Am 2. Jänner 2020 gaben Sebastian Kurz als allmächtiger Vorsitzender der türkis behübschten Volkspartei und sein grünes Pendant Werner Kogler bekannt, dass sich die Verhandlungsteams beider Parteien nach „zähem Ringen“ auf ein gemeinsames Regierungsprogramm geeinigt hätten.
Die stellvertretende Klubvorsitzende der Grünen, Sigrid Maurer raunte gar im Vorfeld der Pressekonferenz der künftigen Regierungsspitze, nicht nur für die Grünen, auch für die neue Volkspartei sei im ausgehandelten Koalitionsabkommen „sehr vieles schmerzhaft“. Vermutlich war diese Äußerung allerdings eher scherzhaft.
Denn das letztlich auch vom Grünen Bundeskongress in Salzburg am 4. Jänner mit einer Mehrheit von 93,18 Prozent angenommene Regierungsprogramm steht, abgesehen von einigen Punkten, auf die wir unten noch eingehen werden, in der schlechtesten Tradition der türkis-blauen Koalition von 2017-2019.
Realitätsverweigerin Maurer schwadroniert aber dennoch munter über „die grüne Handschrift (die sich) durch das gesamte Regierungsprogramm zieht“. (https://www.diepresse.com/5745951/maurer-es-ist-auch-fur-die-ovp-sehr-vieles-schmerzhaft)
Nach dem Aufplatzen der Ibiza-Eiterbeule stilisierte sich Sebastian Kurz in unerträglicher Manier zum Märtyrer, der zum Besten des Landes die ganze Last der Regierungspolitik auf seine Schulter genommen und gute Miene zum bösen Spiel der FPÖ-Einzelfälle gemacht habe. Das Herumgejammere diente einem klaren Zweck. Kurz putzte sich elegant ab und tat so, als sei er (als Regierungschef!) nie für irgendeine der skandalösen Maßnahmen seines Kabinetts verantwortlich gewesen.
Dass er vor allem das Innenministerium unter Herbert Kickl ins Visier nahm, bedeutete keineswegs eine „Wende“ hin zu „Rechtsstaatlichkeit“ oder der Wahrung demokratischer Freiheiten.
Kurz, der in Worten und Taten gezeigt hatte, dass er einen klaren autoritären Kurs verfolgte, nutzte die Gunst der Stunde, um seinem Koalitionspartner die beiden Schlüsselministerien (Inneres und Landesverteidigung) abzuringen. Angesichts einer völlig konfusen sozialdemokratischen Opposition hoffte er, auch ohne FPÖ weiterregieren zu können. Der nach einigem Lavieren von der SPÖ eingebrachte Misstrauensantrag stürzte erstmals in der österreichischen Geschichte eine Regierung und machte zugleich das Verhältnis der Hauptpartei der heimischen Bourgeoisie zu ihrer eigenen parlamentarischen Staatsform transparent: angesichts der nun notwendigen Neuwahlen erklärte Kurz, jetzt habe das Parlament gesprochen, bei den Wahlen werde „das Volk“ sprechen.
Die neue ÖVP, die gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner FPÖ mittels Initiativanträgen die Kontrollmöglichkeiten der Opposition ausgehebelt und bewusst verfassungswidrige Gesetze durchgesetzt hatte (Stichwort: Einschränkungen bei der Mindestsicherung, 12-Stundentag-Einführung per Initiativantrag, komplette Änderung von Gesetzesvorschlägen durch Abänderungsanträge in letzter Minute …), spielte unverhohlen „das Volk“ gegen „das Parlament“ aus.
Der Repräsentant (nicht nur) des österreichischen Großkapitals hatte im September 2018 offenherzig erklärt: „Vieles von dem, was ich heute sage, ist vor drei Jahren noch massiv kritisiert und als rechtsradikal abgetan worden, das hat sich geändert.“ (https://www.oe24.at/oesterreich/politik/Kurz-Vor-3-Jahren-als-rechtsradikal-abgetan/349132614)
Wie bei der Wenderegierung im Februar 2000 fixierten sich zahlreiche „Linke“ auf die FPÖ. Deren dummdreistes Agieren – immerhin hatte die immer mehr ins faschistoide abgleitende Partei des reaktionären Kleinbürgertums darauf gewartet, endlich auch in gutdotierte Positionen zu gelangen – machte sie auch zur einfachen Zielscheibe. Dass der durchgehend reaktionäre Kurs der Regierung die Handschrift der neuen Volkspartei trug wurde bewusst oder unbewusst heruntergespielt.
