung
Anfang Januar 2022 erschütterte der Aufstand der arbeitenden Klassen in Kasachstan den bürgerlichen Staat bis in seine Grundfesten. Die kasachischen Machthaber, unterstützt von den imperialistischen Nachbarregierungen Russlands und Chinas, argumentierten, die Bewegung sei von außen geschürt worden, entweder von der mächtigsten imperialistischen Regierung, den USA, oder von Islamisten mit Verbindungen nach Afghanistan oder Syrien.
Dennoch, dieser Aufstand hat einen sozialen und klassenmäßigen Charakter. Er findet vor dem Hintergrund der unaufhörlichen militanten Kämpfe der Arbeiter*innenklasse gegen die Zerstörungen statt, die durch die Restauration des Kapitalismus seit 1992 verursacht wurden, gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes, gegen die Aneignung des Reichtums durch eine Kompradorenbourgeoisie (“Oligarchen”), die aus der ehemaligen stalinistischen Bürokratie hervorgegangen ist, gegen die Einschränkung der demokratischen Freiheiten und den Despotismus des Regimes.
Es ist die Arbeiterinnen*klasse, die diese politische Krise ausgelöst hat.
Am 2. Jänner gingen die Ölarbeiter in Janaozen auf die Straße und blockierten die Straßen gegen die Erhöhung der Preise für Erdgas, das als Kraftstoff und auch zum Heizen dient (seit 2019 gibt die Regierung die Preise frei). Am 3.Jänner forderten die Demonstranten in Janaozen auch die Wahl der lokalen Amtsträger (die von der Regierung ernannt werden).
Die Proteste weiteten sich am 3. und 4. Jänner auf das ganze Land aus: auf Aqtaw, die Hauptstadt Nursultan, die größte Stadt Almaty (früher Alma-Ata), Schymkent, Manguistau… Alle Öl- und Gasförderstätten, Kohle- und Kupferminen waren betroffen. Am 4. Januar streikten die Beschäftigten des Ölunternehmens Tengizchevroil, dem größten des Landes, dessen Kapital zu 75% US-amerikanischen Unternehmen gehört. Das Besondere an diesem Unternehmen war, dass 40.000 Arbeiter*innen in einer ganzen Kette von Entlassungsplänen gekündigt werden sollten. Arbeiterkomitees forderten die Stabilisierung der Energie- und Lebensmittelpreise, eine Lohnerhöhung um 100 %, bessere Arbeitsbedingungen und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren (Koalitionsrecht).
Arbeitslose und Angestellte nahmen in großer Zahl an den Demonstrationen teil. Die Slogans waren meist auf Kasachisch, neben Russisch die wichtigste Sprache des Landes (aus der türkischen Sprachfamilie). Die Losung, die bei allen Demonstrationen wiederholt wurde, war: “Sahl, ket!” (“Hau ab, alter Mann!”), die sich gegen das von Nasarbajew eingeführte und von Tokajew fortgeführte System richtete. Die Forderungen waren je nach Ort sehr unterschiedlich: bessere Löhne, ein niedrigeres Renteneintrittsalter, das Recht, Gewerkschaften zu gründen und zu streiken, der Rücktritt des Staatspräsidenten und aller mit Nasarbajew verbundenen Amtsträger, die Wiederherstellung der Verfassung von 1993, die Freiheit, Parteien zu gründen (die Regierungspartei ist Nur Otan, das Wahlgesetz hindert die meisten anderen daran, an Wahlen teilzunehmen), die Freilassung aller politischen Gefangenen sowie die Beendigung jeglicher Repressionen.
Lumpenproletarische Elemente nutzte die Unruhen, um zu plündern. Es ist wahrscheinlich, dass sich Islamisten unter die Proteste mischten. Die Regierung sprach von zwei enthaupteten Polizisten: Wenn das stimmt, was nicht sicher ist, wäre das ein Beweis für die Beteiligung dieser konterrevolutionären Organisationen.
Blutige Unterdrückung unter der Führung von Tokajew
Die kasachische Regierung kappte landesweit die Internetzugänge, verhaftete Journalist*innen und befahl den Sicherheitskräften, ohne Vorwarnung auf die Arbeiter zu schießen.
Auf den Kampf und die Forderungen der Arbeiter*innenklasse reagierten die kasachischen Oligarchen mit einem fürchterlichen Staatsterror. Die Arbeiter*innen hingegen wussten dark aufbauten. Sie bewaffneten sich, indem sie Waffenläden plünderten, und innerhalb der Polizei und des Militärs weigerten sich einige Abteilungen, auf die Demonstrant*innen zu schießen, oder schlossen sich ihnen an.
Die kapitalistischen amerikanischen Konzerne – die Ausbeuter der lokalen ArbeiterInnen – riefen zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf. Die chinesische Regierung billigte die Unterdrückung. Der weißrussische Staatschef Lukaschenko forderte die Arbeiter*innen in Kasachstan auf, vor der Armee niederzuknien und um Vergebung zu bitten.
Tokajew gelang es nicht, sich selbstständig aus der Krise zu befreien und bat die OVKS (die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit), die unter der Führung Russlands gegründet wurde und Armenien, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan umfasst, um militärische Unterstützung gegen den von den USA ausgeübten militärischen Druck (und den wachsenden Einfluss Chinas).
