Erklärung des CoReP zu Ägypten (24.8.’13)

CCL: Gigi Ibrahm

Nieder mit der Militärjunta!

Für eine Arbeiterpartei, unabhängig von allen Fraktionen der Bourgeoisie!

Die Konfrontation zweier Fraktionen der Bourgeoisie stürzt das Land ins Chaos

CCL: Gigi IbrahmAm 3. Juli haben die Generale mit Unterstützung der post-nasseristischen « Foulouls » (die aus allen Ecken der PND Moubaraks hervorgekrochen sind), der angeblichen « Demokraten » und « Liberalen » (« Wafd », PdC, PLE…), der Neo-Nasseristen (VS …) und der Ex-Stalinisten (KPÄgyptens) einen Staatsstreich durchgeführt.

Die ägyptischen Streitkräfte haben sich dem Willen des Volkes angeschlossen, seine Forderungen aufgegriffen und die Marschroute vorgelegt, um das Regime der [Muslim]Brüder und ihre Verbündeten von der religiösen Rechten zu stürzen … Seit mehr als 40 Jahren haben die ägyptischen Streitkräfte damit zum ersten Mal gegen den amerikanischen Willen gehandelt. Es war auch das erste Mal, dass sich das ägyptische Volk jeglicher Glaubensrichtung, die politischen Kräfte und die Institutionen vereinigt haben, um die Richtung der Revolution zu korrigieren und eine zivile und demokratische Verfassung für das Land auszuarbeiten, um Abhängigkeit und Knechtschaft zu überwinden. (Kommunistische Partei Ägyptens, Kommuniqué, 3. August 2013)

Die Revolution in Etappen legitimiert die « antiimperialistische Einheitsfront » mit den bürgerlichen Parteien (« den politischen Kräften » im Allgemeinen) und den « Streitkräften » (nicht den Einberufenen, sondern den Offiziersgraden der Kapitalisten). Den Reformisten zufolge wäre die Armee nicht bürgerlich, nicht das Rückgrat des bürgerlichen Staates, sondern gerade am Bruch mit dem amerikanischen Imperialismus, sie wäre in den Dienst des « Volkes » – in dem alle Klassen vermischt sind – getreten, wie 1952 – als Oberst Nasser die streikenden Arbeiter exekutieren ließ und anschließend die KP verbot.

Deshalb muß man mit der Arbeitermiliz beginnen, und zwar sofort beginnen, um dann entschlossen und umsichtig, allmählich, zur Bildung der allgemeinen Volksmiliz, zur Ersetzung der Polizei und des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung fortzuschreiten. (W.I.Lenin Werke Bd. 24, S 429, 29. Mai 1917)

Seit 80 Jahren stehe nun die « nationaldemokratische Revolution » auf der Tagesordnung, die sozialistische Revolution wird auf eine ferne Zukunft vertagt. Für die Opportunisten muss sich das Proletariat einer Fraktion der herrschenden Klasse unterordnen, für einige den Islamisten (wie heute die libanesische KP oder die Tudeh-Partei im Iran 1979), für andere den Militärs, die sich als « oberste Retter der Nation » präsentieren. Das war schon gegenüber General Mustafa Kemal, gegenüber General Tschiang Kai-Schek, General de Gaulle, Oberst Nasser, Oberst Perón und Oberst Chávez kriminell … bei General al Sisi wird diese Fabel geradezu grotesk!

Umgeben vom niedergehenden Kapitalismus und in die imperialistischen Widersprüche verwickelt wird die Unabhängigkeit eines rückständigen Staates unweigerlich halbfiktiv sein und sein politisches Regime wird unter dem Einfluss der internationalen Klassenwidersprüche und des Drucks von außen unvermeidlich in eine Diktatur gegen das Volk verfallen …So wie die einzige wahre revolutionäre Kraft unserer Ära das internationale Proletariat ist so ist das einzige wahre Programm zur Beseitigung aller gesellschaftlichen und nationalen Unterdrückung das Programm der Permanenten Revolution.(Leo Trotzki, Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution, 23. Mai 1940)

Die Revisionisten des « Trotzkismus » wiederholen in Wahrheit den Verrat des Stalinismus. Die Revolutionären Sozialisten (RS – die mit der englischen SWP und der amerikanischen ISO verbunden sind und von der französischen NPA geschätzt werden) haben den Staatsstreich heruntergespielt und zur Krönung dessen erklärt, was sie wie die KP Ägyptens die « zweite Revolution » nennen.

