„Die wollen nur spielen“ – Anmerkungen zu Chauvinismus und Sport

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Ach ja, alle Jahre wieder – Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympische Spiele, Sportart egal. Entscheidend: WIR sind dabei. WIR? Ja, die ganze Nation steht einig wie ein Mann (seltener: wie eine Frau) hinter den Sportlern (seltener: den Sportlerinnen). Jeder Punkt ist nicht die Einzelleistung eines oder einer oft gutbezahlten Profisportler*in, nein, es sind WIR, alle Elementarteilchen des Volksganzen, die das Tor geschossen/den Slalom gewedelt/das Gewicht gestemmt haben.

Diese Geschichte hämmern uns zumindest Massenmedien und Profipolitiker*innen aller Couleurs in unterschiedlich peinlicher Weise ein. Die Politiker*innen speziell auf den „sozialen Medien“. Da schwenkt schon einmal Karli Nehammer euphorisch einen rot-weiß-roten Schal, Möchtegern-Kriegsministerin Tanner dribbelt sich weg und Berufs-Kleiner-Mann Kickl lässt auf FPÖ-TV „Immer wieder, immer wieder Österreich“ erschallen.

Aufschrei von rechts: Jetzt wollen uns die Linken auch noch den Sport madig machen! Die wollen doch nur spielen.

Also den Sport madig machen der Mehrheit der Bevölkerung die Kapitalist*innen, die auf tausenderlei Art diese Form der Freizeitgestaltung fest im profitablen Würgegriff halten. Bleiben wir beim Fußball. Die UEFA verzeichnete im Spieljahr 2022/23 Einnahmen von 4,3 Milliarden Euro. Für die EM in Deutschland rechnet der Verband mit Einnahmen von 2,4 Milliarden und einem Reingewinn von 1,75 Mrd. Euro. 1,45 Mrd. Spülen alleine die Übertragungsrechte in die Kassen der UEFA. Durch eine geschickte Vereinskonstruktion hat sich der Fußballverband mit Sitz in der Schweiz eine weitgehende Steuerbefreiung „erarbeitet“. Vorteilhaft, dass die Austragungsstädte nicht nur dafür zahlen müssen, dass bei ihnen gekickt werden darf (Berlin etwa 83,7 Millionen, das kleine Gelsenkirchen läppische 19 Millionen!) – sie tragen auch alle Kosten und Risiken: Investitionen in die Infrastruktur, Versicherungen etc.

Das Geschäft floriert dann besonders, wenn es noch nationalistisch (pardon: „patriotisch“) aufgeladen wird. Zehntausende Fußballfans werden hin- und hergeschippert, um „ihre“ Nationalmannschaft anzufeuern. Auch dieses Tourismussegment spielt allerhand ein. Und es ist zugleich ein Nährboden für kleingeistig nationalistische Ideologien, die gerade in diesem Jahr besonders ausgeprägt zur Schau gestellt werden.

Wenn sich in Österreich Identitären-Sprachrohre auf X und Instagram daran erfreuen, dass eine „rein weiße“ österreichische Nationalmannschaft gegen „Multikultiteams“ gewonnen hat, ist das nur ein kleiner Schritt zu den „Defend-Europe“-Transpis der Faschisten im österreichischen EM-Fanblock. Spiegelbildlich erregen sich französische Faschist*innen über die multiethnische Herkunft der trikoloren „National“mannschaft. Gedankenexperiment: Wie hätte Martin S. (IB) reagiert, wenn eine „gemischtrassige“ Elf die arischen Österreicher vom Rasen gefegt hätte. Ja, klar – das wäre dann der Beweis für die Gefahren durch Multikulti gewesen.

Derartige intellektuelle Ausscheidungen werden aber durch Angriffe auf einer anderen Front ergänzt, die ebenso gefährlich ist: Das sind die Angriffe auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, der sich aus finanziellen Gründen nur einige Übertragungsrechte sichern konnte, während das mediale Masseninstrument der reaktionären Meinungsmache servusTV dank Milliarden in der Hinterhand alle Spiele ankaufen konnte.

Oh Schande über Schande – der Sieg der österreichischen Mannschaft gegen jene der Niederlande konnte daher auf ORF nicht gezeigt werden. Was sogar den Vorzeigeliberalen des gutmenschlich-korrekten Journalismus Florian Klenk (Falter) zur Weißglut trieb, der gar von einem „Nationalereignis“ sprach.

Tatsächlich werden die sozialen Medien mit tausenden Kommentaren geflutet, in denen der ORF („Staatsfunk“) verwünscht und servusTV angepriesen wird – was sich nahtlos in die Kampagne der FPÖ zur Zerschlagung des ÖRR einreiht.

Nein, unpolitisch ist da gar nichts, und der Sport ist nur das Deckmäntelchen, um reaktionäre bis hin zu faschistischen Konzepte zu verbreiten.

Wir dürfen gerade (und „sogar“) bei solchen „unpolitischen“ Themen im Freizeit- oder Kulturbereich den Kompass nicht aus den Augen verlieren.

Das heißt aber auch, dass wir die offizielle Sportpolitik des bürgerlichen Staates kritisieren und eine gesellschaftliche, auf Klassenbasis beruhende, Alternative vorschlagen müssen. Das beginnt bereits in den elementarpädagogischen Einrichtungen und setzt sich in alle Schultypen fort, wo mit zwanghaftem „Sportunterricht“ vorgetäuscht wird, dass das bestehende System Interesse an der Förderung des Bewegungstriebs der Kinder und Jugendlichen hätte. Freizeit- und Sportaktivitäten, frei zugängliche Spielplätze für alle Sportarten müssen her (was, nebenbei gesagt, im städtischen Bereich durchaus eine Maßnahme beim Rückbau der Bodenversiegelung sein könnte).

Massensport, bei dem es nicht um „Sieg oder Niederlage“ geht, muss gefördert werden. Geld dafür müsste ja genug da sein – wenn man z.B. die Konzerne drastisch besteuert, die hunderte Millionen für Übertragungsrechte an Großevents oder Sponsoring ausgeben. Auch im Sport steht der Kapitalismus im Abseits – fegen wir ihn mit einem roten Elfer vom Rasen!