Das Volksbegehren gegen kirchliche Privilegien kritisch unterstützen!

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Erklärung der Gruppe Klassenkampf

Vom 15. – 22. April 2013 besteht die Möglichkeit, in den Gemeinden das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien zu unterschreiben.

Die Forderungen des Volksbegehrens sind:

Für die Schaffung eines Bundesverfassungsgesetzes:
1. Zur Abschaffung kirchlicher Privilegien
2. Für eine klare Trennung von Kirche und Staat
3. Für die Streichung gigantischer Subventionen an die Kirche
Für ein Bundesgesetz zur Aufklärung kirchlicher Missbrauchs- und Gewaltverbrechen

Trotz einiger kritischer Anmerkungen rufen wir dazu auf, das Volksbegehren zu unterstützen.

Die Trennung von Kirche und Staat ist eine traditionelle Forderung der revolutionären Arbeiterbewegung, eine jener vielfältigen demokratischen Aufgaben, welche das Bürgertum als herrschende Klasse selbst in seiner revolutionärsten Phase (Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts) nie ernsthaft verwirklicht hat.
Religion ist für uns Marxisten keine den Menschen von Außen eingepflanzte „falsche Ideologie“. Religion entstand und entsteht bei Menschen aus der Verzweiflung über ungerechte, undurchschaubare, unerträgliche Zustände. Diese Reaktion auf die Zustände in jeder Klassengesellschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung der Masse der Bevölkerung beruht, kann natürlich von den Herrschenden zugespitzt, instrumentalisiert und zur Ideologie der Unterwerfung gemacht werden. Ein treffender Beweis ist der bekannte Satz des großen französischen Aufklärers Voltaire (1694 – 1778), eines Wegbereiters der Revolution von 1789, der erklärte: „Gäbe es die Religion nicht, man müsste sie erfinden“ – um das Volk ruhig zu halten.
Im Namen der Religion führte das europäische Bürgertum im 19. Jahrhundert nicht wenige Schläge gegen die sich herausbildende Arbeiterbewegung. So war eine religiös verbrämte Ideologie der Klassenzusammenarbeit die Basis der „gelben“ Gewerkschaften, also jener Pseudointeressensvertretungen, die kapitalistische Unternehmen aufbauten, um die Belegschaften vom wirklichen gewerkschaftlichen Kampf fernzuhalten.
Das verlogene Geschwätz einer „christlich-sozialen“ Politik sollte Arbeitern und dem Kleinbürgertum den Kapitalismus leichter verdaulich machen. In Österreich waren die Christlich-Sozialen in der Ersten Republik die Wegbereiter des „grünen“ Faschismus, der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie 1933 und des Bürgerkriegs gegen die Arbeiter 1934.
Das in der Begründung des Volksbegehrens angesprochene Konkordat, also der Vertrag zwischen Kirche und Staat in Österreich, das die Quelle einer ganzen Reihe von Privilegien der katholischen Kirche ist, war eine der ersten „Großleistungen“ des Austrofaschismus und legitimierte – durch die diplomatische Anerkennung des Dollfuss-Regimes durch den Papst – den Putschistenstaat in Österreich. Höhnischerweise publizierten die siegreichen Klerikalfaschisten dieses Dokument am 1. Mai 1934.
Zu den Verrätereien der österreichischen sozialdemokratischen Führung im 20. Jahrhundert (Unterstützung des 1. imperialistischen Weltkriegs; Erstickung der Rätebewegung 1918 – 1921; Nicht-Bewaffnung der Arbeiter im Juli 1927; Im-Stich-lassen der kämpfenden Arbeiter im Februar 1934) gesellte sich in der Zeit nach 1945 – neben der Integrierung der von ihr kontrollierten Organisationen der Arbeiter, allen voran der Gewerkschaften, in den bürgerlichen Staat – 1957 die Anerkennung des Konkordats von 1934.
Damit wurde der Weg zu enormen finanziellen Zuwendungen geebnet (zur Zeit erhalten die Religionsgemeinschaften 3,8 Milliarden Euro jährlich aus Steuermitteln!) und gleichzeitig durch die Zulassung des konfessionellen Religionsunterrichts durch von den Religionsgemeinschaften bestellte, aber aus öffentlichen Mitteln bezahlten Lehrern, den religiösen Gruppen der Zugriff auf Kindergärten und Schulen gewährt.

Als Marxisten fordern wir daher explizit:

Völlige Trennung von Schule und Religionsgemeinschaften!

Das impliziert alle „anerkannten“ Religionsgemeinschaften, also auch die diversen evangelischen Kirchen und den Islam. Natürlich ist dieser Punkt in der Forderung nach Trennung von Kirche und Staat enthalten.

Ablehnend stehen wir der Forderung: „Für ein Bundesgesetz zur Aufklärung kirchlicher Missbrauchs- und Gewaltverbrechen“ gegenüber. Und zwar keineswegs, weil wir die (pädophilen) Verbrechen im Umkreis der Religionsgemeinschaften verharmlosen wollen, sondern weil wir vom bürgerlichen Staat keine neuen (Straf)Gesetze fordern.
Prinzipiell sind klerikale Kinderschänder und andere Verbrecher dem bürgerlichen Strafgesetz unterworfen, in der Praxis gibt es aber Privilegien (Entschlagung von der Zeugnispflicht) und einen internen Korpsgeist, der die Opfer auch nach der Tat weiter demütigt und die Schuldigen ungeschoren davon kommen lässt.
Wenn es gelingt, die kirchlichen Privilegien tatsächlich zu beseitigen und Staat und Religionsgemeinschaften voneinander zu trennen, sind letztere ohnehin der Judikatur des bürgerlichen Staats unterworfen. Statt neuer Gesetze sollen die bestehenden in entsprechender Form, wie sie oft genug im Namen einer religiösen „Moral“ (sexuelle Beziehungen zwischen Jugendlichen, etc.) angewendet werden, zum Tragen kommen.
Unsere kritische Unterstützung für das Volksbegehren bringt zugleich zum Ausdruck, dass wir in keiner Weise mit dem Personenkomitee und einigen Organisationen hinter dem Volksbegehren identifiziert werden wollen. Kritik an kirchlichen Privilegien alleine ist keine Basis für eine weitergehende politische Übereinstimmung.
Wir haben kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat und seine Verfassung. Das Volksbegehren ist für uns daher auch kein Selbstzweck und wir glauben auch nicht, dass auf diesem Weg real die Vorrechte der Religionsgemeinschaften gebrochen werden können. Es bietet vielmehr die Chance, bestehende Privilegien zu thematisieren und damit auch andere, durchaus revolutionäre Inhalte zu vermitteln.

Daher rufen wir alle Genossinnen und Genossen, alle Kolleginnen und Kollegen auf:

  • Zwischen 15. – und 22. April das Volksbegehren unterschreiben!
  • Freunde, Arbeitskollegen und -kolleginnen, Angehörige überzeugen, auch hinzugehen!

Gruppe Klassenkampf, Anfang April 2013