Was in Ägypten geschehen ist, war der Gipfel der Demokratie, eine Revolution von Millionen von Menschen, um einen Machthaber direkt zu stürzen. Was die militärische Absetzung Mursis betrifft, war sie nichts anderes als die vorgezogene Schlussfolgerung, nachdem die Armee-Institutionen erkannt hatten, dass die Massen bereits auf den Straßen und Plätzen die Sache erledigt hatten. (Revolutionäre Sozialisten, Statement, 30. Juni 2013)

Noch mehr – die Zentristen haben die Junta aufgefordert, eine « gute Regierung » zu bilden, und die künftige von der Junta eingesetzte Regierung, eine « gute Politik » zu machen.

Wer immer der nächste Premierminister ist, er muss aus den Reihen der Januar-Revolution kommen. Wir fordern, dass die Prioritäten der künftigen Regierung unmittelbare Schritte zur Erlangung der sozialen Gerechtigkeit zu Gunsten von Millionen Armen und Einkommensschwachen sein müssen”. (Revolutionäre Sozialisten, Statement, 6. Juli 2013)

Tatsächlich haben der Rat der Streitkräfte und seine vorgeschobene Regierung am 4. August die demokratischen Freiheiten aufgehoben. Sie haben den gewählten Präsidenten abgesetzt, den Streik der Metallarbeiter in Suez unterdrückt, die Blockade Gazas verstärkt und auf blutige Art und Weise die Protestdemonstrationen der Anhänger der Muslimbrüder in allen Städten des Landes unterdrückt und Mubarak freigelassen.

Gleichzeitig haben die faschistischen Banden der Muslimbruderschaft und der « Hebz al-Nour » (Partei des Lichts, Salafisten) die Angriffe auf die christlichen Kopten verstärkt, einem üblichen Ziel der Reaktionäre, seien sie bärtig oder nicht, in Uniform oder zivil.

Die Islamisten und die Generale sind zwei Gesichter der Reaktion

Mursi wird von der Türkei und Quatar unterstützt, während der Generalstab die politische und finanzielle Unterstützung Saudi Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate genießt. Keine dieser Regierungen, besonders die polizeilichen, frauenfeindlichen und klerikalen Monarchien am Golf, sind ein Hort der demokratischen Freiheiten oder des sozialen Fortschritts.

Auch die Regierungen der Vereinigten Staaten, Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, die zuvor bis zuletzt Mubarak und Ben Ali unterstützt haben und sich mit den islamistischen Parteien zusammengetan haben, um die Macht über Libyen, Tunesien und Ägypten zu sichern, dürfen sich nicht als Lehrmeister in Sachen Demokratie aufspielen. Die US-Regierungen haben bereits 1952 und 1991 die Muslimbrüder unterstützt. Dank ihrer Unterstützung im Volk erschienen die Muslimbrüder 2012 als glaubwürdige Barriere gegen die soziale Revolution, die sich imFebruar 2012 abzuzeichnen begann. Welche auch immer die Parteien an seiner Spitze sind, jeder « demokratische » bürgerliche Staat verteidigt die Interessen seiner Bourgeoisie, paktiert mit dem zionistischen Kolonialstaat und versucht, die imperialistische Ordnung in Nordafrika und Westasien aufrecht zu erhalten.

Die Zersplitterung der französischen Bourgeoisie in so viele Gruppen, Fraktionen und Parteien war es, die das Volk so oft getrogen hat. Ihr stürzt eine Gruppe, sagen wir die haute finance, und denkt, die gesamte Bourgeoisie wäre gestürzt; aber Ihr habt lediglich eine andere Gruppe zur Macht gebracht. (Friedrich Engels, 8. Oktober 1889, MEW 37,S. 285)

Ende Januar 2011 löst die Armee die Polizei ab, die von den machtvollen Demonstrationen und dem Beginn einer massiven Streikwelle überrannt worden ist. In Absprache mit den amerikanischen Geheimdiensten lässt der Oberste Militärrat Mubarak fallen, um selbst am 11. Februar die Macht zu ergreifen. Es folgt eine Periode, in der Streiks verboten werden, eine Periode der Repression, der Folterung hunderter Menschen, der Verfolgung christlicher Minderheiten. Im Juni 2012 löste der Oberste Militärrat die 2012 gewählte parlamentarische Versammlung mit ihrer Mehrheit klerikaler Abgeordneter auf (45 % der Stimmen für die Muslimbrüder, 25 % für Al Nour). Bei den Präsidentenwahlen wies die Junta unter einem Vorwand die Kandidatur des von den Muslimbrüdern aufgestellten Kapitalisten Khairat al-Chate zurück. Schließlich wird im zweiten Wahlgang der Kandidat des Militärs, der ehemalige General und Premierminister Hosni Mubaraks, Ahmed Chafik, von Mursi geschlagen. Nach Geheimverhandlungen mit den Muslimbrüdern überträgt ihnen die Armee die Macht, behält aber ihre Unternehmen und die finanzielle Unterstützung durch den amerikanischen Staat.