Die Gruppe Klassenkampf hat unermüdlich auf diese Tatsache hingewiesen. Wir haben seit dem Sommer des vergangenen Jahres auch immer klar gesagt: Egal, wie die neue Regierung aussehen wird, sie wird die Angriffe auf die sozialen und politischen Errungenschaften der Lohnabhängigen fortsetzen. Genau das bestätigt sich, wenn wir das Regierungsprogramm von türkis-grün lesen.
Kein Wunder, dass die europäischen Massenmedien minuziös über die Koalitionsverhandlungen und deren Abschluss berichtet haben. Denn die „Grünen“ präsentieren sich europaweit als demokratische, liberale, soziale, humanistische Parteien eines umweltbewussten, gebildeten Kleinbürgertums. Dass sie in Österreich nun in eine Koalition mit einer reaktionären bürgerlichen Partei gehen, gegen deren Kurs in der Migrationsfrage sie jahrelang polemisiert hatten, die law and order und geschlossene Grenzen auf ihr Banner geschrieben hat, die offen die Interessen des Großkapitals vertritt – und das für keineswegs berauschende Zugeständnisse – ist in der Tat denkwürdig.
Bereits aus der Präambel des Regierungsprogramms quillt uns unerträglicher patriotischer Schwulst entgegen: „Österreich ist ein wunderbares Land. Geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit. Getragen von einer innovativen Wirtschaft. Gelegen im Herzen Europas. Gerühmt für seine Kunst und Kultur. Und gebaut auf seiner demokratischen Kultur und dem Fleiß und Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger. All das macht Österreich aus.“
Was also treibt die Grünen an, mit den türkisen Reaktionären ein Regierungsbündnis einzugehen? „Wir sind die erste Generation, die die Folgen der Klimakrise spürt, und gleichzeitig die letzte Generation, die noch gegensteuern kann. Der Schutz der Umwelt und eine starke Wirtschaft dürfen kein Widerspruch sein. Unser Wirtschaftsstandort kann noch dynamischer werden, wir können mehr und bessere Jobs schaffen, wenn wir in Nachhaltigkeit investieren: Wir können die Schöpfung bewahren und die Klimakrise bekämpfen. Beides heißt, den kommenden Generationen ein lebenswertes Österreich zu hinterlassen – ökonomisch und ökologisch intakt. Nachhaltigkeit heißt dabei auch, auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu achten“.
Erraten: Die drohende Umweltapokalypse ist es, die gebieterisch die Einheit erzwingt. Wobei das Weltuntergangsszenario fatal an die Propaganda der Identitären erinnert, die ja auch erklären: „Wir sind die letzte Generation, die noch etwas ändern kann!“. Schrecken sich die einen vor dem „großen Austausch“, ist es die Öko-Endzeit bei den anderen.
Weniger an der grünen Basis sondern mehr im Umfeld der Öko-Partei lösten Koalitionsverhandlungen Unruhe und Unmut aus. Die Evolution der Türkisen von einer behäbigen, der Verfassung der 2. Republik ergebenen bürgerlichen Volkspartei hin zu einer reaktionär-autoritären Führerpartei mit dem klar umrissenen Ziel, alles, was auch nur im geringsten an „Sozialismus“ erinnert, beiseite zu fegen und einen starken Staat zu etablieren, war in aller Öffentlichkeit abgelaufen. Dass die Sozialpartnerschaft so gut wie tot ist, ist offensichtlich. Die Angriffe auf grundlegende soziale Rechte und Errungenschaften unter der Regierung Kurz-Strache wurden zwar von einer blauen Ministerin vorgetragen – die unselige Frau Hartinger-Klein war aber bloß die Sprechpuppe des Bundeskanzlers. Auch der blaue Innenminister Kickl, der durch seine extrem polemische und mit faschistoidem Subtext versehene Sprache immer wieder vorzupreschen schien, folgte der Linie, die letzten Endes von der Kurz-Bande vorgegeben wurde. Die Machtkämpfe um Posten und Pöstchen ergaben sich aus einer Konstellation, in der jede der beiden Parteien mit Zähnen und Krallen versuchte, die besten und lukrativsten Stücke aus dem Staatskörper für sich herauszureißen.
