Demonstrieren ist gut – Streiken ist besser

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Unser Flugblatt zu den Donnerstagsdemos

Als im Februar 2000 die schwarz-blaue Regierung Schüssel/Haider angelobt wurde, erhob sich ein für das traditionell “ruhige” Österreich ein erstaunlich breiter Proteststurm. Im Zentrum der Proteste stand Jörg Haider, für viele ein Synonym für die nazi-faschistische Vergangenheit im Land. Die Massendemonstrationen der ersten Tage und Wochen ebbten ab (Dauermobilisierungen sind für berufstätige Menschen kaum durchzuhalten) und wurden zum Ritual der Donnerstagsdemos. In den Aufrufen dazu hieß es immer wieder: “Wir gehen, bis sie gehen”. Sie sind nicht gegangen.

Das muss für uns heute die Lehre aus der Bewegung gegen schwarz-blau von 2000 bis 2003 sein: Eine reaktionäre Regierung lässt sich nicht “wegdemonstrieren”. Sie wird sich immer – ganz nach den Spielregeln der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie – darauf berufen, dass sie ja durch eine Mehrheit bei Wahlen ans Ruder gekommen ist; und jede Demonstration muss zwangsläufig kleiner sein als die kumulierten Wählerstimmen vom Wahltag.

Eine zweite Lehre der Bewegung gegen schwarz-blau: die Fixierung auf Haider (oder die FPÖ) hat die Proteste von Anfang an auf eine schiefe Ebene gebracht. Auch heute ist eine wirklich unsympathische und zynische Figur wie Herbert Kickl eine herrliche Zielscheibe der Kritik. Nur: Ist es seine Partei, die den Kurs der Regierung bestimmt? Nein. Natürlich bringt die FPÖ auf Grund ihrer langen Erfahrung in Hass auf “die Bonzen” (womit vor allem Betriebsräte und Gewerkschafter_innen gemeint sind), fremdenfeindlicher Hetze, dumpfem Nationalismus einen besonders widerwärtigen Geruch in die Duftnote der neuen Bürgerblockregierung. Und sie ist die Erbin der alten Deutschnationalen und Nazis aus der Zwischen- und Nachkriegszeit. Aber die jetzt als “Kurz-Bewegung” firmierende ÖVP ist die Nachfolgerin der Christlichsozialen und Klerikalfaschisten, die Nachfolgepartei derer, die 1934 die Kanonen auf die Gemeindebauten des Roten Wien gerichtet haben.

Diese Regierung hat vom ersten Tag an keinen Hehl daraus, dass sie die Regierung der Reichen und der Konzerne ist. Die Investition der Großunternehmen in den Wahlkampf der türkisen Kurz-Partie mussten sich ja schließlich lohnen – Kapitalist_innen sind ja nur höchst selten idealistische Wohltäter, sie wollen für ihr investiertes Kapital auch Profite sehen. Die Freiheitlichen, die noch im Wahlkampf einen auf “soziale Heimatpartei” machten, ließen in der Regierung gleich die Maske fallen. Die Besetzung des Sozialministeriums mit 150-Euro-Beate Hartinger-Klein war ein deutliches Signal: je sozial inkompetenter, umso besser.

Als Regierung der Reichen und der Konzerne ist diese Regierung allerdings, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, eine besonders offene Geschäftsführerin der politischen Geschäfte der heimischen Kapitalist_innen insgesamt. Und dazu gehört der Abbau und, wenn möglich, die Zerschlagung der demokratischen Errungenschaften der Vergangenheit.

Ja, Errungenschaften. Wenn schon unter der Koalition mit der SPÖ der damalige Innenminister Sobotka das Demonstrationsrecht verschärft hat, war das nicht deswegen so skandalös, weil ein abstraktes “demokratisches Prinzip” verletzt wurde, sondern deswegen, weil eine sozialdemokratische Parteiführung, die sich seit fast 100 Jahren in den bürgerlichen Staat integriert hatte, keinen ernsthaften Widerstand leistete. Für das Recht, sich zu organisieren, Vereine und Parteien zu bilden, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, sich Vertretungen in den Betrieben aufzubauen, auf der Straße für ihre Anliegen einzutreten, für das Recht der Frauen, in der Politik mitzureden und wählen zu dürfen, haben die österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts gekämpft und geblutet, sind ins Gefängnis gegangen und haben sich in den Straßen der Monarchie der berittenen Polizei entgegengestellt.

Was für uns heute selbstverständlich ist, war das Ergebnis jahrzehntelanger Klassenkämpfe. Wenn heuer ein “Haus der Geschichte” eröffnet wird, verbreiten die meisten willfährigen Ideologen der herrschenden Klasse das falsche Geschichtsbild einer Art “demokratischen Urknalls”. Kaiser weg, Demokratie her. Die Republik war das Ergebnis einer tatsächlich revolutionären Bewegung, das Produkt nicht zuletzt der verbissenen und heldenhaften Streiks der österreichischen Arbeiterinnen gegen die Kriegswirtschaft ab Jänner 1918. Sie war das Produkt eines Matrosenaufstands in der kaiserlichen Kriegsmarine in Cattaro, und sie war das Produkt der Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates in Wien.