2011 haben sich die Muslimbrüder der von der Jugend ausgelösten Bewegung gegen Mubarak angeschlossen. Die Klerikalen geben vor: « Der Islam ist die Lösung ». Aber in der Praxis ist der Islamismus nichts anderes als Kapitalismus, vermengt mit Obskurantismus und Repression. Mursi hält den Vertrag mit Israel aufrecht ; im Oktober 2012 greifen islamistische Banden am Tahrir-Platz Demonstranten an, können aber von den jungen Revolutionären vertrieben werden. Die Regierung Mursi versucht, die unabhängigen Gewerkschaften zu verbieten. Im November 2012 stattet sich Mursi mit Generalvollmachten aus. Im Dezember 2012 stärkt die Verfassungsgebende Versammlung die Rolle des Islam (die Sharia war bereits in der vorhergehenden Verfassung ein Bezugspunkt). Die Regierung peitscht die Unterzeichnung des Verfassungsentwurfs durch. Sowohl vor dem Versuch des institutionellen Staatsstreichs wie vor dem Referendum versuchen islamistische Banden, Oppositionelle anzugreifen. Dutzende junge Frauen, die demonstrieren, werden umzingelt und von « nichtidentifizierbaren Banden » vergewaltigt. Gut dokumentiert ist, dass islamistische Milizen Dutzende Oppositionelle entführen und foltern. Der ägyptische Kapitalismus stürzt in die Depression, die unter der Militärherrschaft begonnen hat, was zur Abwertung des Pfunds, einer galoppierenden Inflation und einer steigenden Arbeitslosigkeit führt. Die Popularität der Regierung sinkt, während die Streiks sich vervielfachen und schließlich Millionen von Demonstranten im Juni 2013 den Rücktritt Mursis fordern. Die Armee stürzt ihn schließlich und bezeichnet ihn als « Terroristen », um den Putsch zu legitimieren.

Die Revolutionen des 18. Jahrhunderts haben häufig die Form einer Konstituierenden Versammlung angenommen, welche die Willkür verringerte und die Rechte der Massen vergrößerte. Trotz ihres bürgerlichen Charakters hat ihre Radikalität ein historisches Beispiel für die zukünftige revolutionäre Klasse – das Proletariat – gegeben, im Besonderen die Bewaffnung der Bevölkerung.

Dahin gehört vor allem die Forderung, dass die Waffe jedem Wehrfähigen aus dem Volke ausgehändigt und von ihm in seiner Behausung aufbewahrt wird. Nicht aus Sparsamkeitsgründen in erster Linie fordern wir die Volkswehr an Stelle des stehenden Heeres, nicht um die finanziellen Opfer loszuwerden, sondern um die Waffe des Militarismus, die jetzt bei Gelegenheit gegen den ‘inneren Feind’, d.h. die aufstrebende Arbeiterklasse und ihre Massenkämpfe, gerichtet wird, dieses Missbrauchs zu entkleiden (…) (Rosa Luxemburg, Die neue Armee, Juni 1911, Luxemburg Werke Bd. 2, S. 526)

Aber eine Versammlung, die von der Junta (oder den Muslimbrüdern) einberufen wird, kann nicht anders als konterrevolutionär sein. Die Konstituierenden Versammlungen in den Händen der Militärs 2011 oder der Islamisten 2012 haben sich als pseudo-demokratisch entlarvt. Keine Verfassung, die vom Generalstab oder den Islamisten ausgeht, kann wirklich demokratisch sein. Bei den Präsidentenwahlen 2012 hat die Junta die Kandidaten ausgewählt, so wie die Ayatollahs bei den Wahlen im Iran 2013 ; ein Jahr darauf hat der Generalstab den gewählten Präsidenten abgesetzt.