Die Vehemenz der reaktionären Offensive trug wesentlich zum Kollaps der SPÖ bei. Fest verwurzelt in den Illusionen einer immerwährenden Klassenkollaboration musste die Kern- und dann Rendi-Wagner-Führung die leidvolle Erfahrung machen, dass die Bourgeoisie mit der für sie nutzlos gewordenen bürgerlichen Arbeiterpartei einfach nur noch Schlitten fahren wollte. Im Parlament rempelte man die SPÖ mit Initiativanträgen aus dem Weg; das arrogante Auftreten der türkisen und blauen Koalitionäre im Plenum des Nationalrats signalisierte: „Wir finden dieses Spektakel lächerlich und werden andere Saiten aufziehen“.
Die Grünen, die bei den letzten Nationalratswahlen aus dem Parlament geflogen waren, setzten mittlerweile zu einer Aufholjagd an, um wieder auf der nationalen Ebene mitreden zu können.
In fünf Bundesländern waren die Grünen ja ohnehin bereits in Landesregierungen vertreten – und nur in einem davon gemeinsam mit der SPÖ, nämlich in Wien. In Vorarlberg, Salzburg, Tirol und Oberösterreich war die „Umweltpartei“ in Koalitionen mit der ÖVP vertreten.
Während (Bundes) ÖVP und FPÖ jahrelang mit Horrorgeschichten über „rot-grün“ hausieren gingen, etablierten sich die Grünen in den agrarisch dominierten Teilen des Landes als solide Mitregenten. Während die bündisch organisierte Volkspartei mit ihrem behäbigen Apparat und der Bindung an Raiffeisen den Zugang zu jüngeren, innovativen bäuerlichen Schichten verloren hatte, konnten die Grünen hier relevante Brückenköpfe bilden. Forderungen zugunsten einer umweltverträglicheren Landwirtschaft, einer Eindämmung von Schadstoffemissionen, höhere Förderungen für Bio-Bauern, die Neuaufstellung der öffentlichen Infrastrukturen durch Bus und Bahn griffen ebenso wie die bewusste Hervorkehrung christlicher Traditionen in Menschenrechtsfragen.
In Wien konnten die Grünen unter wesentlich günstigeren Bedingungen mit der SPÖ gemeinsam regieren und vor allem die urbane kleinbürgerliche Intelligenz ansprechen. Dementsprechend waren die Grünen auf Donnerstagsdemos und Mobilisierungen gegen Türkis-Blau sogar mit Fahnen und Transparenten vertreten. Hier konnte vor allem ihre Propaganda gegen die ausländerfeindliche Politik der Bundesregierung ihr Bild als „linke“ Partei ebenso mitformen wie ihr Widerstand gegen reaktionäre Pläne der türkis-blauen Koalition wie „Deutschklassen“ oder die präventive „Sicherungshaft“.
Diese Zeiten sind nun offensichtlich vorbei. Für vier Minister_innenposten und den dazu gehörenden Vorteilen einer Regierungspartei (größerer Apparat und Mitarbeiterstab) hat die grüne Partei etliche ihrer traditionellen Themenschwerpunkte begraben.
Das konsequente Hinarbeiten auf eine Koalition mit den Türkisen zeigt, wie unsinnig die Etikettierungen „links“ und „rechts“ sind. Wenn es hart auf hart geht, werden soziale Positionen ebenso schnell über Bord geworfen wie bürgerlich-demokratische Programmforderungen oder humanitäres Engagement. „It‘s the class-struggle, stupid“, könnte man in Abwandlung eines pointierten Ausspruchs sagen.
Die grüne Parteispitze und 93,18 % ihrer BuKo-Delegierten haben für unverbindliche Öko-Phrasen in der Regierungserklärung, dem Versprechen von mehr „Transparenz“ und pathetischem Gesülze Sebastian Kurz und damit dem Großkapital eine Generalvollmacht zur Fortsetzung ihres autoritären Kurses ausgestellt: „Mit diesem Programm übernehmen wir Verantwortung – gegenüber den Menschen in Österreich und gegenüber dem Parlamentarismus und dem guten Miteinander, gegenüber dem Wert des Kompromisses und des Austausches für die Demokratie. Wir übernehmen diese Verantwortung in einer Situation, in der niemand sonst die Kraft hat, sie im Sinne der Österreicherinnen und Österreicher zu schultern“.
