Mitten in den lauten Aufrufen zur Revolution, die in ganz Südasien widerhallen, hat Nepal nun zu Sri Lanka und Bangladesch aufgeschlossen. Als Nächstes könnten Indien oder Pakistan folgen.
Aufgestaute Wut führt zur Revolte
Die in Südasien aufgestaute Wut — genährt von rasant wachsender sozialer Ungleichheit und offener Ungerechtigkeit — ist in Nepal in einer breit angelegten Revolte der Massen explodiert.
Steigende Preise, wachsende Arbeitslosigkeit und allgegenwärtige Korruption haben zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.
Die vom Oli-Regime verordnete Medienzensur, mit der der Widerstand gegen seine Missherrschaft erstickt werden sollte, war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Der Gegenschlag der „Gen-Z“ gegen diese korrupte Herrschaft hat Nepal auf den Kopf gestellt.

Befeuert wurde die Revolte von der sich vertiefenden globalen Krise des Kapitalismus, die wie überall auch in Südasien immense Spannungen freisetzte. Die spontane Explosion war die Antwort der arbeitenden Massen auf diese kapitalistische Krise.
Junge Menschen — darunter viele Studierende — standen im Zentrum dieses Aufstands. Als das massive Aufbegehren alle Gesellschaftsschichten erfasste, reagierten diese Schichten jeweils auf ihre eigene Weise.
Bevor der Aufruhr abebbte, hatte der dreitägige Aufstand die alte Ordnung gewaltsam erschüttert und richtete sich gegen ihre zentralen Regierungsinstitutionen und die oberste Spitze der herrschenden Elite.
Doch die Revolte traf die Arbeiter*innenklasse Nepals und Südasiens völlig überraschend und in einem Zustand der Verwirrung und politischen Wehrlosigkeit. Sie konnte deshalb dem Aufstand nicht ihren Klassenstempel aufdrücken und scheiterte daran, sich in eine neue, klassenbewusste Führung zu verwandeln.
Verderbliche Rolle des Maoismus
Diese Desorganisation der Arbeiter*innenklasse ist die direkte Folge des verderblichen Einflusses, den Epigonen des Marxismus — Stalinist*innen und Maoist*innen — über Jahrzehnte ausgeübt haben. Mit ihrer beschränkten nationalistischen Perspektive und dem Dogma der „Zwei-Etappen-Theorie“ haben die nepalesischen Menschewiki die Arbeiter*innenklasse und die Jugend schrittweise politisch entwaffnet.

Indem sie fortlaufend politische Bündnisse mit Teilen der nepalesischen Bourgeoisie schmiedeten, stellten sie sich über Jahrzehnte hinter diese Klassenkräfte. Die Unterordnung der Arbeiter*innenklasse unter solche Allianzen beraubte sie jeder politischen Selbständigkeit und Initiative.
An die Stelle wirklicher Klassenauseinandersetzungen trat eine Politik der Klassenversöhnung — die sogenannten „Volksfronten“. Diese Anhänger*innen des Menschewismus verweigerten der Arbeiter*innenklasse ihre unabhängige, zentrale und führende Rolle in der Revolution. Stattdessen zwangen sie die Arbeiter*innen auf die hinteren Plätze und degradierten sie zu bloßen Hilfskräften kapitalistischer Führer*innen.
Die offizielle Linke leugnete den internationalen Charakter der heraufziehenden Revolution auf dem eng verflochtenen geopolitischen Schauplatz Südasien und versäumte es, Bündnispartner*innen in der Arbeiter*innenklasse der Region zu suchen. Stattdessen suchte sie die engsten Verbündeten bei Teilen der nepalesischen Bourgeoisie — beginnend bei der SPA 2006 — und ging bereitwillig unzählige politische Koalitionen mit ihnen ein.
In ihrer Fehlinterpretation der chinesischen Revolution feierten die nepalesischen Menschewiki den sogenannten „chinesischen Weg“ als Rezept — in Wahrheit die sichere Marschroute zur Zerstörung proletarischer Selbstständigkeit. Die fatalistische Idee eines „Blocks aller Klassen“ in Nepal lehnte den Kampf für eine sozialistische Revolution — also die Diktatur des Proletariats in Südasien — ab.
