Brief des Kollektivs Permanente Revolution an die ITO-Konferenz

Genossinnen und Genossen,

Die PCL und das Kollektiv Permanente Revolution (CoReP) unterzeichneten zwei gemeinsame Erklärungen zu einem wichtigen Ereignis des Klassenkampfes, der Invasion in der Ukraine. Das CoReP schlug daraufhin vor, auf diesem Weg fortzufahren, um eine Fusion auf der Grundlage eines klaren Programms in Betracht zu ziehen.

Im Anschluss an die Annäherung zur Ukraine … können wir eine Fusion in Betracht ziehen, wenn zu allen wichtigen Problemen des weltweiten Klassenkampfes gemeinsame Erklärungen verabschiedet werden … ein gemeinsames internes Bulletin zu den drei Texten der PCL und der Plattform des Kollektivs Permanente Revolution wird eingerichtet, um die internationale Konferenz demokratisch vorzubereiten; die Einberufung einer gemeinsamen internationalen Konferenz … (Brief des CoReP an die Gruppen und Organisationen, die aus der Koordination für die Neugründung der IV. Internationale hervorgegangen sind, 19. Juni 2022)

Das CoReP stieß auf Ablehnung. Ihm wurde angeboten, zwei Beobachter zu der Konferenz zur “Neukonstituierung der Internationalen trotzkistischen Opposition” zu entsenden. Opposition worin, Opposition zu wem?

Sie, die ITO, wäre “eine Struktur für die vorübergehende Zusammenführung von trotzkistischen Aktivisten, die koheränt, ohne Opportunismus und Sektierertum, den Kampf für die Vierte Internationale führen.” (Thesen der ITO zur Krise der IV. Internationale, 17). Die IV. Internationale wurde als internationales Zentrum von ihrer eigenen revisionistischen Führung von 1949 bis 1953 zerstört, und keine Sektion blieb auf dem Boden des kommunistischen Programms. Mehr als 60 Jahre später gibt es daher keine Möglichkeit für ihren Wiederaufbau, ihre Wiedervereinigung, ihre Neugründung, ihre Regeneration, ebenso wenig wie für die nicht mehr existierende Kommunistische Internationale, die Arbeiterinternationale, die Internationale Arbeiterassoziation und den Bund der Kommunisten.

Die große Mehrheit der Kräfte, die degeneriert, entartet aus dem Trotzkismus heraus entstanden sind, hält an einer allgemein revisionistischen und zentristischen – oder in einigen Fällen ultralinksrevisionistischen – Politik fest, ohne offen und vollständig mit dem revolutionären Marxismus zu brechen. (Thesen des OTI zur Krise der 4e Internationale, 17)

Also bitte ! Nein, Genossinnen und Genossen! Man kann nicht gleichzeitig “entartet” sein und sich auf dem Boden des “revolutionären Marxismus” bewegen. Es reicht nicht, sich als Marxist zu bezeichnen, um Marxist zu sein, Leninist, um Leninist zu sein, Trotzkist, um Trotzkist zu sein. In der Praxis sind unter den Gästen dieser Konferenz Organisationen, die zwar größer als das CoReP sind, aber in keiner Weise die Position der KPL zur Ukraine teilen. Wie die halbreformistische PO in Argentinien, die 2002 die verfassungsgebende Versammlung forderte, die aber niemals die Selbstverteidigung organisiert. Wie die RRP Russlands, welche die Invasion der Ukraine durch ihren eigenen Imperialismus nicht verurteilt.