Müßte nicht ein Demokrat, wenn er die Frage der Neuwahlen aufwerfen will, den Grundsatz der Demokratie anerkennen und unterstreichen, nämlich das Recht der Bevölkerung, einen jeden gewählten Beauftragten, eine jede Amtsperson jederzeit abzuberufen? (W.I.Lenin, Noch eine Abweichung vom Demokratismus, 31. Mai 1917, LW 24, S. 436f)

Weder Offiziere noch Geistliche können die demokratischen Freiheiten gewährleisten, die Laizität einführen, die nationale Unabhängigkeit sicherstellen, die Frauen befreien, den Bauern das Land geben, die Wirtschaft entwickeln, die Palästinenser wirklich beschützen…

Die Klassenkollaboration innerhalb von « Tamarod » hat dem Putsch den Weg geebnet

Der politische Boden für den Staatsstreich wurde durch die Bildung eines Bündnisses der Klassenkollaboration, « Tamarod » (Rebellion) unter Schirmherrschaft etlicher Kapitalisten (Naguib Sawiris, Mamdouh Hamza…) und hoher, von Mubarak geerbten, Beamten, der großen kapitalistischen Medien und den Geheimdiensten des Verteidigungsministers Mursis, dem General al Sisi, aufbereitet.

Tamarod vereinigt also alle bürgerlichen Parteien, die in Opposition zu den Muslimbrüdern stehen, die Würdenträger Mubaraks (die « Foulouls » der PND) bis hin zu den fanatischen Moslems (die Salafisten von Al Nour). Tragischerweise hat die Gesamtheit der politischen Arbeiterorganisationen (KP Ägyptens, RS, Bewegung des 6. April, Sozialistische Partei der Volksallianz, SP Ägyptens) durch ihre enthusiastische Beteiligung den von der Bourgeoisie geführten Block unterstützt.

Die Sozialisten waren tief in Tamarod integriert. Wir haben großen Enthusiasmus in den Arbeitervierteln vorgefunden, als wir Unterschriften für die Petition sammelten. (Samuel Naguib, Interview in Kairo, Juni 2013, zitiert in International Socialism n° 139)

So konnte die geniale Tamarod-Kampane alle Arten der Zurückweisung der Herrschaft der Muslimbruderschaft durch das Volk durch eine Unterschriftenkampagne mobilisieren, die in weniger als zwei Monaten 22 Millionen Unterschriften sammelte. Sie wurden von allen Organisationen, Klassen und Schichten des ägyptischen Volkes, sogar innerhalb des Staatsapparates und Körperschaften in allen Gouvernements in Ägypten, gesammelt. (KP Ägypten, June 30 Revolution, 3. August 2013)

In Wahrheit ist Tamarod vollständig bürgerlich, ohne selbst die geringsten Zugeständnisse an die dringendsten Bedürfnisse der Lohnabhängigen zu machen: « vorgezogene Parlamentswahlen », zwischenzeitlich « eine interimistische Präsidentschaft » durch den Präsidenten des Hohen Verfassungsrates (der von Mubarak eingesetzt wurde) und eine Exekutivgewalt unter einem « im Konsens bestimmten Premierminister », der die Wirtschaft retten, die Sicherheit wieder herstellen und die Ausarbeitung der neuen Verfassung sicherstellen soll.

Einige Stunden vor dem Staatsstreich trafen Mahmoud Badr und Mohamed Abdelaziz, die Redakteure der Tamarod-Petition, mit General al Sisi, dem Chef der Militärjunta, zusammen.

Seit der Liquidierung der Kommunistische Partei Ägyptens im bürgerlichen Nationalismus im Namen der anti-imperialistischen Einheitsfront und der Revolution in Etappen gibt es keine Arbeitermassenpartei mehr. Die unabhängigen Gewerkschaften sind willkürlich in zwei Dachverbände geteilt, ihre Apparate arbeiten verstärkt mit den korrumpierten nordamerikanischen und westeuropäischen Gewerkschaftsbürokratien zusammen. Die politischen Organisationen, die sich heute auf den Klassenkampf und den Sozialismus berufen, agieren als Hilfstruppen der herrschenden Klasse, der Ausbeuter. Die KP Ägyptens und die SP Ägyptens (die an der Mittelmeerkonferenz der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei in Marseille im Mai 2011 teilnahm) haben den Kandidaten von Karama (Partei der Würde, neo-nasseristisch) im ersten Durchgang der Präsidentenwahlen 2012 unterstützt.