Dieser „Block aller Klassen“ war nichts anderes als der von Stalin propagierte und rasch von Mao übernommene „Block der vier Klassen“: eine menschewistische Schlinge, die das Proletariat erdrosselte.
„Etappentheorie“ als Sackgasse
„Unsere Revolution ist demokratisch, nicht sozialistisch; die Diktatur der Arbeiter*innen kommt für Nepal nicht in Frage“, lautete die Rechtfertigung der Anhänger*innen der Zwei-Etappen-Theorie. „Die nepalesische nationale Bourgeoisie ist Verbündete unserer Revolution und Partnerin im Regierungsblock“, war dabei regelmäßig das Mantra.
Wer diesen menschewistischen Pfad beschritt — ein Pfad, der bereits durch die Lehren der Oktoberrevolution als verfehlt entlarvt war — entfernte sich bewusst vom Programm der Permanenten Revolution.
Die desaströsen Folgen der maoistischen und menschewistischen Strategien in Nepal bekräftigen die Lehren von 1917: Nepals Revolution ist untrennbar mit der Revolution in Südasien verbunden, und diese wiederum ist Teil der weltweiten sozialistischen Revolution. Es wäre ein strategischer Fehler, die Erhebung in Nepal isoliert zu betrachten.
Die künstliche Zweiteilung moderner Revolutionen in „demokratisch“ und „sozialistisch“ ist überholt; sie verkennt, dass die zentrale Frage heute die führende Rolle der Arbeiter*innenklasse ist — ihre Organisation, ihr Bewusstsein und ihre Fähigkeit, nach dem Sieg ihre Klassendiktatur zu konsolidieren.
Der Mythos, Nepal könne einen eigenen, isolierten Weg zur Revolution innerhalb nationaler Grenzen beschreiten, hat sich als Illusion erwiesen. Der propagierte „Block aller Klassen“ wurde schnell zur Todesfalle für die Arbeiter*innenklasse.
Die Koalitionsregierung unter Prachanda 2006 war nicht der Triumph der Revolution, sondern ihre Abtreibung. Durch diese Regierung der Konterrevolution wurden die Bauern gezwungen, die von ihnen während der Aufstände um den Boden eroberten Ländereien zurückzugeben; Arbeiter*innen und Ausgebeutete wurden entwaffnet und zur Übergabe der Waffen an ein UN-Komitee gedrängt; städtische Arme wurden vertrieben, ihre Behausungen zerstört.
Von Anfang an verweigerten nepalesische Stalinist*innen den Ruf nach einer „Regierung der Arbeiter*innen und Bauern/Bäuerinnen“. Statt offen die kapitalistische Herrschaft zu bekämpfen, gewährten sie ihr heimliche Unterstützung — getarnt als „Neue Demokratie“, „Volksdemokratie“ oder „Demokratische Republik“.
Ausweg: Permanente Revolution
Wer das Programm der Permanenten Revolution verworfen hat, ist längst auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet.
Trotz ihres massenhaften und gewaltsamen Charakters hat der Aufstand keine eigenständige Führung und kein eigenständiges Programm hervorgebracht. Stattdessen lieh er sich Führung bei der alten Ordnung aus — Sushila Karki, eine rechtskonservative Figur, deren Hauptinteresse die Wiederherstellung der alten Verhältnisse ist, ist zum neuen Gesicht dieses Übergangs geworden.
Während die Ritter der alten Ordnung noch ihre Wunden lecken, ist das Militär wieder auf den Straßen. Die „Ordnung“ wird mit Beteiligung der Revoltierenden wiederhergestellt — ein klares Zeichen, dass sich Nepals alte Machtverhältnisse noch nicht aufgelöst haben.
Doch Nepal — und nicht nur Nepal, sondern ganz Südasien — ist tief aus dem Gleichgewicht geraten und reif für eine sozialistische Umwälzung. Die jüngsten Massenaufstände in Nepal, nach Sri Lanka und Bangladesch, sind deutliche Warnsignale: Auf kapitalistischer Grundlage kann Südasien weder dauerhaft wachsen noch dauerhaft stabil bleiben. Der Kapitalismus schafft weder Frieden noch Demokratie noch eine menschenwürdige Existenz für die arbeitenden Massen.