In den 30er Jahren hat der internationalistisch-marxistische Revolutionär Leo Trotzki die Situation in Frankreich analysiert, als das Land an der Kippe stand – hie eine vorrevolutionäre Situation, dort die Gefahr einer faschistischen Großoffensive. Dabei untersuchte er die politische Rolle des Kleinbürgertums:
„Die derzeitige Gesellschaft besteht aus drei Klassen: Großbourgeoisie, Proletariat und Mittelklassen oder Kleinbürgertum. Die Beziehungen zwischen diesen drei Klassen bestimmen letzten Endes auch die politische Lage des Landes. Die Grundklassen der Gesellschaft sind die Großbourgeoisie und das Proletariat. Nur diese beiden Klassen können eine klare und konsequente selbständige Politik führen. Das Kleinbürgertum zeichnet sich durch seine wirtschaftliche Unselbständigkeit und soziale Ungleichförmigkeit aus. Seine oberen Schichten gehen unmittelbar in die Großbourgeoisie über. Die unteren Schichten verschmelzen mit dem Proletariat und sinken selbst in den Zustand des Lumpenproletariats hinab. Seiner wirtschaftlichen Lage entsprechend, kann das Kleinbürgertum keine eigene Politik haben. Stets wird es zwischen den Kapitalisten und den Arbeitern hin- und herschwanken Seine eigene Oberschicht stößt es nach rechts; seine unteren, unterdrückten und ausgebeuteten Schichten vermögen unter gewissen Umständen, schroff nach links zu schwenken“.
Wir haben in Österreich in den letzten Jahren politische Veränderungen erlebt, die ursächlich mit der Krise der Sozialdemokratie zusammenhängen. So, wie sich die Lohnabhängigen immer mehr von „ihrer“ alten Führung abwenden, konnten sich zwei ursprünglich kleinbürgerliche Parteien – die reaktionäre, faschistoide FPÖ und die „demokratische“, moderne grüne Partei – festigen und aufbauen. Beide Parteien verkörpern auf ihre Art die politische Bandbreite der Schwankungen des Kleinbürgertums.
Das Fehlen einer klassenbewußten revolutionären Arbeiterpartei begünstigt die Degeneration der politischen Parteien der Mittelklasse. Diesen Prozess erleben wir derzeit mit.
Die Grünen heften die „Klimapolitik“ im Regierungsprogramm auf ihre Fahnen. Sie bieten Rezepte an, die in Wirklichkeit Placebos sind. Man kann nicht ernsthaft vom Schutz der Natur sprechen, wenn man mit beiden Beinen am Boden der kapitalistischen Wirtschaft bleiben will. Wer die großen Energiekonzerne nicht antasten will, wer einer kleinen Schicht von Kapitalisten weiter die Kontrolle über die Produktionsmittel und damit die Ausbeutung und Vergeudung der natürlichen Ressourcen überlässt, kann nur kosmetische Maßnahmen vorschlagen. Genau das tun die Grünen im gemeinsamen Programm mit den Türkisen. Die faktische Androhung von CO2-Steuern trifft primär die Lohnabhängigen, ebenso wie die höheren Normverbrauchsabgaben auf „umweltunverträgliche“ Autos. Zwar werden günstige Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel angekündigt – woher die „Verkehrsmilliarde“ allerdings kommen soll, bleibt ein Rätsel.
Die Grünen haben sich auf die Linie einschwören lassen, die türkis-blau gefahren sind: Steuern sollen gesenkt, das Nulldefizit erreicht und auch noch die Staatsschulden insgesamt reduziert werden. Tatsächlich kann eine solche Wirtschaftspolitik nur zu Lasten der Lohnabhängigen, der Arbeitslosen und der sozial schwächsten gehen. Tatsächlich soll die Körperschaftssteuer auf 21 % gesenkt werden. Die projektierte Senkung der Einkommenssteuer stammt ebenfalls aus dem türkis-blauen Repertoire und spart das unterste Drittel der arbeitenden Bevölkerung aus: denn dieser Teil der Arbeiter_innenklasse verdient ohnehin so wenig, dass er unter der Steuergrenze leben muss. Die Steuersenkung macht sich bei Spitzenverdienern aber sehr wohl bemerkbar, ebenso wie bei gut situierten Schichten der „Arbeiteraristokratie“.
Um eine mögliche Unzufriedenheit über die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Haus aus zu unterbinden, haben die Türkisen den Grünen einerseits das Sozialministerium „geschenkt“ – und gleichzeitig wesentliche Kompetenzen dieses Ressorts ins Wirtschaftsministerium verlagert. Klar – das AMS hat ja nichts mit „sozial“ zu tun, deutlich mehr aber mit „Wirtschaftlichkeit“. Das Regierungsprogramm sieht vor, dass Arbeitssuchende neuen Schikanen ausgesetzt werden sollen. Verwaschen wird von einer „Reform“ der Zumutbarkeitsbestimmungen geredet – das ist ein klarer Fingerzeig in die Richtung von mehr Kontrollen, mehr Strafmaßnahmen, mehr Druck.
