Die Wiener Stadtregierung aus SPÖ und NEOS hat tiefgreifende Einschnitte in der Mindestsicherung beschlossen. Offiziell begründet wird der Schritt mit der angespannten Haushaltslage; tatsächlich handelt es sich um eine der weitreichendsten Kürzungsrunden im sozialen Bereich seit Jahren. Betroffen sind vor allem Gruppen, die ihren Lebensunterhalt kaum ohne Unterstützung bestreiten können: ältere Menschen, Arbeitsunfähige, Familien mit niedrigen Einkommen, Wohngemeinschaften sowie subsidiär Schutzberechtigte.
Die Fakten: Umfang und Wirkung der Kürzungen
Die 13. und 14. Monatszahlung für dauerhaft arbeitsunfähige Personen und Menschen im Pensionsalter werden künftig halbiert. Für alleinstehende Bezieherinnen und Bezieher bedeutet das einen Verlust von 1.209 Euro pro Jahr. Parallel dazu wird der Wohnkostenanteil innerhalb der Basisleistung angehoben, was die separat ausbezahlte Mietbeihilfe reduziert. Dadurch kann es zu weiteren Einbußen von bis zu 139 Euro monatlich kommen. Für manche Betroffene summieren sich beide Maßnahmen auf bis zu 2889 Euro pro Jahr weniger Mindestsicherung.
Menschen mit einem Behindertenpass sind ausgenommen. Allerdings ist ein großer Teil jener, die wegen psychischer oder intellektueller Beeinträchtigungen Unterstützung benötigen, nicht in diesem Ausmaß eingestuft. Sozialverbände warnen daher, dass die Kürzungen das Ziel eines eigenständigen Lebens unterlaufen und viele Betroffene in institutionelle Betreuung drängen könnten.
Bei Familien werden die Kinderzuschläge zwar formal nicht angetastet, doch durch zwei Hebel sinken die realen Leistungen dennoch deutlich. Erstens wird auch bei Kindern ein Wohnkostenanteil gegengerechnet, was die Mietbeihilfe pro Kind um bis zu 81 Euro reduziert. Zweitens fällt der in der Teuerungsphase eingeführte Familienzuschlag weg. Insgesamt sind rund 51.000 armutsbetroffene Kinder betroffen.
Wohngemeinschaften verlieren künftig ebenfalls einen erheblichen Teil des Mindeststandards: Statt 1209 Euro erhalten Bewohnerinnen und Bewohner von WGs nur noch 70 Prozent des Betrags. Die Regelung stellt sie jenen gleich, die in Partnerschaften leben – mit der Begründung, dass gemeinsame Haushalte Kosten sparen. Auch hier trifft es Gruppen mit ohnehin prekären Lebensverhältnissen: Studierende, junge Erwerbslose, Menschen in Umschulungen oder Personen, die in prekären Jobs arbeiten.
Bezieher*innen der Mindestsicherung sind häufig auch von Suchterkrankungen betroffen. Zusätzlich zur erwähnten Kürzung ihrer Mindestsicherung steht durch die Einsparungen bei der Suchthilfe Wien auch weniger Betreuung für die Suchtkranken zur Verfügung.
Besonders hart trifft es subsidiär Schutzberechtigte. Wien war bislang eines der wenigen Bundesländer, das diese Gruppe auf das Niveau der Mindestsicherung aufstockte. Mit der Abschaffung dieser Regelung fällt das Einkommen von rund 13.000 Menschen von 1209 Euro auf die bundesrechtliche Grundversorgung zurück – 425 Euro monatlich für Wohnen und Verpflegung, plus maximal 150 Euro jährlich für Bekleidung. Für viele wird das das Ende bestehender Mietverhältnisse bedeuten. Die Frage, wo diese Menschen künftig wohnen sollen, ist ungeklärt.
Insgesamt erwartet die Stadt Einsparungen von etwa 200 Millionen Euro. Ohne die Maßnahmen wären die Ausgaben für die Mindestsicherung im kommenden Jahr auf rund 1,2 Milliarden Euro gestiegen. Die jetzt veranschlagten 996,8 Millionen Euro bedeuten eine Reduktion um etwa ein Sechstel.
Die politische Logik hinter den Einsparungen
Der Sparkurs steht nicht isoliert, sondern folgt einer breiteren finanziellen Prioritätensetzung der Stadtregierung. Parallel zu den Kürzungen steigen laufend Gebühren und Abgaben – etwa für Parkraumbewirtschaftung, öffentliche Verkehrsmittel oder kommunale Dienstleistungen. Damit erhöht Wien seine Einnahmen über Maßnahmen, die vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen treffen, und reduziert gleichzeitig Ausgaben, die gerade diese Haushalte entlasten sollen.
Die NEOS haben bereits im Sommer offen gefordert, Kinderleistungen in der Mindestsicherung zu senken. Offiziell begründet wurde das mit einer „einheitlichen Bewertung der Kosten pro Kind“. Die dahinterliegende Logik ist eine seit Langem bekannte: Leistungen an arme Haushalte sollen reduziert werden, um angeblich „Anreize“ zu setzen. Die Auswirkungen der Kürzungen auf reale Lebensbedingungen bleiben bei dieser Argumentation außen vor.
Die SPÖ trat in der Debatte zunächst mit kritischen Tönen auf. 2024 hatte Sozialstadtrat Peter Hacker Kürzungen bei Kinderleistungen noch als „zynisch“ bezeichnet. Wenige Monate später übernimmt die Stadtregierung genau jene Linie, die zuvor kritisiert wurde. Der Rückzug auf das Argument begrenzter Budgetmittel verdeckt, dass gleichzeitig an anderer Stelle finanzpolitische Entscheidungen getroffen werden, die Unternehmen und Vermögende begünstigen – etwa im Zuge bundesweiter Konsolidierungspakete, die von SPÖ, ÖVP und NEOS gemeinsam getragen werden.
