Volkskanzler in der Festung Österreich?
Volkskanzler und Fe(a)schismus
Herbert Kickl, seit der Abschiebung des als zu sanft geltenden Norbert Hofer Parteichef der FPÖ, hat sich in den letzten Wochen vermehrt mit der Selbstzuschreibung als zukünftiger „Volkskanzler“ des Landes in den Medien präsentiert, etwa am 12. April in oe24: „Ich will Volkskanzler werden!“Diese Wortwahl dürfte nicht zufällig sein, wenn man in Rechnung stellt, dass Herbert Kickl eine ideologisch gefestigte Person des rechten Lagers ist und daher um historische Konnotationen von Begriffen Bescheid wissen dürfte.
Als „Volkskanzler“ wurde bereits am 27.02.1933 im Völkischen Beobachter (NS-Propagandazeitung) der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler bezeichnet. Und nach weiteren knapp zwei Monaten an der Macht sprang die nicht-nationalsozialistische, politisch gleichgeschaltete Presse bereits auf, wie etwa die „Münchner Neuesten Nachrichten“, und meinte anlässlich des Geburtstages von Hitler am 21.04.1933, dass dieser den Ehrennamen „Volkskanzler“ verdiene. So schnell geht es!
Man könnte Kickls mit der Verfassung natürlich völlig unvereinbaren Volkskanzler-Sager selbstverständlich als Provokation im Sinne des verblichenen Jörg Haider abtun – mediale Aufmerksamkeit als Strategie. Doch Herbert Kickl ist aus anderem Holz geschnitzt. Zwar kennt er aus Erfahrung (Mastermind hinter Haider und Strache) das Spiel auf der Empörungsklaviatur und betreibt dies auch, aber er ist kein Showman. Kickl ist – leider -ernsthafter.
Wir haben es in Österreich in den letzten Jahrzehnten mit dem Phänomen des Feschismus (cr: Armin Thurnherr) zu tun gehabt. Ursprünglich geprägt für Jörg Haider, folgten die unter diesem Begriff subsumierbaren Karlheinz Grasser und Sebastian Kurz, in gewisser Weise auch HC Strache. All diese Populisten zeigten rechte bis rechtsextreme Attitüde in der Öffentlichkeit – die in diesem Land leider auf durchaus fruchtbaren Boden fällt – waren aber in ihrer eigenen Persönlichkeit von Schwächen gezeichnet – Bedürfnis nach Glamour, Alkohol, Drogen, sexuelle Abenteuer, Macht: all das machte sie angreifbar, aber auch in gewisser Weise defensiv in ihrem letztgültigen Auftreten. Herbert Kickl hingegen ist Asket, ob vegetarisch ist egal und ohnehin muss nicht jede Parallele gezogen werden. Dieser asketische Habitus ist keine gute Nachricht, denn wo die vorgenannten Personen ihre populistisch/rechten Ansichten – auch – zur Machteroberung für das eigene hedonistische Ego eingesetzt haben, macht Herbert Kickl das aus purer Überzeugung. Und er hat dabei ideologisch Verbündete.
Er sei der ideale Rechtspolitiker, der beste lebende patriotische Politiker, habe einen langfristigen strategischen Plan für eine patriotische Wende und er erkenne die Wehrlosigkeit des liberalen säkularen Rechtsstaates und seine Wehrlosigkeit gegen die ethnoreligiöse Unterwanderung. Durch seinen Lebensstil von Disziplin, Askese und Fleiß wäre er unbestechlich und nicht erpressbar und er hätte die notwendige Härte in diesen harten Zeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Diese Beschreibungen des Herbert Kickl stammen von Martin Sellner, der Führerfigur der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) bzw deren Nachfolgeorganisation Die Österreicher.
Sellner hatte 2019 bei der Nationalratswahl um Vorzugsstimmen für Herbert Kickl geworben und danach gemeint die 75.000 Vorzugsstimmen wären der Maßstab für den harten Kern von Österreichs Patrioten.
Dass die Identitäre Bewegung rechtsextrem ist, wird von niemanden bestritten und trotzdem war das äußerste wozu sich die Strache-FPÖ als Abgrenzung bewegen wollte, eine gleichzeitige Mitgliedschaft bei der FPÖ und der IBÖ auszuschließen. Das Motto: getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen.
Herbert Kickl lässt die Unterstützung von dieser Seite nicht nur zu, sondern er sendet auch Signale, wenn er die IBÖ/Die Österreicher als eine NGO von rechts bezeichnet und damit den Diskurs einfach durch Begrifflichkeiten verschiebt.