Die Kräfte des revolutionären Lagers hätten aus Hamdeen Sabbahi [Karama] ihren Einheitskandidaten machen müssen. (Mamdouh Habaschi, Après les présidentielles, 25. Juni 2012, Inprecor n° 585)

Die RS sind im Rahmen der revisionistischen International Socialist Tendency (IST) entstanden, welche wie die Stalinisten, Anhänger der « anti-imperialistischen Einheitsfront » ist. Die IST ist aus der Kapitulation Tony Cliffs vor « seinem » Imperialismus » entstanden, als dieser sich an der US-amerikanischen Aggression gegen die chinesische Revolution 1950 beteiligte. In den 1990er Jahren passte sich diese Strömung an den zunehmenden Islamismus an.

Unsere Verhaltensweise lautet: Wo die Islamisten in der Opposition sind – gelegentlich mit ihnen; mit dem Staat – niemals. (Chris Harman, Der Prophet und das Proletariat, 1994, in Islamimus und Rvolution, p. 77)

2004 hat die britische SWP gemeinsam mit islamistischen Kapitalisten eine Volksfront gebildet (Respect). Mit diesem politischen Kompass als Richtschnur unterstützten die RS am 28. Mai den Kandidaten der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, also der Muslimbruderschaft, im zweiten Wahlgang.

Der Sieg Mursis, des Kandidaten der Muslimbruderschaft, ist eine große Errungenschaft, um die Konterrevolution und den Staatsstreich zurückzudrängen, Momentan ist das ein wirklicher Sieg für die ägyptischen Massen und die ägyptische Revolution.(Sameh Naguib, Botschaft an die ISO-Konferenz, 28. Juni bis 1. Juli 2012)

Im November 2012 bildeten die KP Ägyptens, die RS, die Bewegung des 6.April, die SP Ägyptens und die SPVE die « Nationale Heilsfront », eine Volksfront mit den sogenannten weltlichen bürgerlichen Parteien, darunter den « Foulouls », die nach wie vor die Armee und die Justiz kontrollieren und die Polizei, ihre Milizen und kriminellen Schlägerbanden auf die Anti-Mubarak-Demonstranten gehetzt haben. Wie immer kann das Programm einer Koalition mit der Bourgeoisie (« Regierung der nationalen EInheit ») nicht anders als bürgerlich sein. Natürlich floss die Nationale Heilsfront im Mai 2013 sofort in das Klassenkollaborationsbündnis von Tamarod ein.

Die Erwartungshaltung der kleinbürgerlichen Strömungen in diesen oder jenen Sektor der Großbourgeoisie werden jedes Mal vom Klassenkampf zum Schaden der Volksmassen widerlegt.

Der bolschewistische Weg besteht hingegen darin, sich politisch wie organisatorisch von der Bourgeoisie bedingungslos abzugrenzen, sie von den ersten Schritten der Revolution an erbarmungslos zu entlarven, jegliche kleinbürgerliche Illusionen in Bezug auf eine Einheitsfront mit der Bourgeoisie zu zerstören, unermüdlich mit der Bourgeoisie um die Führung der Massen zu kämpfen und unerbittlich all diejenigen aus der KP zu vertreiben, die Hoffnungen in bezug auf die Bourgeoisie verbreiten oder sie idealisieren”. (Leo Trotzki, Die chinesische Revolution und die Thesen des Genossen Stalin, 17. Mai 1927, Trotzki Schriften 2.1, S. 188)

Solange sie nicht über ihre eigene Partei verfügt, die klar gegen jede Fraktion der Bourgeoisie Stellung nimmt, bleibt die Arbeiterklasse und die Jugend trotz ihrer Tapferkeit verwirrt und unfähig, eine eigene Perspektive zu entwerfen.

Die soziale Revolution ist der Ausweg

Keine Fraktion der Bourgeoisie kann die Probleme des Landes lösen, denn ein Ausweg ist nur durch die Konfrontation mit der imperialistischen Bourgeoisie möglich und erfordert die Aktion der Arbeiter in Stadt und Land, die sich, wenn sie sich einmal in Marsch gesetzt haben, gegen das Privateigentum an den Produktionsmitteln stellen müssen, das sowohl von der Armee als auch von muslimischen und christlichen Geistlichen verteidigt wird.