Am 6. Januar entsandten Russland, Armenien und Weißrussland Truppen, um das Regime zu retten. Auch wenn die russische Armee nicht unterdrückerisch eingriff, trug sie zur Rückkehr zur bürgerlichen Ordnung bei und festigte so das Regime für eine Weile.
Der Hauptgrund für das frühe Eingreifen der OVKS zur Niederschlagung des Aufstands war die Furcht Putins und der Nachbarregierungen vor einem möglichen Übergreifen des Aufstands auf ihre eigenen Länder und das Bewusstsein, dass die entstandene Radikalität der Arbeiter*innen das Potenzial besitzt, den Weg für die Oktoberrevolutionen des 21. Jahrhunderts zu ebnen. Ein weiteres Motiv ist, dem Einfluss der USA, Chinas und der Türkei entgegenzuwirken.
Tokajew machte den Clan des 81-jährigen Nasarbajew verantwortlich, baute am 5. Januar die Regierung um, entließ mehrere Minister oder Beamte, die mit dem alten Staatschef verbunden waren und ersetzte den Sicherheitsrat durch diese Regierung. Einige Minister wurden sogar verhaftet. Das Internet wurde wieder freigeschaltet und die Erhöhung der Gaspreise rückgängig gemacht.
Nach offiziellen Angaben des kasachischen Staates, der keine Beweise für eine ausländische Intervention vorlegte, wurden 225 Menschen getötet und 12 0000 festgenommen (International Crisis Group, 14. Jänner).
Die revolutionären Aufgaben des Proletariats
Seit über 20 Jahren hat die Arbeiter*innenklasse Kasachstans (insbesondere die Berg- und Ölarbeiter) wichtige Kampferfahrungen gesammelt. Sie hat ihr Wissen um Selbstorganisation in eine Tradition verwandelt. Und auch heute hat sie der Welt gezeigt, dass sie in der Lage ist, mit Hilfe von Arbeiter*innenkollektiven einen Generalstreik zu organisieren, den Kapitalismus in Kasachstan lahmzulegen, sowie ihre Fähigkeit, ihre Selbstverteidigung gegen den Staatsterror zu organisieren.
Sie konnte jedoch nicht die Macht übernehmen und wurde erneut niedergeschlagen, mit Hilfe des russischen Imperialismus, der Zustimmung des chinesischen Imperialismus und zur Erleichterung des US-Imperialismus.
Es geht um die Frage der revolutionären Führung der Klasse, um die Frage des revolutionären Programms. Der Arbeiter*innenklasse Kasachstans gelang es, den bürgerlichen Staat zu destabilisieren, aber sie war nicht in der Lage, sich an die Spitze aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu stellen, um ihre Macht zu errichten, sie hatte keine Zeit, sich an die Wehrpflichtigen der OVKS-Truppen und die Nachbarvölker zu wenden, um eine konterrevolutionäre Einmischung zu verhindern.
In der Epoche des der Fäulnis preisgegebenen Kapitalismus ist die Bourgeoisie unfähig, auf die demokratischsten Forderungen einzugehen, hat aber kein Problem damit, die Armeen anderer Länder einzuladen, um diese zu ersticken. Daher findet selbst die Frage, wie die demokratischsten Forderungen der Arbeiter*innenklasse durchgesetzt werden können, ihre Lösung in der proletarischen Revolution. Diese muss jedoch den Fallstricken der “demokratischen” oder islamisch-faschistischen Bourgeoisie entgehen.
Die einzige Kraft, die die Zukunft des Landes und Zentralasiens bestimmen muss, ist die Arbeiter*inneklasse. Sie braucht eine revolutionäre Massenpartei, die nur auf der Grundlage des Marxismus und in Verbindung mit der Avantgarde in der Region und auf der ganzen Welt aufgebaut werden kann.
- Auflösung aller Unterdrückungskräfte der Tokajew-Oligarchie! Ersetzung durch Arbeiter*innen- und Volksmilizene! Alle ausländischen Truppen raus aus Kasachstan!
- Freiheit für alle politischen Gefangenen! Streikrecht, Recht auf freie Meinungsäußerung, Demonstrationsrecht, das Recht, Gewerkschaften oder politische Parteien zu gründen – alle demokratischen Rechte müssen gewährleistet werden!
- Gleitende Skala der Löhne und Gehälter! Verkürzung der Arbeitszeit bis zur Einstellung aller Arbeitslosen ohne Lohnkürzung!
- Enteignung der Fabriken, aller Bergwerke und aller natürlichen Ressourcen, der Banken, der Kommunikationsdienste unter Arbeiterkontrolle! Enteignung der gesamten in- und ausländischen Großbourgeoisie!
- Gleichberechtigung der Frauen! Kriminalisierung von häuslicher Gewalt gegen Frauen!
- Bildung von Räten aus städtischen Arbeiter*innen, Wehrpflichtigen, arbeitenden Bauern, Student*innen an Arbeitsplätzen, in Schulen, Wohnvierteln, in der Armee, in den Dörfern, im ganzen Land!
- Arbeiter*innen- und Bauernregierung! Räte-Föderation von Zentralasien!
- Aufbau der revolutionären Partei der Arbeiter*innenklasse durch die bestehenden kommunistischen Kerne um das marxistische Programm!
- Internationale Solidarität mit den Arbeiter*innen Kasachstans durch alle Arbeiterorganisationen, angefangen mit denen der Länder der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit!
Kollektiv Permanente Revolution (CoReP)
Frankreich, Österreich, Spanischer Staat, Türkei