Die österreichische Bundesregierung hat beschlossen, den Zuverdienst zum Arbeitslosengeld weitgehend abzuschaffen. Was als „Arbeitsanreiz“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein Angriff auf hunderttausende Erwerbsarbeitslose, Prekarisierte und sozial Ausgegrenzte – und ein weiterer Schritt zur autoritären Disziplinierung der lohnabhängigen Klasse.
Ein repressiver Klassenkampf von oben
Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer (ÖVP) beklagt, Arbeitslose könnten „bis zu 1.800 Euro netto verdienen“ – das sei „leistungsfeindlich“. Das wahre Problem ist: Das Arbeitslosengeld ist in Österreich ohnehin zu niedrig, egal ob nach zwei, sechs oder 14 Monaten Arbeitslosigkeit. Mit 55 Prozent des „letzten“ Nettoeinkommens, das Arbeitslose derzeit an Arbeitslosengeld bekommen, ist es schwierig, auszukommen. Noch dazu, da sogar dieser lächerliche Prozentsatz geschönt ist: Die Gehälter, die als Berechnungsgrundlage dienen, liegen in der Regel um mindestens zwölf Monate zurück. KV-Gehaltserhöhungen und die Inflation werden also nicht berücksichtigt. Wer überleben will, muss aufstocken – durch Erspartes, Schwarzarbeit oder einen „legalen“ geringfügigen Job.
Doch nun wird selbst das verboten – mit dramatischen Folgen: Für viele Langzeitarbeitslose ist der kleine Zuverdienst existenziell. Ohne ihn können sie keine Schulden begleichen, geraten unter Pfändung – und erhalten so auch keinen neuen Job. In der Schuldenberatung sind 40 Prozent der Klient*innen arbeitslos. Der Zuverdienst ist nicht „leistungsfeindlich“, sondern lebensnotwendig.
Armut per Gesetz
Bereits jetzt sind über 52 Prozent aller Arbeitslosen armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Rund 800.000 Menschen fürchten, ihre Wohnkosten nicht mehr tragen zu können – Arbeitslose sind davon am stärksten betroffen. Doch statt diese Krise zu bekämpfen, nutzt die Regierung sie als Druckmittel: Wer nicht bereit ist, prekäre und krankmachende Jobs anzunehmen, wird mit Kürzungen, Sanktionen oder Perspektivlosigkeit bedroht.
Bourgeoise Ideologie gegen die Realität
Die Behauptung, ein zu hohes Arbeitslosengeld sei schuld an der Arbeitslosigkeit, ist ideologischer Unsinn. Gäbe es einen direkten Zusammenhang, müssten Länder mit niedrigem Arbeitslosengeld die wenigsten Arbeitslosen haben – das Gegenteil ist der Fall. Arbeitslosigkeit entsteht nicht aus „Faulheit“, sondern durch kapitalistische Produktionsverhältnisse, strukturelle Krisen und politische Entscheidungen: Bildungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik beeinflussen den Arbeitsmarkt wesentlich stärker als jede Sozialleistung.
Eine Studie des WIFO belegt: Wer als Langzeitarbeitsloser dazuverdienen darf, hat bessere Chancen auf eine reguläre Anstellung. Gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Langzeitarbeitslosigkeit ist eine stundenweise Beschäftigung oft der erste Schritt zurück in die Arbeitswelt – ein Mittel gegen Isolation, Depression, Hoffnungslosigkeit.
Sozialmediziner, Sozialarbeiter und diverse Vereine zur Unterstützung von Arbeitslosen kennen diese Daten und weisen immer wieder darauf hin. Doch die Regierung nimmt das alles in Kauf – oder will es sogar bewusst zerstören. Wer sich in Sozialpolitik auskennt, weiß: Ein höheres Arbeitslosengeld wirkt präventiv gegen den sozialen Absturz. Das hat die Corona-Zeit gezeigt. Damals wurde die Notstandshilfe kurzfristig angehoben und Arbeitslosen aus den Milliardenunterstützungen, von denen Unternehmen profitierten, zwei Einmalzahlungen zugestanden – und die Zahl der Sozialhilfeempfänger stieg nicht. Wer jetzt kürzt, verschärft Armut und Ausgrenzung absichtlich.
SPÖ als Komplizin
Heuchlerisch ist die Rolle der SPÖ. Vizekanzler Andreas Babler, noch vor einem Jahr als „linker Hoffnungsträger“ gehandelt, trägt koalitionstreu solche Maßnahmen mit. Auch Sozialministerin Schumann redet von Pflegeoffensiven, verschweigt aber die systematische Aushöhlung der sozialen Absicherung. Besonders paradox: die einstige Spitzengewerkschafterin müsste nur auf der Homepage des ÖGB den Artikel “Darum arbeiten Arbeitslose nicht” lesen, um ihr offenbar sehr schlechtes Gedächtnis in dieser Frage aufzufrischen.
Dieser Angriff ist Teil eines breiteren Programms: Die Kapitalinteressen sollen geschützt, die Lohnabhängigen gefügig gemacht, die Arbeitsmärkte „flexibilisiert“ werden. Geringfügige Beschäftigung bleibt erlaubt – aber nur dort, wo sie den Unternehmern nützt, z.B. zur Umgehung von Sozialabgaben. Arbeitslose hingegen sollen in ein Zwangsarbeitskorsett gezwängt werden.
Aber was kann man von einer Regierung erwarten, in der eine Partei wie die ÖVP den Ton angibt, in der Spitzenpolitikerinnen unverfroren Teilzeitarbeit als “asozial” bezeichnen? Oder mit Blick auf den Wunsch gerade jüngerer Lohnabhängiger nach weniger Arbeitsstunden meinen: „Wenn jemand Work-Life-Balance braucht, soll er sie leben, aber nicht auf unser aller Kosten.“ (Beides Zitate von Johanna Mikl-Leitner!)
Unterstützung kommt klarerweise von NEOS, die programmatisch offen erklären:
“Um die Menschen vor Langzeitarbeitslosigkeit zu schützen, braucht es Reformen am Arbeitsmarkt und eine Modernisierung der Arbeitslosenversicherung. Das Arbeitslosengeld wird dafür degressiv gestaltet – es beginnt mit einer höheren Leistung, die dann im zeitlichen Verlauf sinkt. So sind die besser abgesichert, die nur kurze Zeit arbeitslos sind. Das Signal des sinkenden Arbeitslosengeldes motiviert zur raschen Jobaufnahme”.
Die Praxis bestätigt, worauf wir ständig hingewiesen haben: In einer Koalition mit den Parteien der Bourgeoisie ist die bürgerliche Arbeiter*innenpartei SPÖ höchstens (und, wie wir sehen, nicht einmal das mehr!) das soziale Feigenblatt. Ihre Rolle besteht nicht, wie die Parteiführung gerne behauptet, im “Abfedern” der sogenannten sozialen Härten, sondern im Ruhigstellen der eigenen Partei- und Gewerkschaftsbasis, um zu verhindern, dass sich Widerstand gegen die asozialen Maßnahmen formieren kann.
Die Politik der Koalition dient einzig der Kapitalverwertung – auf Kosten der Gesundheit, Würde und Existenz der arbeitenden Menschen. Die Antwort darauf kann nur Widerstand sein. Organisiert, klassenbewusst und internationalistisch – gegen den Kapitalismus, der keine Zukunft zu bieten hat, sondern nur Elend, Spaltung und Repression.