Der von Oberst Nasser 1952 verkündete und von der KP Ägyptens unterstützte panarabische Nationalismus, der dadurch das Vertrauen eines bedeutenden Teils der Arbeiterklasse erringen konnte, war ein historischer Bankrott der dazu führte, dass die Armee ihren angeblichen Anti-Imperialismus aufgab und dem panislamischen Nationalismus die Tür öffnete. Die Pläne einer arabischen Einigung sind gescheitert: Israel hat zu wiederholten Malen die ägyptische Armee geschlagen. Das Regime hat seine Allianzen neu aufgestellt, von der UdSSR hin zu den USA. Um Sinai zurück zu bekommen, haben die Generale Israel anerkannt. Für 1,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr haben sie sich an den amerikanischen Imperialismus verkauft. Danach haben sie Privatisierungen vorangetrieben, um, vergeblich, dem nationalen Kapitalismus neue Dynamik zu verleihen.

Das Resultat ist ein aufgeblähter und überausgerüsteter Militärapparat, während die Mehrheit der Fellachen unter archaischen Bedingungen arbeitet, wobei Ägypten der größte Weizenimporteur der Welt ist. Mehr als 30 % der Bevölkerung sind Analphabeten. Die Verwaltung ist korrupt. Die Polizei, die Armee und die islamistischen Banden verhaften, kerkern ein, foltern und ermorden Oppositionelle. Frauen haben gesetzlich gegenüber Männern bei Scheidungen und Erbschaften geringere Rechte, über 50 % der Mädchen werden mit dem Segen muslimischer und christlicher Geistlicher Opfer der Genitalverstümmelung. Nach wie vor ist es verboten, eine Partei auf der programmatischen Grundlage des Klassenkampfs zu bilden.

Das Scheitern des Nasserismus, der das Scheitern des Stalinismus, der vor ihm in die Knie gegangen war und sich in der Einheitspartei aufgelöst hatte, nach sich zog, stärkte die islamistische Reaktion. Der Rückgriff auf die vorkapitalistische religiöse Ideologie war für viele Kapitalisten trotz ihres archaischen Charakters verlockend, weil sie darin das Geheimnis für den Respekt vor dem Privateigentum sahen. Die Muslimbrüder konnten sich auf das Netzwerk der Moscheen stützen und den Bauern, der Kleinbourgeoisie und den Deklassierten weniger auslandsabhängig sowie fähig erscheinen, die staatlichen Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge und Schulbildung durch ihre Wohltätigkeit zu ergänzen,

Nur die Arbeiterklasse kann das Land und die Region aus der Sackgasse führen. Aber die Vertiefung der Revolution ist kein unvermeidlicher Prozess, wie die Wahl Mursis oder der Putsch gezeigt haben. Um die Reaktion zu besiegen, muss eine Arbeiterpartei aufgebaut werden, die den verschiedenen Cliquen der Ausbeuter keinerlei Vertrauen entgegen bringt, eine internationalistische Partei, eine Partei des Aufstands vom Typus der bolschewistischen Partei von 1917.

In seinem Kampf gegen die kollektive Macht der besitzendenKlassen kann das Proletariat nur dann als Klasse handeln, wenn es sich selbst als besondere politische Partei im Gegensatz zu allen alten, von den besitzenden Klassen gebildeten Parteien konstituiert. … [So] wird die Eroberung der politischen Macht zur ersten Pflicht des Proletariats. (Karl Marx, September 1872, MEW 33, S. 527)

Die Lohnarbeiter, die Arbeitslosen, die armen Bauern, die Mehrheit der prekär tätigen Einzelindividuen in den Städten, ein Großteil der Studenten, die Wehrpflichtigen… können sich gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker zusammenschließen, eine Arbeiter- und Bauernregierung durchsetzen, die sich auf die Arbeiterräte und Räte der ausgebeuteten Volksmassen stützt, die Söldner des Kapitals entwaffnen und die soziale Revolution auf die Nachbarländer und auf Südeuropa ausdehnen, um ihren Sieg und die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse der Massen zu gewährleisten.

