Der “tief sozialdemokratisch verwurzelte ‘Marxist'” Babler

Ist er’s oder ist er’s nicht? Marxist nämlich. Er? Andi Babler, wer sonst!

So ziemlich alle journalistischen Fallstricke umgehend, kam Babler am 24. Mai 2023 innerhalb weniger Stunden ins Straucheln. Im Gespräch mit Puls4-Infochefin Corinna Milborn erklärte der Anwärter um den SP-Vorsitz:

“Ich bin Marxist. Ich bin marxistisch orientiert seit meiner Jugendorganisation, aber Marxist ist natürlich ein hartes Wort manchmal.”“

Zwei Stunden später, in der ZiB2, klang das auf die Frage von Armin Wolf schon ganz anders: Marxist? „Na, überhaupt net, wenn man des so interpretiert“. Der Marxismus sei eine „Brille“, die helfe, einen Blick auf die Wirklichkeit zu werfen, selbst Kreisky habe dann und wann über Marx gesprochen… Ansonsten sei sein Programm „tief sozialdemokratisch verwurzelt“.

Peinlich war in erster Linie, dass man Babler ansah, dass er nicht nur ins Schwimmen gekommen war, sondern wusste, dass er jetzt in eine Falle getappt war, in der er sich heillos verfangen hatte. Mag sein, dass sich Babler subjektiv als Marxist fühlt. Wenn er Angst hat, dadurch Leute in der eigenen Partei zu vergrätzen, sollte er lieber schweigen. Wobei es natürlich fraglich ist, ob ein Marxist seine Überzeugung verstecken soll, um an eine Position zu gelangen, an der er sich dann plötzlich in der vollen Pracht des wissenschaftlichen Sozialismus präsentiert. Mit Marxismus hätte so eine Strategie wenig zu tun – wollen Revolutionär*innen doch die Massen für sich gewinnen und nicht austricksen.

Armin Wolf hatte sich definitiv gut vorbereitet, als er kurz als Eckpunkte des Marxismus die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Diktatur des Proletariats anführte. Vermutlich unbewusst folgte Wolf hier der Charakterisierung des Marxismus durch Lenin in dessen fundamentalem Werk „Staat und Revolution“ (geschrieben 1917): 

„Den Marxismus auf die Lehre vom Klassenkampf beschränken heißt den Marxismus stutzen, ihn entstellen, ihn auf das reduzieren, was für die Bourgeoisie annehmbar ist. Ein Marxist ist nur, wer die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der Diktatur des Proletariats erstreckt. Hierin besteht der tiefste Unterschied des Marxisten vom durchschnittlichen Klein- (und auch Groß-) Bourgeois. Das muß der Prüfstein für das wirkliche Verstehen und Anerkennen des Marxismus sein“.

Werfen wir Marxist*innen Babler vor, dass er keinMarxist ist? Nein, natürlich nicht. Babler verkörpert einen durchaus sympathischen und vermutlich persönlich integren Typus eines reformistischen Politikers. Er ist Sozialdemokrat, das betont er immer wieder und sehr glaubhaft. Sein politischer Horizont ist von der Vorstellung geprägt, dass eine starke SPÖ, die sich für die ökonomischen und sozialen Anliegen der arbeitenden Menschen im Rahmen des Kapitalismus einsetzt, bei Wahlen die relative, vielleicht sogar einmal die absolute, Mehrheit der Wählerstimmen erreichen wird. 

Seine Forderungen, die für die Vertreter*innen der bürgerlichen Parteien und seine innerparteilichen Widersacher „links“ oder „marxistisch“ klingen, sind samt und sonders reformistisch. Sie könnten jederzeit umgesetzt werden, ohne auch nur einen Millimeter am Kapitalismus zu rütteln. Vermögens- und Erbschaftssteuern, Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhungen im Pflegebereich – all das ginge, ohne die bestehende Ordnung ernsthaft infrage zu stellen. Erst, wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln beseitigt wird und die Entscheidungen nicht mehr „im Parlament“ fallen, sondern die Gewalt in die Hände von gewählten Räten der Lohnabhängigen übergeht, die ihrer Wählerbasis rechenschaftspflichtig und jederzeit absetzbar sind, kann das Profitsystem beseitigt werden.

Wenn Babler kein Marxist ist – wünschen wir ihm deswegen Pest und Cholera und die Krätze an den Hals? Nein, natürlich nicht. Wir sehen den sogenannten Richtungsstreit in der SPÖ unter einem anderen Blickwinkel: Welche Lösung dieser Krise wäre im Sinne einer revolutionären Politik die Beste? So, wie es uns nicht egal ist, ob die Bourgeoisie parlamentarisch, autoritär oder gar faschistisch regiert ist uns nicht egal, welche Strömung in der SPÖ dominiert. Eine reformistische Parteispitze, die soziale Fragen thematisiert und einen aggressiveren Kurs gegenüber der türkis-grünen Regierung fährt als unter Rendi-Wagner ist uns lieber als eine SPÖ unter Doskozil, die ebenfalls sozialdemokratisch ist, aber offen Richtung FPÖ schielt. Nicht, weil wir uns von dieser reformistischen Führung ernsthafte Verbesserungen erwarten – aber sie würde das politische Klima auflockern und die Diskussion über Klassenfragen auf einer breiteren Grundlage ermöglichen. 

Klar warnen wir Genossinnen und Genossen, die jetzt Hoffnungen in eine SPÖ unter Babler setzen, vor Illusionen. Wir halten nichts davon, als „kritische Unterstützer“ der Babler-Linie aufzutreten. Die SPÖ ist unrettbar mit den Ketten der Sozialpartnerschaft und der Posten und Pöstchen im Staatsapparat an den Kapitalismus geschmiedet. Wenn ihr an eine Veränderung der SPÖ glaubt, dann formuliert eure eigenen Forderungen und richtet sie an eure Führung.  Seht, ob diese Forderungen umgesetzt werden. 

Die Lösung liegt in den Betrieben, auf der Straße, in den Schulen und Universitäten, den Stadtteilen und Dörfern. Überall, wo arbeitende Menschen die Möglichkeit haben, sich selbständig zu organisieren, kann mehr Veränderung erreicht werden als im Parlament. Notwendig ist eine wirkliche politische Interessensvertretung der Lohnabhängigen und der Jugend, die nur deren Interessen verpflichtet ist. Wir brauchen eine neue, eine internationalistische Arbeiter*innenpartei – und die muss auf dem theoretischen Boden des Marxismus stehen, wenn sich wirklich etwas ändern soll.