Ganz konkret hingegen wird es bei der FPÖ dann, wenn es in den letzten Jahren darum ging bei den sogenannten Freiheitsdemos mit dabei zu sein. Neben verwirrten Esoterikern und Grün-Fundis war die Organisation dieses Versuchs einer Eroberung der Straße fest in den Händen von Faschisten und Neonazis. Und Herbert Kickl stellte sich auch an die Spitze dieser Demonstrationen und sprach von einer „internationalen Clique, die die Welt noch im Griff hält“ (ein Szenecode für die antisemitische Klientel), doch der Widerstand wäre jetzt in Österreich erwacht. Diese Probe die Straße zu mobilisieren gefällt in der außerparlamentarischen extremen Rechten.
Dazu noch einmal Martin Sellner: „Die FPÖ wendet sich vom Parlamentspatriotismus ab und unterstützt stattdessen die Bewegung aus dem Parlament!“
Und auch im Organ der neonazistischen NPD, der Deutschen Stimme, gibt es über die letzten Jahre laufend Lob für Herbert Kickl, wenn er dort etwa als der „fähigste Innenminister, den die Republik je hatte“ bezeichnet wird.
Wenn man also beim Begriff Feschismus den ersten Vokal gegen ein a tauscht ist man dort, wo man Herbert Kickl verorten muss und ganz nahe an des Pudels Kern.
(Alpen)festung Österreich
Am 17. März dieses Jahres fordert Herbert Kickl laut APA eine Festung Österreich und einen sofortigen Asylstopp. Dies war eine Reaktion auf die ins Umfragetief getaumelte ÖVP, die seit letztem Jahr versucht, einen zweiten Aufguss des türkisen Kurz-Konzepts, also das Buhlen um FPÖ-Wähler mit rechten Positionen, umzusetzen, wenn etwa Innenminister Gerhard Karner und Kanzler Karl Nehammer Mauern an der EU-Außengrenze fordern.. Kickl hat in diesem Zusammenhang kein Problem seine Forderungen noch radikaler zu gestalten und damit die ÖVP zu einem immer weiteren nach rechts Rücken zu veranlassen. Daher verlangte er in der erwähnten APA-Meldung auch Maßnahmen wie Ungarn sie setzt, und daher an der österreichischen Grenze Zäune zu bauen, also eine Festung Österreich zu errichten.
Auch hier sollte man die Wortwahl im historischen Kontext betrachten und Kickl keine Zufälligkeiten unterstellen: Ende 1944 verkündete Adolf Hitler und die NS-Propaganda es gebe eine Alpenfestung mit Fabriken in Felsen, uneinnehmbaren Stellungen und V-Waffen, Elitetruppen und ähnliches. Alles Chimäre – was aber blieb, war der Begriff der Alpenfestung als ein letztes Bollwerk der Nationalsozialisten. Und dieser Begriff überlebte den Untergang des 3. Reichs und geistert seit Jahrzehnten durch die Publikationen.
Kickl würde die begriffliche historische Duftmarke, die hier gesetzt wird, von sich weisen und er spricht im Zib2-Interview vom Jänner dieses Jahres davon, dass die Festung Österreich nur ein Gegenbegriff zum Asylmagneten Österreich wäre, er habe bereits als Innenminister im Jahr 2019 einen Auftrag für bauliche Schutzmaßnahmen an der österreichischen Grenze erteilt. Außerdem verteidigte er die Forderung seines niederösterreichischen Statthalters Udo Landbauer Push Backs gegenüber Zuwanderern durchzuführen, bevor die österreichische Bevölkerung unter die Räder komme. Tatsächlich ließ er sich im niederösterreichischen Wahlkampf auf einem Werbeplakat, auf dem „Festung Österreich“ stand in einer Fantasie-Militäruniform abbilden und blickte dabei martialisch in die Gegend.
In den Medien wird das kaum substantiell kritisiert, sondern als der übliche Verbalradikalismus der FPÖ abgetan, in einschlägigen Kreisen von den Identitären bis zu Neonazis werden die ausgesandten Signale wohl verstanden.
Perspektive für die NR-Wahlen
Die veröffentlichten Umfragen zeigen seit Monaten das konstante Bild einer an erster Stelle befindlichen FPÖ, die in der Nähe der 30 % Marke angesiedelt ist. Dahinter liegt die SPÖ, über deren Zustand an anderer Stelle berichtet wird. Erst dann folgt die nach den Skandaljahren des Sebastian Kurz gebeutelte ÖVP mit um die 20% Zustimmung. Aus dieser Konstellation heraus hat man sich mit dem Chefstrategen Fleischmann, den sich Karl Nehammer ins Kanzleramt geholt hat, bei der ÖVP das Motto auf die Fahnen geschrieben, die rechten Positionen der FPÖ von Zuwanderung über Umwelt und Corona bis hin zu gesellschaftspolitische Fragen, wie unter Kurz, wieder mehr oder weniger zu übernehmen. Gleichzeitig kommunizierte man noch letztes Jahr, dass eine neuerliche Koalition mit einer Kickl-FPÖ auszuschließen wäre. Das hat sich im Laufe dieses Jahres geändert.