Die österreichische Bourgeoisie hat die Republik – selbst, nachdem die Sozialdemokraten der Revolution die Spitze abgebrochen und die Auflösung der Räte erzwungen hatte – immer gehasst. Sie hat aber ihre Errungenschaften genützt, um sie gegen die Republik selbst zu richten. Ihre parlamentarischen Vertretungen – Landbund, Christlichsoziale, Heimwehrblock – nutzten die scheinbar demokratischen Strukturen des bürgerlichen Staates, um die wirklichen demokratischen Errungenschaften der Massen pseudodemokratisch zu beseitigen. Ihre Bundeskanzler ließen sich mit Ermächtigungsgesetzen aus der Kriegszeit ausstatten und konnten so mit Notverordnungen regieren. Während die organisatorischen Rechte der Arbeiter_innen Schritt für Schritt ausgehebelt wurden, rüsteten sie Polizei, Armee und faschistische Milizen auf.

Österreich 2018 ist nicht Österreich 1932/33. Vor allem deswegen, weil trotz der sozialdemokratischen Parteiführung, die seit 1914 ihre Interessen direkt mit denen des bürgerlichen Staates verknüpft hatte, eine hochorganisierte und kampfbereite Arbeiter_innenbewegung existierte, die immer wieder zeigte, dass sie jederzeit der Kontrolle ihrer “Führer” entgleiten konnte. Eine derartige breite Arbeiter_innenbewegung fehlt heute. Nicht, weil die Menschen dümmer oder fauler geworden sind, sondern weil auch nach den Niederlagen 1933 (Auflösung der meisten Arbeiterorganisationen), Februar 1934 (bewaffnete Niederwerfung der Arbeiterbewegung), 1938 (Machtergreifung der Nazis) die SPÖ nicht bereit war, mit dem Kapitalismus zu brechen.

1918 hatten Arbeiterjugendliche auf der Wiener Ringstraße skandiert: “Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel”.

Von diesem Ziel hat sich die Sozialdemokratie seit 1914, als sie für die Kriegspolitik der Habsburger stimmte, verabschiedet. Während der 1. Republik sah sie sich als “Krankenpfleger am Totenbett des Kapitalismus”, nach 1945 als “Sozialpartner” beim Wiederaufbau des Kapitalismus in Österreich. Dem ordnete sie politisch und gewerkschaftlich die Interessen der Lohnabhängigen unter.

Wir stellen der bürgerlichen Scheindemokratie das Modell der Arbeiterdemokratie entgegen, das Modell von Räten auf Betriebs- und Stadtteil- oder Dorfebene. Direkt gewählt, rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Gewählte Vertreter_innen dürfen nicht mehr verdienen als eine qualifizierte Arbeiterin, und es muss ein striktes Rotationsprinzip geben – “Dauerpolitiker” darf es nicht geben, jede und jeder kann und muss lernen, die Interessen seiner Klasse und damit seine/ihre eigenen zu vertreten.

Zurück ins Jahr 2000, oder besser: 2003. Hunderttausende folgten damals dem Aufruf des ÖGB, gegen die sogenannte “Pensionsreform” der Regierung Schüssel-Haider zu demonstrieren. Im Parlament wurde das asoziale Paket beschlossen – statt die deutlich auf der Straße bekundete Kampfbereitschaft der Menschen zu nutzen, um den Gesetzesentwurf und damit die Regierung durch Massenstreiks und den Generalstreik zu Fall zu bringen, ließ man die Bewegung versanden.

Es steht zu befürchten, dass auch die große Demonstration gegen den 12-Stundentag vom 30. Juni ein Strohfeuer bleiben wird. Der von der Gewerkschaftsspitze angekündigte “Heiße Herbst” ist bisher ausgeblieben. Auch bei der Protestkundgebung der GPA vor dem Sozialministerium am 14. September haben  wir gesehen, dass die von Sozialabbau und Sparpolitik Betroffenen zornig und kämpferisch sind.

Diesen Unmut, diese Empörung, gilt es zu bündeln und zu vereinheitlichen: Die Proteste und Demonstrationen gegen die Abschiebepolitik, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Migrant_innen, die Einführung von desintegrativen Apartheid-Deutschklassen, die Hochrüstung der Polizei, den Willen zu Militäreinsätzen in Nordafrika, die Angriffe auf die Informations- und Meinungsfreiheit, die Zwangsmaßnahmen gegen NGOs im Asyl- und Ökologiebereich müssen mit den Bewegungen gegen Arbeitszeitverlängerung, Zerschlagung der Krankenkassen und der AUVA und drohende Angriffe auf die Kollektivverträge zusammenfließen.

Wenn sich Sebastian Kurz damit brüstet, dass das, was er von sich gibt, vor ein paar Jahren noch als “rechtsextrem” gegolten hat, ist das ein entlarvendes Eingeständnis und eine Drohung zugleich.

Auch wenn wir keinerlei Vertrauen in die Führung der SPÖ haben (die derzeit selbst die interne Demokratie mit Füßen tritt, indem sie eine durch eine Mitgliederbefragung beschlossene Statutenreform auf Zuruf des Wiener Bürgermeisters schubladisiert) und nicht glauben, dass die ÖGB-Spitze wirklich kampfbereit ist, dürfen wir diese Organisationen, die aus der langen und kämpferischen Tradition der österreichischen Arbeiter_innenbewegung hervorgegangen sind, nicht aus der Pflicht zur Opposition entlassen.

  • Keine Packeleien mit der Regierung!
  • Schluss mit dem Gerede von einer Sozialpartnerschaft!
  • Gemeinsame Antwort auf Angriffe der Regierung, egal auf welche Gruppe der arbeitenden oder arbeitslosen Bevölkerung – ein Angriff auf Einen ist ein Angriff auf Alle!
  • Einheitsfront aller Arbeiter_innenorganisationen und der Gewerkschaften gegen die Angriffe auf unsere Rechte und die Zukunft der kommenden Generationen!
  • Unbefristeter Generalstreik als erster Schritt zum Sturz dieser Regierung!