Am 4. Juni 2020 demonstrierten an die 50.000 überwiegend junge Menschen in Wien gegen Polizeigewalt und Rassismus – nicht nur in den USA, auch hier in Österreich. Wir haben auf der Demo folgendes Flugblatt verteilt:
Die Massenproteste, die seit der Ermordung George Floyds am 26. Mai die USA erschüttern, gehen trotz massiver polizeilicher Gewalt, dem Einsatz der Nationalgarde und Präsident Donald Trumps Drohung mit dem Einsatz regulärer Truppen weiter.
Der Mord an George Floyd war der eine Akt von Polizeiterror zu viel, der das Fass der Empörung (nicht nur) der schwarzen Bevölkerung in zahlreichen Orten in den USA zum Überlaufen brachte. Polizeigewalt gehört zum Alltag in der militärisch stärksten Metropole des Imperialismus – und überproportional trifft sie Schwarze, Latinos und Menschen asiatischer Herkunft. Oft ist sie völlig grundlos – im Rahmen von Aktionen, die ausschließlich der Einschüchterung potenziell aufrührerischer, weil armer, Bevölkerungsschichten dienen; oft ist sie die Antwort auf Proteste gegen genau diese Polizeigewalt; immer öfter richtet sie sich gegen Streikende.
Alleine in Minneapolis, wo Floyd ermordet wurde, tötete die Polizei seit dem Jahr 2000 31 Menschen. 21 davon waren schwarz. Als im November 2015 der unbewaffnete 24-jährige Jamar Clark in Minneapolis, der von Cops festgenommen und gefesselt worden war, durch einen Kopfschuss getötet wurde, kam es nicht nur zu Protesten, sondern auch zu faschistischen Attacken auf Demonstranten gegen die Polizeigewalt. Altright-Faschisten und Klan-Männer griffen unter den Augen der Polizei ein Protestcamp vor dem 4. Revier der Minneapolis Police an und verletzen fünf schwarze Demonstranten durch Schüsse.
Damals wie heute sind aktive Gewerkschaftsmitglieder in vorderster Front an den Protesten beteiligt: Locals (Gewerkschaftsortsgruppen) der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, der Krankenschwestern, der LKW-Fahrer*innen, der Hafenarbeiter*innen, der Elektrizitätsarbeiter*innen stehen dem massiven Aufgebot an schwerbewaffneten Unterdrückungskräften gegenüber.
Aber die US-amerikanischen Gewerkschaften sind durchaus zwiespältig. Zwar gibt es keine genauen Informationen, warum am Sonntag, 31. Mai, in der Hauptstadt Washington versucht wurde, das Hauptquartier des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in Brand zu stecken. Das Grafitti „Black Lives Matter“ könnte ein Hinweis darauf sein, dass im Dachverband auch mehr als 100.000 Polizisten im Rahmen der International Union of Police Associations (IUAP) organisiert sind. Laut Presseberichten wurden zwischen 2007 und 2017 rund 450 von 1.800 wegen Fehlverhaltens gefeuerten Cops auf Gewerkschaftsintervention wieder eingestellt.
Nein, Polizist*innen sind keine „Arbeiter*innen in Uniform“, wie einige „Linke“ glauben. Es sind auch nicht einzelne „weiße“ Schafe, die aus Rassenhass mit Brachialgewalt auf Farbige losgehen. Das ist die Argumentationslinie der amerikanischen Liberalen und der Demokratischen Partei die in Bundesstaaten und Städten, in denen sie Verwaltungsposten vergeben können, immer wieder Frauen, Schwarze, Latinos oder Homosexuelle an die Spitze der Polizeikräfte setzen, um zu zeigen, wie „gleichberechtigt“ Farbige doch wären. Am Polizeiterror ändert das nichts, weil der Rassismus kein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.
Schwarze und andere ethnische Minderheiten stellen das Gros der amerikanischen Arbeiter*innenklasse und damit auch der Arbeitslosen und der prekär Beschäftigen im sogenannten „informellen Sektor“; sie verdienen weniger als ihre weißen Kolleg*innen, sie haben noch weniger Zugang zum Gesundheitswesen, sie hausen oft unter menschenunwürdigen Zuständen, werden vom Bildungssystem ausgeschlossen und werden überproportional oft gerichtlich verurteilt und eingesperrt.
In der Coronakrise waren sie besonders betroffen, hatten deutlich höhere Infektionszahlen auf Grund der schlechten Lebensbedingungen und eine dementsprechend höhere Sterblichkeit.
Die derzeitigen Proteste zeigen, dass die bewußtesten Schichten der weißen Werktätigen trotz der Jahrhunderte währenden Spaltungspolitik der herrschenden Klasse solidarisch an der Seite ihrer farbigen Brüder und Schwestern stehen. Sie begreifen, dass die Orgie der staatlichen Gewalt, die von Trump befeuert wird, Ausdruck des Klassenkampfs reich gegen arm ist.
Spaltung, Unterdrückung, Polizeiübergriffe, Staatsrassismus sind kein Alleinstellungsmerkmal der USA. Auch wir in Österreich sind damit konfrontiert. Auch bei uns hat die Coronakrise besonders die „migrantischen“ Kolleg*innen getroffen: durch Falschinformationen der Behörden bezüglich der Ausgangsbeschränkungen, durch Kurzarbeit und Entlassungen in Branchen, die besonders schlecht bezahlt sind (Baugewerbe, Gastronomie), durch die Belastung durch das „Home schooling“ für Nicht-Muttersprachler*innen. Darüber hinaus befinden sich Migrant*innen und Geflüchtete permanent im Visier der Polizei. Die österreichische Abschiebepraxis mit ihren gewalttätigen Methoden, die bis zum Tod von Festgenommenen (Marcus Omofuma) geht, das Zerreißen von Familien durch Ausweisungen, Misshandlungen und Folter (wie im Fall Bakary J.).
Das Spalten der arbeitenden Bevölkerung, das Anheizen von nationalistischen, fremdenfeindlichen Stimmungen gehört zum klassischen Instrumentarium der ausbeutenden Klassen. Aus diesem Grund müssen wir mit den Opfern rassistischer Polizeigewalt solidarisch sein und zugleich unterstreichen:
Hier geht es nicht um individuelles Fehlverhalten – Rassismus und unterdrückerische Gewalt sind logische Auswirkungen einer Gesellschaft, in der eine Klasse die andere ausbeutet; in der diese besitzende Klasse einen Repressionsapparat zur Verfügung hat, um der Mehrheit der Bevölkerung ihren Willen notfalls mit offener Gewalt aufzuzwingen.
Während hierzulande die politische Vertretung der herrschenden Klasse, die Kurz-Kogler-Regierung, die „Bekämpfung der Pandemie“ genützt hat, um den Ausnahmezustand zu üben und demokratische Grundrechte einzuschränken, sind die Klassenauseinandersetzungen in der USA viel weiter gediehen und Trump droht kaum verhüllt mit der Militärdiktatur.
Internationale Solidarität bedeutet heute, den Kampf gegen den Feind im eigenen Land zu organisieren, gegen die eigene herrschende Klasse. „Gerechtigkeit für Floyd“ und „Gerechtigkeit für Omofuma“ kann es erst geben, wenn wir das Gesellschaftssystem, das solche Verbrechen zwingend hervorbringt – den Kapitalismus – durch eine Revolution beseitigen, die mit der sozialen Ungleichheit aufräumt.
Dafür brauchen wir eine internationalistische revolutionäre Partei, in der Arbeiter*innen und Jugendliche unabhängig von ihrer Hautfarbe und Herkunft gemeinsam für den Sozialismus kämpfen.