Seit über einem Monat stehen die iranischen Massen der islamischen Diktatur gegenüber. Doch 1978/79 verlieh fast die gesamte Arbeiterbewegung Ayatollah Khomeini einen Freibrief für Antiimperialismus und überließ es ihm, die Führung der Massen zu übernehmen und eine Konterrevolution vorzubereiten. Es genügte, dass der Ayatollah die USA als “großen Satan” bezeichnete und seine Operation gegen die US-Botschaft organisierte, um sie endgültig davon zu überzeugen. Unterstützung kam nicht nur von der stalinistischen Tudeh-Partei und den Guerillakämpfern, sondern sogar von der “trotzkistischen” Gruppe HKS und der pablistischen “IV. Internationale” von Mandel und Barnes. Tausende von Aktivist*innen bezahlten dafür mit ihrem Leben. Und die islamistische Diktatur, die angeblich antiimperialistisch ist, in Wirklichkeit aber die einzige Möglichkeit für die iranische Bourgeoisie, die Bewegung der Massen mithilfe der schwarzen Reaktion des schiitischen Klerus einzudämmen, bedeutet auch heute noch den Tod von Demonstrant*innen. Dennoch bildete die britische SWP 2004 eine Wahlfront mit der Muslimbruderschaft; dennoch unterstützten die SR 2012 in Ägypten den Kandidaten der Muslimbruderschaft in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen; dennoch behaupteten « trotzkistische » Strömungen (UIT-QI, FLTI-QI, CLC, RCIT …), dass die Dschihadisten 2016 in Syrien eine Revolution anführten.

Im Zeitalter des Imperialismus hat die Bourgeoisie aufgehört, fortschrittlich zu sein, selbst in den vom Imperialismus beherrschten Ländern ist nur die Arbeiterklasse revolutionär. Die Unterstützung der nationalen Bourgeoisie eines beherrschten Landes oder die Unterstützung eines Teils dieser Bourgeoisie, die Absprachen mit dieser Bourgeoisie im Namen eines angeblich gemeinsamen Kampfes gegen den Imperialismus hat immer zur Katastrophe geführt, nicht nur im Iran, sondern auch in Algerien, Venezuela, Bolivien etc.

Die antiimperialistische Einheitsfront ist seit fast einem Jahrhundert nicht mehr Teil des kommunistischen Programms. Als der Begriff 1922 von Sinowjew und Radek geprägt wurde, war er bereits durch das Massaker des bürgerlich-nationalistischen Regimes an der Kommunistischen Partei der Türkei 1921 entkräftet worden. Die Konterrevolution der Guomindang in China 1927 veranlasste die internationale Linke Opposition der KI dazu, die antiimperialistische Einheitsfront durch die Strategie der permanenten Revolution zu ersetzen.

Wenn sich die indische Revolution auf der Grundlage eines Blocks von Arbeitern, Bauern und Kleinbürgern entwickelt, wenn sich dieser Block nicht nur gegen den Imperialismus und den Feudalismus richtet, sondern auch gegen die nationale Bourgeoisie, die in allen grundlegenden Fragen mit ihnen verbunden ist; wenn an der Spitze dieses Blocks das Proletariat steht; wenn der Block den Sieg erringt, indem er seine Feinde durch einen bewaffneten Aufstand hinwegfegt und so das Proletariat zur eigentlichen Führerin der ganzen Nation erhebt, dann stellt sich die Frage: in welchen Händen wird die Macht nach dem Sieg liegen, wenn nicht in denen des Proletariats? (Trotzki, Die Revolution in Indien, 30. Mai 1930)

In Indien wie in China setzte Trotzki der Einheitsfront mit der Bourgeoisie das Bündnis von Bauern, Studenten und Arbeitern unter proletarischer Hegemonie entgegen. In keinem programmatischen Text der IV. Internationale, natürlich von 1929 bis 1940, wurde die antiimperialistische Einheitsfront erwähnt.

Aber 1951 wurde sie von Pablo und Mandel auf einem Kongress der “IV. Internationale” offiziell angenommen. Seitdem haben sich fast alle Strömungen, die sich auf den Trotzkismus berufen, den Stalinisten angeschlossen, um die antiimperialistische Einheitsfront zu verteidigen und sich in Bündnisse und “taktische” Unterstützungen zu verirren, die unweigerlich dazu führen, dass das Proletariat der Bourgeoisie untergeordnet wird.