  • Bruch aller Arbeiterorganisationen mit der Junta, den religiösen Parteien, den liberalen Parteien, den weltlichen bürgerlichen Parteien! Arbeitereinheitsfront gegen die Junta!
  • Weg mit der Militärjunta! Wiederherstellung der demokratischen Freiheiten! Sofortige Freilassung aller Arbeiteraktivisten! Anerkennung des Streikrechts! Aufhebung des Verbots revolutionärer Parteien!
  • Weder Militärjunta noch Präsident mit Generalvollmachten! Souveräne konstituierende Versammlung, gestützt auf Wahlen unter Kontrolle der arbeitenden Massen, mit jederzeit abwählbaren Abgeordneten die nicht mehr verdienen dürfen als andere Arbeiter!
  • Hände weg von den religiösen, nationalen und sexuellen Minderheiten! Völlige Trennung von Staat und Religion!
  • Rechtliche Gleichstellung der Frauen! Verbot der Polygamie und der Beschneidung! Für die Emanzipation der Jugend! Sexuelle Erziehung für Jugendliche und kostenlose Verhütungsmittel!
  • Arbeiter- und Bauernregierung! Für Komitees in den Betrieben, den Verwaltungen, den Stadtteilen der Arbeitenden, den Universitäten, um über die Lage und die Aufgaben zu diskutieren, um die Regierung zu wählen und diese zu überwachen, um gnadenlos die Konterrevolution zu bekämpfen!
  • Auflösung der Polizei! Demokratische Rechte für die Rekruten! Wahl der Offiziere! Bewaffnung der Arbeiter in Stadt und Land! Entwaffnung der Polizei, der Armee, der Schlägerbanden und der islamistischen Milizen!
  • Kontrolle der Arbeiter und der arbeitenden Massen über Produktion und Verteilung! Enteignung der Großgrundbesitzer und der Großkapitalisten!
  • Öffnung der Grenzen zum Gaza! Vereinigte Sozialistische Staaten von Nordafrika und dem Nahen Osten! Sozialistische Mittelmeer-Föderation!

22. August 2013

Internationales Büro des Kollektiv Permanente Revolution

Lexikon der Parteien

Al-Nour (Das Licht): Klerikale bürgerliche Partei, gegründet 2011, die der Muslimbruderschaft von rechts Konkurrenz macht; wird von Saudi Arabien unterstützt.

Volksströmung (VS): Kleine neo-nasseristische bürgerlich-nationalistische Partei. Ihr Kandidat Hamdîn Sabbahi erhielt im ersten Wahlgang der Präsidentenwahlen 2012 20,7 % der Stimmen.

Muslimbruderschaft (MB): Alte klerikale bürgerliche Partei, in Verbindung mit den „freien Offizieren“, die aber 1954 mit Nasser brach. Heute die einzige Massenpartei. Ihre Finanzierung erfolgt durch die Ausbeuter (Kapitalisten, Großgrundbesitzer) und Quatar. Die Bruderschaft verfügt über ein Wohltätigkeitsnetzwerk, darunter 23 Spitäler. Unter der Handelsmarke Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (PFG) erhielt ihr Kandidat Mursi im ersten Wahlgang der Präsidentenwahlen 24,8 %, im zweiten 51,73 % der Stimmen.

Nationale Heilsfront (NHF): 2012 gebildete Koalition aller dem Islamismus feindlich gesinnten bürgerlichen Parteien (-> VS, -> PfÄ, -> Wafd, PdlC, PDSE…), der sich alle kleinen Arbeiterorganisationen anschlossen (-> SP, -> RS, -> KP…).

Bewegung des 6. April (M6A): 2008 gegründete Jugendbewegung. Aktiv in der Erhebung am Tahrir-Platz 2011.

Partei der freien Ägypter (PfÄ): Liberale bürgerliche Partei, gegründet von Naguib Sawiris, dem koptischen Milliardär an der Spitze des Telekomkonzerns Mobinil.

Kommunistische Partei von Ägypten: Entstand aus dem Beitritt der Ägyptischen Sozialistischen Partei zur Komintern 1922. Sie organisierte die Gewerkschaft des „Allgemeinen Arbeiterverbandes“; beide wurden 1924 verboten und verschwanden.

