Der armen ÖVP den rechten Weg zeigen

Es ist klar – die innenpolitische Situation des Jahres 2025 weckt bei jenen, die damals aktiv waren, Erinnerungen an das Jahr 2000. Zum ersten mal haben damals ÖVP und FPÖ eine gemeinsame sogenannte „Wenderegierung“ gebildet. Angesichts von Massendemonstrationen in Österreich und internationalen Protesten gegen eine Regierung mit Jörg Haider (ja, das hat damals tatsächlich sogar noch „demokratische“ bürgerliche Parteien empören können!) wurde ÖVP-Vorsitzender Wolfgang Schüssel Bundeskanzler, obwohl die FPÖ als zweitplatzierte hauchdünn vor der ÖVP bei den Nationalratswahlen landete.. 

Bereits damals war die Protestbewegung in Österreich klassenübergreifend – was daran lag, dass die Sozialdemokratische Partei selbst durch ihre jahrzehntelangen Koalitionen mit der Volkspartei und ihrer Integration in das System der Sozialpartnerschaft keine konsequente Klassenpolitik gegen die „Wende“ anbieten konnte. Zudem war es im Jahr 2000 ein wesentlich größeres Tabu als heute, an die austrofaschistischen Vorfahren und Kontinuitäten der ÖVP zu erinnern. 

Seitens der KPÖ und der Überreste des österreichischen Maoismus war es wenig erstaunlich, dass diese Parteien und Organisationen mit ihrer Tradition der Volksfronten und der „antimonopolistischen Bündnisse“ keine Propaganda für die Notwendigkeit eines Klassenwiderstands der Lohnabhängigen gegen die reaktionäre Koalition propagierten.

Marx schrieb einmal: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. 

Daran werden wir zwangsläufig erinnern, wenn wir den Aufruftext der Plattform #wiederdonnerstag (Anspielung auf die damaligen „Donnerstagsdemos“) zur Demo am 5.2.2025 lesen:

„Es ist der Tag, an dem vor 25 Jahren eine unterirdische Angelobung stattgefunden hat. Wir treffen uns um 18:00 am Ballhausplatz, wo sich damals die ersten Donnerstagsdemos gebildet haben. Wir gehen heute so wie damals, weil eine rechtsextreme Regierung heute so unterirdisch und jenseitig ist wie vor 25 Jahren. 

Nach der Auftaktkundgebung am Ballhausplatz gehen wir in einer Demonstration die Löwelstraße entlang über das Burgtheater zum Universitätsring und Richtung Parlament. An den Räumlichkeiten vorbei, in dem die Rechtsextremen jetzt der Steigbügel haltenden ÖVP das Regierungsprogramm diktieren, gehen wir vom Schmerlingplatz in die Reichsratsstraße.

Vor dem Rathaus biegen wir in die Lichtenfelsgasse ein und versammeln uns an der Adresse der ÖVP Zentrale, wo unsere Abschlusskundgebung stattfindet. Hier werden wir höflich aber bestimmt unseren Unmut darüber äußern, dass die ÖVP Rechtsextreme in die Regierung hievt und so die österreichische Demokratie und den Rechtsstaat gefährdet“.

Natürlich kann man bei einem knappen Aufruftext nicht jedes Wort auf die Waagschale legen. Trotzdem muss man davon ausgehen, dass sich die (übrigens nicht näher genannten Initiator*innen) bei ihrem Aufruf etwas gedacht haben. Da ist zunächst der Begriff „rechtsextrem“. Dieser Begriff ist eine politische Nebelkerze, die den Klassencharakter einer Regierung verschleiert. Er setzt eine abstrakte Skala von „moderat“ bis „extrem“ an die Stelle einer materialistischen Analyse der Klassenverhältnisse. Die zentrale Frage ist nicht, ob eine Regierung „extrem“ ist, sondern wem sie dient: dem Kapital oder der Arbeiter*innenklasse. Eine FPÖ/ÖVP-Regierung wäre nicht wegen angeblicher „Extremität“ abzulehnen, sondern weil sie eine Regierung der Bourgeoisie wäre, die die Interessen des Kapitals mit verschärfter Repression gegen die Arbeiter*innenklasse und unterdrückte Schichten durchsetzen würde. Die Fixierung auf „rechtsextrem“ öffnet Tür und Tor für  Bündnisse mit scheinbar „moderaten“ Kapitalfraktionen und verhindert den Aufbau einer unabhängigen proletarischen Front gegen die Herrschaft des Kapitals insgesamt.

Der Satz  „An den Räumlichkeiten vorbei, in dem die Rechtsextremen jetzt der Steigbügel haltenden ÖVP das Regierungsprogramm diktieren…“ ist ein Einfallstor für genau diese Bündnisse. Man bekommt fast Mitleid mit der armen ÖVP, der jetzt, gegen ihren Willen, ein (vermutlich rechtsextremes?) Regierungsprogramm aufgezwungen wird. Die arme ÖVP, deren niederösterreichische Regentin Johanna Mikl-Leitner mit ihrem FP-Vize Udo Landbauer Pressekonferenzen abhält, in denen die dumpfesten rassistischen Vorurteile bedient werden? Die arme ÖVP, die in mehreren Bundesländern mit der FPÖ regiert und regionale Sozialabbauprogramm exekutiert? Nebenbei: was hier an „Regierungsprogramm“ verhandelt wird, kommt weitgehend aus den Sekretariaten der Industriellenvereinigung und der WKO.

Hier werden wir höflich aber bestimmt unseren Unmut darüber äußern, dass die ÖVP Rechtsextreme in die Regierung hievt und so die österreichische Demokratie und den Rechtsstaat gefährdet“. Ja, da sind wir wirklich un-mutig, wenn wir von der ÖVP die Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaats erwarten und ihr vorwerfen, dass sie das jetzt auf einmal nicht mehr tut. Eine Partei, die immerhin von einem ihrer lange Jahre treu ergebenen Handlanger als „Hure der Reichen“ charakterisiert wurde; die unter Sebastian Kurz unter Zuhilfenahme aller Geschäftsordnungstricks mit Initiativanträgen den geheiligten parlamentarischen Entscheidungsprozess ausgehebelt hat; also von der sind wir jetzt aber echt enttäuscht …

Die herrschende Klasse in Österreich plant massive Angriffe auf die gesamte lohnabhängige Bevölkerung in diesem Land, egal, ob sie hier geboren ist, ob sie sich „legal“ im Land befindet oder nicht. Denn die Kosten für die Krise und ein Milliardenbudgetdefizit, dass die „Wirtschaftspartei ÖVP“ angerichtet hat, sollen wieder einmal die arbeitenden Menschen zahlen. Und, Achtung, Spoiler: Es ist egal, wie die künftige Regierung aussehen wird. 

Daher sagen wir: Ja, alle Lohnabhängigen und Jugendlichen auf die Straße gegen die Pläne der bürgerlichen Reaktion! Aber nicht unter der bunten Fahne der Klassenzusammenarbeit, sondern unter der roten Fahne der Arbeiter*innenklasse!