Der Weg nach vorn ist eine sozialistische Revolution in Südasien, die auf der politischen Diktatur der Arbeiter*innen*klasse aufbaut und von Milliarden arbeitender Menschen mitgetragen wird. Das verlangt einen entschlossenen politischen Kampf gegen die alte Ordnung — innerhalb und außerhalb Nepals — mit der Losung einer „Arbeiter- und Bäuer*innenregierung“ in allen Ländern Südasiens. Bei einem erfolgreichen Sieg müsste diese Bewegung in eine „Sozialistische Union Südasiatischer Republiken“ umgewandelt werden.
Dazu müssen sich die fortgeschrittenen Elemente unter Arbeiter*innen und Jugend in Südasien in einer Avantgardepartei zusammenschließen, die sich am Programm der Permanenten Revolution orientiert. Dieser Aufbau ist nur durch einen unerbittlichen politischen Kampf gegen alle Varianten des Menschewismus, des bürgerlichen Nationalismus und des kleinbürgerlichen Radikalismus zu erreichen.
Workers‘ Socialist Party (Indien)
20.9.2025
Glossar und Hintergrundinformationen:
SPA: Sieben-Parteien-AllianzBündnis von sieben nepalesischen Parteien (u. a. Nepali Congress, KPN[UML], Vereinigte Linke Front), das im Jahr 2006 die Demokratiebewegung Loktantra Andolan gegen die absolute Monarchie anführte. Bei den Parlamentswahlen 1999 stellte die Allianz fast alle Sitze. Der Name ist insofern irreführend, als die Vereinigte Linke Front selbst ein Parteienbündnis war.
Volksbewegung 2006
Auch Loktantra Andolan genannt. Massenproteste im April 2006 gegen die absolute Monarchie von König Gyanendra. Getragen von der Sieben-Parteien-Allianz und unterstützt durch maoistische Kräfte. Ergebnis: Wiederherstellung des Parlaments, Beginn des Übergangs zur Republik und Ende der direkten Königsherrschaft.
Maoistische Parteien in Nepal
Die wichtigste Kraft war die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), die den “Volkskrieg” 1996–2006 führte und 2008 zur stärksten Parlamentspartei wurde. Später kam es zu zahlreichen Spaltungen:
- UCPN(Maoist) (Vereinigte Kommunistische Partei Nepals [Maoistisch]) – Hauptpartei nach 2009, unter Pushpa Kamal Dahal („Prachanda“). Bewegte sich zunehmend in Richtung parlamentarischer Politik.
- CPN(Maoist Centre) – Nachfolgerpartei Prachandas, heute Teil wechselnder Regierungskoalitionen.
- CPN (Revolutionary Maoist) – 2012 von Mohan Baidya („Kiran“) abgespalten, kritisierte den „Verrat“ am Volkskrieg.
- Netzwerke kleinerer Gruppen (z. B. um Biplav): lehnen den Friedensprozess ab, fordern bewaffnete „zweite Revolution“.
- Kernunterschiede: Die einen akzeptieren die parlamentarische Republik und Regierungsbeteiligung, die anderen werfen ihnen Opportunismus vor und wollen an der Strategie des Volkskriegs festhalten.
“Volkskrieg”
Bezeichnet den von der Kommunistischen Partei Nepals (Maoistisch) geführten bewaffneten Kampf (1996–2006). Ziel: Abschaffung der Monarchie, radikale Landreform, Errichtung einer Volksrepublik. Der Konflikt forderte rund 13.000 Tote. 2006 traten die Maoist*innen in den “Friedensprozess” ein, wurden stärkste Partei bei den Wahlen 2008 und führten die Ausrufung der Republik an.
Ausrufung der Republik (2008)
Am 28. Mai 2008 erklärte die verfassunggebende Versammlung mit überwältigender Mehrheit die Monarchie für abgeschafft. Der letzte König, Gyanendra, musste den Palast verlassen. Die neue Republik entstand als Ergebnis der Volksbewegung 2006 und des Friedensabkommens mit den Maoist*innen, die bei den Wahlen 2008 stärkste Partei geworden waren.