Anfang des Jahres gab der wiedergewählte Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Zuge seiner Angelobung zu verstehen, dass er jemanden wie Herbert Kickl, sollte die FPÖ stimmenstärkste Partei nach der Nationalratswahl werden, nicht mit der Regierungsbildung beauftragen würde. Kickl nahm diesen Fehdehandschuhe gerne auf und stilisierte den Bundespräsidenten als Antidemokraten und sich selbst als jemanden, der letztlich vom Volk beauftragt wäre eine Mission umzusetzen, ein Volkskanzler eben.
Der realverfassungsrechtliche Spielraum des Alexander Van der Bellen wäre tatsächlich, wie das Beispiel der Regierungsbildung Schwarz-Blau I im Jahr 2000 gezeigt hat auch überschaubar. Damals blieb nach der Einigung zwischen Schüssel und Haider dem schwarzen Bundespräsidenten Thomas Klestil nichts anderes übrig als die Regierung mit eisigem Blick anzugeloben.
Wie also wird die ÖVP nach der kommenden Wahl agieren?
Die im letzten Jahr noch zur Schau gestellte Ablehnung der FPÖ unter Herbert Kickl ist Makulatur. Immer mehr SpitzenpolitikerInnen der ÖVP zeigen keine Berührungsängste mehr zu Herbert Kickl. Und der letztgültige Fingerzeig, wohin die Reise im Land nach den nächsten Wahlen gehen soll, war die Regierungsbildung in Niederösterreich. Dort ließ die Landeshauptfrau und wichtige Strippenzieherin in der ÖVP, Johanna Mikl-Leitner, die Verhandlungen mit der SPÖ aus fadenscheinigen Gründen platzen, um im Rekordtempo eine Koalition mit der FPÖ zu bilden. Mit einer Landesorganisation der FPÖ, die ganz nach dem Geschmack des Herbert Kickl die unappetitlichsten Rechtsausleger, wie Liederbuch-Landbauer und Menschenverachter Waldhäusl in ihren Reihen hat. Mikl-Leitner machte brav einen Kotau vor den Corona Leugnern, segnete Deutsch am Schulhof ab und fördert nur noch Gasthäuser mit österreichischer Küche. Mehr an sprachlicher, aber auch politischer Anbiederung an die FPÖ geht nicht.
Die ÖVP ist also klar auf Kurs zum dritten Mal in diesem Jahrhundert in eine Koalition mit der FPÖ zu gehen, dieses Mal aber möglicherweise als Juniorpartner. War es früher noch die Idee mit Regierungsbeteiligung oder Übernahme von rechten Positionen die Gefahr der FPÖ einzudämmen und diese Partei einzuhegen, scheint es dieses Mal auch die Überlegung zu sein durch die Rückgewinnung der Justiz wenigstens die schlimmsten Verfolgungen der türkisen Protagonisten und der Partei als Organisation abzuwenden. Für die ÖVP geht es eigentlich um alles.
Wenn es tatsächlich dieses oder nächstes Jahr soweit kommt, sollte man nicht vergessen, dass Herbert Kickl zwar unter dem Titel der Freiheit alle vernünftigen und solidarischen Maßnahmen der Corona-Politik kritisiert hat, dass er aber die Instrumente der eingesetzten Notverordnungen genau registriert hat und sich sehr leicht einen Ausnahmezustand, wie er zuletzt in Italien verkündet wurde, konstruieren würde, um autoritär zu regieren. Dazu ist der Boden des rechtsextremen Straßenprotestes von den Identitären bis hin zu Gottfried Küssel im Verbund mit Hooligans der Fußballszene aufbereitet.
Die bürgerliche Partei des Kapitalismus in Österreich, die ÖVP, befindet sich in einem verzweifelten Niedergang und es scheint ihr, um sich irgendwie über Wasser zu halten, nur noch der Ausweg des Steigbügelhalters für einen Volkskanzler zu bleiben. Diese Perspektive klingt schauderlich und hätte dieses Mal andere Konsequenzen als die durch Ibiza unterbrochenen Umbauversuche des Staates unter Türkis-Blau – Kickl ist nicht wie Kurz und nicht wie Strache, er ist Asket.
Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben, dass ein rechtsautoritäres Regime, wie wir es in Ungarn erleben, auch in diesem Land möglich ist und wir sollten alle Überzeugungsarbeit im Proletariat leisten, um es zu rechtzeitigem Widerstand zu motivieren.
Leo Trotzki schrieb 1932 zur Situation in Deutschland vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten:
„Wir sind unerschütterlich davon überzeugt, dass der Sieg über die Faschisten möglich ist – nicht nach ihrer Machtergreifung, nicht nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren ihrer Herrschaft, sondern jetzt, unter den gegebenen Bedingungen, in den kommenden Wochen und Monaten.“
Nehmen wir es ernst.