Eine wichtige Quellensammlung zur Geschichte der revolutionären Bewegung in Österreich

Mit der Website “Trotzkistisches Archiv Österreichs” hat der Historiker und Aktivist Manfred Scharinger einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, die Geschichte der revolutionären Bewegung in Österreich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Genosse Scharinger ist Leser*innen des KLASSENKAMPF als Verfasser der Beilage zu KLASSENKAMPF 29 (März 2018) bekannt, in der er ein bisher weitgehend unbekanntes Interview mit Leo Trotzki aus der “Neuen Freien Presse” von Februar 1918 einleitete.

Auf der Website findet sich die bisher umfassendste Zusammenstellung von Zeitschriften, Broschüren und Flugblättern jener Organisationen, die in Österreich ab Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts als linke Opposition gegen den Stalinismus entstanden waren. In kurzen Einleitungen werden die einzelnen Organisationen bzw. Themenblöcke vorgestellt:

Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse (1934 – 1941)

Der Kampfbund, die illegale Nachfolgeorganisation der KPÖ (Opposition), wurde unmittelbar nach den Februarkämpfen 1934 gegründet und war die dominierende linksoppositionelle Gruppierung in der Zeit des Austrofaschismus. Seine monatlich erscheinende Zeitung Arbeitermacht, Broschüren und eine erfolgreiche Fraktionsarbeit im Autonomen Schutzbund mit der Schutzbundzeitung schärften sein politisches Profil. Der Niedergang mit einer Reihe von Abspaltungen begann 1937/1938, als Josef Frey, die dominierende Persönlichkeit des Kampfbundes, die Kombinierte Kriegstaktik entwickelte. Nach einem letzten Übertritt musste die stark geschwächte Organisation 1941 faktisch ihre organisierte politische Tätigkeit einstellen. Der nach 1945 reorganisierte Kampfbund wird im Anschluss an anderer Stelle dokumentiert.

Bolschewiki-Leninisten Österreichs (1933-1936)

Die Ende 1932 gegründeten Bolschewiki-Leninisten Österreichs waren die offiziell anerkannte Sektion der von Leo Trotzki geführten Linksopposition, alle Versuche einer Einigung mit der KPÖ (Opposition) bzw. deren Nachfolgeorganisation, dem Kampfbund, blieben erfolglos. Die personell gegenüber dem Kampfbund schwächeren Bolschewiki-Leninisten publizierten den Einzigen Weg. Es gelang ihnen, Kontakte zu den aus der KPÖ-Organisation Kommunistischer Jugendverband 1935/1936 ausgeschiedenen Revolutionären Kommunisten aufzubauen. Schließlich gingen die Bolschewiki-Leninisten in den aktiveren Revolutionären Kommunisten auf. Ab Ende 1936 / Anfang 1937 entwickelten die B-L keine nach außen gerichteten Aktivitäten mehr.

Revolutionäre Kommunisten (1936-1938)

Die Revolutionären Kommunisten entwickelten um 1935 eine linke Kritik an der stalinistischen Politik und konstituierten sich 1936 schließlich als eigenständige Organisation. Mit der Herausgabe des Bolschewik (1936/1937) konnte sich die jugendlich-aktivistische Gruppierung rasch gegenüber den Bolschewiki-Leninisten profilieren. Durch die Verhaftungswelle 1936 und die nachfolgenden „Trotzkistenprozesse“ konnte die Organisation vom austrofaschistischen Regime schwer geschwächt werden. In der Folge entwickelten die RK ab 1938 eine linke Kritik am „Trotzkismus“; mit den Junius-Briefen vom Sommer 1938 endet daher auch unsere Dokumentation hier.

Proletarische Revolutionäre (1939 – 1943)

Die Organisation Proletarische Revolutionäre entstand 1938 aus einer Spaltung des Kampfbundes. Die Proletarischen Revolutionäre wollten an der strikt defaitistischen Linie festhalten und lehnten die von Josef Frey entwickelte Kombinierte Kriegstaktik ab. Als schwächste der so entstandenen (Links-) Abspaltungen des Kampfbundes gab die Organisation die Zeitschrift Iskra heraus. 1943 konnten die Verhandlungen mit den Proletarischen Internationalisten abgeschlossen werden, die PR gingen in den Proletarischen Internationalisten auf.

Linksfraktion des Kampfbundes / Gruppe „Gegen den Strom“ (1939-1943)

Die Linksfraktion des Kampfbundes entstand 1938, nach einer Spaltung des Kampfbundes. Sie wollte an der strikt defaitistischen Linie festhalten und lehnte die von Josef Frey entwickelte Kombinierte Kriegstaktik ab. Später nach ihrem Publikationsorgan in Gruppe „Gegen den Strom“ umbenannt, gab sie zwischen 1940 und 1943 insgesamt 15 Nummern ihrer Zeitschrift heraus. 1943 wurde die Gruppe in der einzigen größeren Verhaftungswelle, von der trotzkistische Organisationen in der Nazi-Zeit betroffen waren, von der Gestapo zerschlagen, zwei Mitglieder zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Weiters finden sich zahlreiche Broschüren sowie eine Zusammenstellung von Schriften des marxistischen SDAP-Theoretikers Josef Strasser (1870-1935) im Volltext auf der Website.

Wer die Differenzen zwischen den einzelnen Organisationen gründlich studieren will, bekommt hier alle verfügbaren Materialien in die Hand.

Wie sehr Organisations- oder Fraktionsinteressen die historische Sicht beeinflussen, zeigt sich am ebenfalls im Volltext vorliegenden Band der “Marxismus”-Reihe zu “Trotzkismus in Österreich/ Band 2/ Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute”. Die Bände der “Marxismus”-Reihe wurden über weite Strecken von oder mit maßgeblicher Mitwirkung Scharingers verfasst. Sie waren der publizistische Sammelpunkt, um den herum sich die “Arbeitsgruppe Marxismus” bildete, die im Lauf ihrer Entwicklung eine Reihe von Spaltungen erlebte. Teile der historischen Gründer*innen bildeten später die “Gruppe Arbeiter:innen:kampf” – am Namen unschwer als österreichisches Franchise der französischen Organisation Lutte Ouvrière zu erkennen. Im Kapitel 9 schrieb Eric Wegner über die “Organisationen von Anfang der 90er Jahre bis heute” (heute dürfte 2011 sein). Ohne näher ins Detail gehen zu wollen: Die Geschichte, die Eric Wegner hier erzählt, ist weitgehend seine eigene, und dementsprechend sind etliche Wertungen und Interpretationen mit Vorsicht zu genießen. Tragisch, dass Wegner, einst einer der führenden Theoretiker der AGM, mittlerweile politisch komplett degeneriert und bei Positionen gelandet ist, die man im günstigsten Fall als Positionen der “Neuen Rechten” und Querdenker bezeichnen kann.

Die Website “Trotzkistisches Archiv Österreichs” füllt jedenfalls eine wichtige historiographische und politische Lücke.