Kommunistische Partei Ägyptens (KPÄ): Ende des 30er Jahre entstanden auf der Grundlage des Volksfront-Schwenks des Komintern eine Reihe stalinistischer Organisationen: Ägyptische nationale Befreiungsbewegung, Iskra, Volksdemokratie, Volksavantgarde für Befreiung … Sie wurden zwischen 1946 und 1948 unterdrückt. Die beiden ersteren fusionierten 1947 zur Demokratischen Bewegung der Nationalen Befreiung (DBNB) unter Führung Curiels. Die Stalinisten beteiligten sich an Demonstrationen, Streiks und Guerilla-Aktionen gegen die britische Besetzung des Suezkanals. 1952 schloss sich die DBNB dem Staatsstreich der „Jungen Offiziere“ , der die Monarchie beseitigte, an. Die UdSSR unterstützte allerdings nach wie vor -> Wafd. 1953 verbot Nasser Gewerkschaften und Parteien. Zwischen 1955 und 1957 vereinigten sich die stalinistischen Gruppen und bildeten die KP Ägyptens. Nasser wandte sich 1956 der UdSSR zu und ließ die eingekerkerten Mitglieder der KP frei. 1959 wurde die KP neuerlich unterdrückt. 1961 gründete Oberst Nasser eine Einheitspartei, die -> ASU, in der sich die KP Ägyptens 1964 auflöste. 1970 reorganisierte sich die Partei eigenständig und wurde 1981 von General Sadat verboten.

Nationaldemokratische Partei (NDP): Bürgerliche Partei, die 1978 an die Stelle der ->ASU trat. Ihre Mitglieder bezeichnet man als Foulouls (die „Überbleibsel“ des Regimes von Mubarak). Mitglied der Sozialistischen Internationale. Offiziell beim Sturz Mubaraks aufgelöst, umfasste sie mehrere bürgerliche Parteien. Die Foulouls bevölkern nach wie die Armee, die höchsten Verwaltungsbehörden und die Justiz. Ahmed Shafik, General a.D. und ehemaliger Premierminister, kandidierte bei den Präsidentenwahlen im Mai 2012 und erhielt im ersten Wahlgang 23,66 % und im zweiten 48,27 % der Stimmen,

Sozialistische Partei Ägyptens (PSÄ): Ergebnis einer Regruppierung alter Stalinisten mit verschiedenen Zentristen, gegründet 2011. Dürfte in den unabhängigen Gewerkschaften aktiv sein.

Revolutionäre Sozialisten (RS): 1995 im Rahmen der Internationalen Sozialistischen Tendenz (IST) gegründete zentristische Organisation. Die IST ist die von Tony Cliff geführte Strömung, welche die UdSSR als kapitalistisch einschätzte und 1950 aus der britischen Sektion der IV. Internationale ausgeschlossen wurde, weil sie sich weigerte, China während des Koreakrieges zu verteidigen. Die IST zeigte ihren Opportunismus gegenüber dem Islamismus während des Kriegs in Afghanistan und der iranischen Revolution 1979. Ihre Führer Harman und Callinicos haben die „anti-imperialistische Einheitsfront“ des 4. Weltkongresses der Komintern wiederbelebt, so wie Healy und Pablo vor ihnen, und behaupten, der Islamismus könnte fortschrittlich sein. Mit den Islamisten gründete die führende Organisation der IST, die britische SWP (Socialist Workers Party, Sozialistische Arbeiterpartei) die Minivolksfront Respect. Die RS waren bei der Erhebung am Tahrir-Platz 2011 aktiv. 2012 unterstützten sie im 2. Wahlgang den Präsidentschaftskandidaten der  -> MB. 2012 gehörten sie der Anti-Mursi-Volksfront –>  NHF an. 2013 beteiligten sie sich an der Kampagne von -> Tamarod. Sie weigern sich, die Machtergreifung des Militärs als Staatsstreich zu bezeichnen.

Tamarod (Rebellion): Im April 2013 rund um eine Petition für vorgezogene Präsidentenwahlen entstandene Bewegung, unterstützt von der –>NHF. Rief anschließend zu Massendemonstrationen gegen Mursi auf.

Arabische Sozialistische Union (ASU): Panarabische bürgerlich-nationalistische Partei, von Nasser 1961 gegründet. Einheitspartei ab 1976, General Sadat wandelte sie 1978 in die .>NDP um.

Wafd (Vertretung): Die älteste bürgerlich-nationalistische Partei. Seit sie 1924 die Macht ergriff, wandte sie sich gegen die Arbeiterbewegung. 1936 kam Wafd neuerlich an die Macht und unterdrückte wiederum Streiks (Textil- und Zuckerindustrie, Transportwesen). In ihr finden sich heute zahlreiche Exmitglieder der -> NDP.

EINE GEDRUCKTE VERSION DIESER ERKLÄRUNG SOWIE WEITERES MATERIAL ZU ÄGYPTEN ERSCHEINT IN DER NÄCHSTEN AUSGABE UNSERER ZEITUNG KLASSENKAMPF (ERSTVERKAUF BEIM VOLKSSTIMMEFEST IN WIEN!)