Konsequenzen für die soziale Situation in Wien
Nach Berechnungen des Momentum-Instituts sind Mindestsicherungsbezieherinnen und -bezieher besonders stark von Preissteigerungen betroffen, da sie einen überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens für Wohnen, Energie und Lebensmittel aufwenden müssen. Real sinkende Leistungen verschärfen daher Armut und Ausgrenzung. Die jetzt beschlossenen Maßnahmen treffen nicht nur jene, die bereits in der Mindestsicherung sind, sondern erhöhen auch das Armutsrisiko für Haushalte, deren Einkommen knapp oberhalb der Anspruchsgrenzen liegt.
Für subsidiär Schutzberechtigte bedeutet die Rückstufung in die Grundversorgung faktisch ein Leben unterhalb jedes existenzsichernden Niveaus. Auch für viele ältere, kranke oder psychisch belastete Menschen droht der Verlust der Selbstständigkeit. Gerade jene Gruppen, die politisch wenig Gewicht haben, sind am stärksten betroffen.
Eine Politik mit klarer sozialer Richtung: nach unten treten!
Die Maßnahmen folgen einer eindeutigen Prioritätensetzung: Entlastungen für Vermögende und Unternehmen auf übergeordneter Ebene, Kostendruck nach unten auf Ebene der kommunalen Haushalte. Die Stadtregierung sucht die Budgetkonsolidierung nicht dort, wo finanzielle Überschüsse vorhanden sind, sondern bei den Ärmsten und Schwächsten.
Damit setzt Wien Entwicklungen fort, die bundesweit seit Jahren zu beobachten sind: Sozialleistungen werden an die Inflation nicht angepasst oder sogar aktiv gekürzt, während Gebührenerhöhungen reale Belastungen nach oben treiben. Die offizielle Begründung lautet überall gleich: „begrenzte Spielräume“. Der politische Effekt jedoch ist eine systematische Absenkung der materiellen Absicherung für all jene, die keine marktförmige Erwerbsleistung erbringen können.
Die Stadt Wien steht nicht unter einem objektiven Zwang, die Mindestsicherung zu kürzen. Sie trifft eine politische Entscheidung. Es wäre möglich, soziale Sicherheit auszubauen statt abzubauen – wenn der politische Wille vorhanden wäre, die Lasten anders zu verteilen. Dieser Wille fehlt klarerweise bei einer bürgerlichen Arbeiter*innenpartei.
Während in Wien gekürzt wird, unterstützt die SPÖ auf Bundesebene gemeinsam mit ÖVP und NEOS ein milliardenschweres „Konsolidierungspaket“, das vor allem Banken und Konzernen zugutekommt. Die bürgerliche Arbeiter*innenpartei SPÖ erweist sich einmal mehr als Garantin der „Stabilität“ des Systems: Sie hält die Arbeiter*innenklasse ruhig, während sie deren Lebensstandard systematisch verschlechtert.
Bruch mit dem Reformismus – jetzt!
Gegen diese Politik brauchen wir nicht kosmetische „soziale Korrekturen“, sondern den Bruch mit dem Reformismus. Notwendig ist eine Arbeiter*inneneinheitsfront gegen Teuerung, Kürzungen und Sozialabbau – unabhängig von SPÖ und Gewerkschaftsführung. Unsere Forderungen sind:
- Nein zu allen Kürzungen bei Sozialleistungen!
- Rücknahme der Gebührenerhöhungen – Finanzierung der öffentlichen Dienste durch Besteuerung von Banken, Immobilienkonzernen und Superreichen!
- Verteidigung und Ausbau der Mindestsicherung – jedes Kind hat ein Recht auf volle materielle Absicherung!
Heute ist der Aufbau einer revolutionären Arbeiter*innenpartei, die nicht im Auftrag des Kapitals regiert, sondern die Machtfrage im Interesse der Lohnabhängigen stellt, dringender denn je.
Der Kampf gegen die Sparpolitik muss in die Betriebe, die Universitäten, Schulen… alle Ausbildungs- und Arbeitsstätten getragen werden. Der Generalangriff im Dienste der herrschenden Klassen, organisiert von ihrer Regierung und den staatlichen Träger*innen wie Ministerien, Sozialämtern, AMS usw., kann nur durch einen politischen Generalstreik verhindert werden.
Dieser ist nicht die bloße Summe vieler isolierter Teilstreiks, wie Reformist*innen und Zentrist*innen verharmlosend erklären, wenn die Unzufriedenheit um sich greift. Es bedarf eines klar fokussierten, auf einen Tag hinzielenden Streikaufruf mit einem klaren politischem Ziel: den Angriff der Bourgeoisie und ihrer Parteien zurückzuschlagen!
Für eine Arbeiter*innenregierung!
Die Perspektive ist die Errichtung einer Arbeiter*innenregierung, die mit der Bourgeoisie und der Sozialpartnerschaft bricht. Für uns ist das keine parlamentarische „Rechenaufgabe“ (à la „SPÖ+KPÖ=Arbeiterregierung“), sondern eine revolutionäre Forderung im Sinne Trotzkis: eine Regierung, die sich auf die Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse stützt und den Bruch mit dem Kapital vollzieht.
Was sind eigentlich subsidiäre Schutzberechtigte?
Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, denen im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (z. B. Tod, Folter, unmenschliche Behandlung), die aber keine persönliche Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erleiden. Sie erhalten daher keinen Asylstatus, aber dennoch einen befristeten Aufenthaltstitel mit vollem Zugang zum Arbeitsmarkt



