Nostalgiker des Austrofaschismus werden auch weiterhin im schönen niederösterreichischen Mank die Gelegenheit haben, am Dr. Dollfuß-Platz das Lied vom Toten, der sie anführt, zu summen. Denn entgegen einer Ankündigung des Bürgermeisters Martin Leonhardsberger (ÖVP) vom September dieses Jahres wird der seit langem umstrittene Namen des Platzes nun doch nicht geändert.
Vorangegangen war der neuerlichen Diskussion die Entfernung der Straßenschilder am Dollfuß-Platz durch den sozialdemokratischen Ex-Stadtrat Anton Hikade Mitte September. Er hatte die „erbeuteten“ Schilder an das Haus der Geschichte Österreich und das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich geschickt. Tatsächlich wurde dadurch wieder einmal die Diskussion um den anrüchigen Namen angestoßen – gleichzeitig handelte sich Hikade auch eine Anzeige bei der Polizei durch den Manker Bürgermeister ein. So leicht lässt man sich in Niederösterreich seinen Dollfuß nicht abhängen!
Bis weit in die Boulevardpresse schlug Hikades Aktion Wellen. Sogar „Heute“ (Onlineausgabe) berichtete am 28.9: „‘Aufgrund der Empfehlung der beiden renommierten Museen werde ich bereits in der kommenden Gemeinderatssitzung einen Antrag auf Umbenennung einbringen’, teilte Leonhardsberger auf Anfrage mit.“ Aber ach – der offiziell willige Geist der Geschichtsaufarbeitung durch die Nachfolgepartei der Christlichsozialen hielt gerade eine Woche. Denn am 5. November berichtet die Stadtgemeinde Mank auf ihrer offiziellen Website:
„Die historische Aufarbeitung rund um das Thema Dr. Dollfuß und den gleichnamigen Platz in Mank ist gestartet.
Dollfußplatz: historische Aufarbeitung startet, Name bleibt vorerst
Mit den Historikern vom Verein „MERKwürdig“ aus Melk wurde die weitere Vorgangsweise rund um den Dr. Dollfußplatz vereinbart. Anstatt von Aktionismus soll gemeinsam mit dem Museum in Texing das Thema Dr. Dollfuß in Schulprojekten und mit Vorträgen und Diskussionen mit der Bevölkerung aufgearbeitet werden. Nach einem Jahr soll ein Vorschlag für den Platznamen von den Historikern erfolgen, über den der Gemeinderat entscheidet. Für diese Vorgangsweise gab es einen einstimmigen Beschluss des Gemeinderates. Infos zu den geplanten Maßnahmen finden sich auf der Manker Homepage im Bereich Stadtinfos – Historisches unter diesem Link: https://www.mank.at/Stadtinfos_Service/Historisches/Dollfuss-Platz
Mit den Stimmen der ÖVP und FPÖ wurde die Wiederanbringung der Straßentafeln samt Zusatztafel, welche auf den Aufarbeitungsprozess hinweist, beschlossen. Bei der Bevölkerungsumfrage hat sich eine klare Mehrheit für die Beibehaltung des Platznamens ausgesprochen.
Als erstes Zeichen der Aufarbeitung wurden die 1933 und 1935 beschlossenen Ehrenbürgerschaften von Dr. Dollfuß, Rüdiger Starhemberg und Kurt Schuschnigg aufgehoben“
Dass die historische Aufarbeitung „gestartet“ sei, ist wohl eher ein Euphemismus. Denn die Diskussion über den Dollfuß-Platz gibt es zumindest schon seit 2012 (wenngleich dank „message control“ wenig über die Ortsgrenzen hinausdrang – obwohl der Begriff “message control” erst später erfunden wurde).
Immerhin, ein klares Zeichen wurde gesetzt: drei Faschisten wurde Posthum die Ehrenbürgerschaft aberkannt. Erstaunlich bei der Abstimmung über die Beibehaltung des Platznamens: In der überwältigend schwarz-türkisen Gemeinde (Mandatsverteilung seit den Wahlen 2020: ÖVP 18, SPÖ 2, Grüne 2, FPÖ 1) stimmte der FPÖler für Dollfuß. Ob das der Kickl wusste?
Offiziell verschanzt sich die ÖVP bei der Verteidigung des Namens Dr. Dollfuß-Platz dahinter, dass der so Geehrte vom Balkon des damaligen Gasthauses Mayer die ab 1928 eingeführte Pflichtversicherung für Landarbeiter verkündet hatte. Dollfuß war damals Direktor der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer und hatte sich gegen Widerstand in den eigenen christlichsozialen Reihen für die Bauern-Sozialversicherung und eine Arbeitslosenunterstützung für Landarbeiter eingesetzt. Der Agrarexperte Dollfuß wurde durchaus auch von politischen Gegnern geschätzt. Bekannt ist der anekdotische Bericht Bruno Kreiskys, der für seine Maturaarbeit 1929 einen Gesprächstermin bei Dollfuß als Kammerpräsident erwirkt und von diesem auf die Frage nach einer guten Darstellung der österreichischen Agrargeschichte die Antwort erhalten hatte: „Sie sind ja Sozialdemokrat; für die konzentrierteste Darstellung der österreichischen Landwirtschaft halte ich die Einleitung zum Agrarprogramm der Sozialdemokraten, die Otto Bauer unter dem Titel Kampf um Wald und Weide geschrieben hat.“
Nun ist es eine Sache anzuerkennen, dass niemand als Faschist geboren wird. Zahlreiche Spitzenrepräsentatnten des Faschismus haben ihre politische Tätigkeit unter ganz anderen Vorzeichen und in ganz anderen Parteien und Bewegungen begonnen: Mussolini war ein bekannter Vertreter des linken Flügels der italienischen Sozialistischen Partei; der englische Faschistenführer Mosley war Unterhausabgeordneter der Labour Party; der französische Faschist Doriot war KP-Bürgermeister im „Roten St. Denis“ und 1934 ein entschiedener Befürworter einer antifaschistischen Einheitsfront (!).
Bei der Lebensbilanz all dieser Personen ist aber wohl der entscheidende letzte Lebensabschnitt besonders zu gewichten. Die Phase, in der das Weltbild ausgeformt und ausformuliert ist, und wo es die Taten sind, an denen sie zu messen sind. Bei Dollfuß war wohl die Niederlage der Christlichsozialen im November 1930 der Knackpunkt, mit dem das offene Abgleiten vom bäuerlich-katholischen Reaktionären in den Faschismus begann.
Der Verein „MERKwürdig“ in Melk hat ein Konzept mit einer Reihe von Workshops und Veranstaltungen zum Thema ausgearbeitet. Erfreulich (was sicher auch mit dem wissenschaftlichen Beirat zusammenhängt): Hier wird der Austrofaschismus unumwunden beim Namen genannt.
Das alles ändert nichts an der Tatsache: Die ÖVP (und wir meinen hier nicht nur die kleine Ortsorganisation Mank) ist nach wie vor nicht bereit, einen klaren Trennstrich zum Austrofaschismus zu ziehen. Dass es hier Kontinuitäten bis in die Gegenwart hinauf gibt, haben wir an anderer Stelle (siehe KLASSENKAMPF 45, Februar 2022) ausführlich untersucht. Umso wichtiger ist es, dass das „Bündnis 12. Februar“, dem die Gruppe KLASSENKAMPF angehört, nicht nur die Erinnerung an den bewaffneten Aufstand gegen den Austrofaschismus wachhält, sondern auch die Diskussion über den Weg in den Februar 1934 und den Charakter des Regimes auf eine breite Grundlage stellt.