Dass im gemeinsamen Programm von Grünen und neuer Volkspartei das Thema 12-Stundentag keine Rolle spielt, ist da eigentlich nur logisch. Am grünen Bundeskongress hätte man sich hier eine klare Stellungnahme der Unabhängigen Gewerkschafter erwarten können. Die blieb aber aus. Wir warten gespannt darauf, was aus der folgenden Ankündigung der AUGE/UG wird:
Noch ist es zu früh, abschließend alle Punkte im Regierungsprogramm zu beurteilen. „Die AUGE/UG wird das Regierungsprogramm in den nächsten Tagen eingehend prüfen und ausführlich dazu Stellung nehmen“, so Klaudia Paiha, Bundessprecherin der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen.
In allen relevanten sozialen und gesellschaftspolitischen Bereichen steht das Programm in der Kontinuität der türkis-blauen Regierung: der Anti-Islamismus wird zur Staatsräson erhoben (Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen bis zum 14. Lebensjahr; Einrichtung einer „Beobachtungsstelle“ für den „politischen Islam“). Es geht hier nicht, wie den Grünen nahestehende Meinungsbildner à la Florian Klenk vom „FALTER“ schreiben, um eine emanzipatorische Maßnahme zur Stärkung der Rechte islamischer Mädchen und Frauen. Wäre das so, müsste eine völlige Trennung von Staat und allen Religionsgemeinschaften und ihren Symbolen stattfinden. So wird eine Gruppe herausgegriffen und an den Pranger gestellt – ein wunderbares Beispiel einer apartheidartigen Segregationspolitik.
Das findet seinen Niederschlag auch im Bildungsbereich. Hurra, die Deutschklassen sind wieder da! Was werden dazu die im Schulbereich relativ gut vertretenen grünen Gewerkschafter_innen sagen?
Und um noch eins draufzusetzen, hat die Kurz-Truppe unter dem Kapitel „Migration“ auch gleich eine wirkliche Innovation untergebracht: den „koalitionsfreien“ Raum im Falle einer „Massenmigrationswelle“. Heißt konkret: Wann immer die Kurz-Kogler-Regierung Panik vor Geflüchteten verspürt, kann Kurz eine „Auszeit“ nehmen und mit der FPÖ reaktionäre Gesetze beschließen, ohne dass das zum Koalitionsbruch führt. Die hier angekündigte politische Polyamorie Kurzens wird von Kogler insofern honoriert, als die Grünen der bisher von ihnen bekämpften „Sicherungshaft“ zustimmen. Und im Hintergrund hört man Herbert Kickl kichern …
Damit auch sonst Ruhe und Ordnung herrschen, konzentriert die neue ÖVP das Innenressort und das Kriegsministerium in türkisen Händen. Wundert es jemanden, wenn das Bundesheer verstärkt zur “Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ herangezogen werden soll?
Wir können hier keine umfangreiche Punkt-für-Punkt-Kritik des Regierungsprogramms vorlegen, und das ist auch nicht unbedingt notwendig, um die große Linie dieser Vereinbarung beurteilen zu können.
Was wir vor den Wahlen prognostiziert haben, bleibt aufrecht: Auch die neue Regierung wird ihren aggressiven Kurs gegen die arbeitende und arbeitslose Bevölkerung (Migrant_innen oder Inländer_innen) fortsetzen.
Es darf keine Pause im Widerstand gegen diese Maßnahmen geben, bloß weil sich die Bourgeoisie zum Armani-Anzug nun als modisches Accessoire ein grünes Feigenblatt besorgt hat. Eine besondere Bedeutung kommt allen Arbeiter_innen, Angestellten, Jugendlichen zu, die versuchen, innerhalb der SPÖ einen Kurswechsel herbeizuführen. Im Gegensatz zu ihnen sehen wir keine Chance dafür, dass die SPÖ jemals wieder zu einer sozialistischen Klassenpartei werden kann. Wir sagen aber, dass es trotz aller Differenzen notwendig ist, dass sich alle Kräfte, die gegen die kommenden Angriffe im Interesse des österreichischen Kapitals mobilisieren wollen, in einer breiten Arbeiter_inneneinheitsfront zusammenschließen, um den Widerstand zu organisieren.
Ein wesentlicher Schritt muss die Vorbereitung des Generalstreiks sein, um die arbeiterfeindlichen Pläne der Bourgeoisie und ihrer kleinbürgerlichen Anhängsel zu verhindern. Setzen wir der Spalterpolitik der Herrschenden die proletarische Klassensolidarität entgegen.