Alle “Entarteten” der IV. Internationale schließen sich denen der III. und der II. an, haben die Analyse der Bourgeoisie übernommen (“links”, “rechts”…). Darüber hinaus glaubt die französische LO, dass Russland immer noch nicht kapitalistisch ist, und die US-amerikanische SL charakterisiert China 2022 als Arbeiterstaat. Die Epigonen passen sich den korrupten Bürokratien der Gewerkschaften an. Sie kehren der Arbeitereinheitsfront und den Sowjets den Rücken. Sie “vergessen” einen ganzen Teil des kommunistischen Programms (Bewaffnung des Proletariats, Aufstand) oder unterstützen sogar die Forderungen der Polizei (LO, SPEW…). In der Regel laufen sie den « demokratischen” bürgerlichen Kräften hinterher, indem sie systematisch die Parole einer Verfassungsgebenden Versammlung übernehmen, sobald die Bewegung der Massen den bürgerlichen Staat bedroht. So in Tunesien 2011, so in Chile 2019 usw. Einige vertrauen sogar den Vereinten Nationen. In Österreich und Frankreich haben wir das traurige Schauspiel erlebt, dass “Trotzkisten” die Proteste von Faschisten und Verschwörungstheoretikern gegen Masken und Impfungen (RKOB, LO, NPA, CCR-RP …) unterstützen, ebenso wie die robertsonistische IKL-VI. Dies sind die Grundlagen für die pablistische “IV. Internationale” von 1963, die CWI/KAI von 1974, die morenistische LIT-CI von 1981, Lamberts “IV. Internationale” von 1983, die ISt von 1984, die CRQI von 1997 usw. All diese eklektischen Gruppierungen sind inzwischen auseinandergebrochen.

Lenin, der schon im März 1917 über den Kurs besorgt war, den die Führung der Bolschewistischen Partei verfolgte, während er im Exil war, wandte sich vehement gegen jede Unterstützung der Partei für eine bürgerliche Regierung, gegen jedes Zugeständnis an eine Fraktion der Bourgeoisie. Er war sogar bereit zu spalten, wenn die Bolschewistische Partei diesen Kurs weiter verfolgte:

Unsere Partei würde sich für immer mit Schmach bedecken, sie würde sich politisch erledigen, wenn sie auf einen solchen Betrug hereinfiele. Einer Meldung zufolge ist Muranow zusammen mit Skobelew aus Kronstadt zurückgekehrt. Sollte Muranow dorthin im Auftrage der Provisorischen Regierung Miljukow-Gutschkow gefahren sein, so bitte ich Sie (durch einen zuverlässigen Menschen), übermitteln zu lassen und zu veröffentlichen, dass ich das unbedingt verurteile und dass meiner tiefsten Überzeugung nach jede Annäherung an die zum Sozialpatriotismus hin neigenden und einen grundfalschen, äußerst schädlichen sozialpazifistischen, kautskyanischen Standpunkt einnehmenden Tschcheïdse u. Co., für die Arbeiterklasse schädlich, gefährlich, unzulässig ist.(Lenin, Brief an Hanecki, 30. März 1917)

Wir werden degenerierte Organisationen nicht regenerieren, wir werden sie nicht in revolutionäre Organisationen umwandeln. Der kristallisierte Zentrismus, der sich auf dem Weg zum Reformismus befindet, ist kein Referenzpunkt zur Lösung der Führungskrise, sondern ein weiteres Hindernis für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterinternationale.

Für den Sieg der sozialistischen Weltrevolution muss eine neue Internationale aufgebaut werden, die auf den Erfahrungen des Bundes der Kommunisten, des Generalrats der IAA, des linken Flügels der IO, der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale und der Konferenzen der IV. Internationale aufbaut. Auf der Grundlage des kommunistischen Programms muss unverzüglich damit begonnen werden, die heute zersplitterten proletarischen Revolutionäre zusammenzuführen. Lasst uns diese Konferenz zu einem Schritt auf dem Weg zu diesem begeisternden Werk machen!

Diese marxistischen Elemente – sollten sie auch zu Anfang zahlenmäßig noch so schwach sein – zusammenzuschließen, in ihrem Namen an die heute in Vergessenheit geratenen Lehren des revolutionären Sozialismus zu erinnern, an die Arbeiter aller Länder die Aufforderung zu richtet, mit den Chauvinisten zu brechen und sich unter dem alten Banner des Marxismus zu sammeln – das ist die Aufgabe des Tages. (Lenin, Sozialismus und Krieg, Juli/August 1915)

29. Oktober 2022

Internationales Büro des Kollektivs Permanente Revolution