Die Arbeiterbewegung muss Manning, Snowden, Assange verteidigen!

Print Friendly, PDF & Email

Erklärung des CoReP

35 Jahre Haft für Bradley Manning – eine Warnung an alle Gegner des imperialistischen Kapitalismus

Bradley Manning

Am 21. August 2014 hat ein amerikanisches Militärgericht den Soldaten Bradley Manning wegen Spionage, Geheimnisverrat, Computerbetrug und Diebstahl zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt. Das „Verbrechen“ des Nachrichtenanalysten bestand darin, der Öffentlichkeit Informationen zugänglich zu machen, die den verbrecherischen Charakter der US-Militäraktionen im Irak im Namen des „Krieges gegen den Terror“ und weltweite Menschenrechtsverletzungen durch Organe der US-Regierung dokumentierten. Nachdem die Regierung der amerikanischen Kapitalisten und ihr Generalstab anfangs entschlossen schienen, Manning wegen „Unterstützung des Feindes“ in die Todeszelle zu schicken, erwiesen sich die Vorwürfe gegen den Soldaten als so absurd und die Empörung über die unmenschlichen Haftbedingungen von Private Manning als so groß, dass sogar Richterin Oberst Denise Lind gezwungen war, beim Strafmaß Abstriche zu machen.

Am 14. August hatte ein zitternder, den Tränen naher, sichtlich gebrochener Manning vor dem undemokratischen, von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschotteten, Militärgericht in Fort Meade eine erniedrigende Selbstbezichtigung vorgetragen, die klar die Handschrift eines inszenierten Schauprozesse trägt.

Es tut mir leid, dass ich Menschen Schaden zugefügt habe. Es tut mir leid, dass ich den Vereinigten Staaten Schaden zugefügt habe. Ich sehe ein, dass ich einen Preis für meine Entscheidungen zahlen muss….”Wenn ich auf die Entscheidungen zurückschaue, frage ich mich, wie in aller Welt ich, ein junger Analyst, wirklich glauben konnte, ich könnte die Welt zum Besseren verändern. Ich werde den Preis dafür bezahlen und ich hoffe, dass ich eines Tages auf eine Weise leben kann, zu der ich in der Vergangenheit nicht fähig war. Ich will ein besserer Mensch werden“.

Manning war drei Jahre in Einzelhaft, man hatte ihn durch Schlafentzug, abwechselnd mit tagelangen pausenlosen Verhören, entkleidet und seiner Brillen beraubt, der Willkür der Gefängniswärter ausgesetzt mit der klaren Absicht, seinen Willen zu brechen.

Die angebliche Erklärung Mannings ist in Wirklichkeit eine Warnung der Regierung des militärisch mächtigsten imperialistischen Landes an alle Gegner des Ausbeutersystems: Gegen den Willen des Imperialismus lässt sich die Welt nicht zum Besseren verändern, wer es versucht, gerät in die Maschinerie der Repression. 35 Jahre Haft für den jungen Soldaten Manning, der es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, den Verbrechen seiner imperialistischen Regierung zuzuschauen; drei Jahre Haft für die Folterer von Abu Graib (wie Lynndie England) – die Botschaft der kapitalistischen Klassenjustiz ist klar: Ohne Zustimmung des Imperialismus wird sich nichts ändern. Wer gegen uns ist, wird zermalmt, wer für uns foltert und mordet wird pro forma bestraft, damit der Zynismus nicht zu offensichtlich ist.

Die beispiellose Hetzjagd auf Edward Snowden, der den Schleier vor einem Teil der Aktivitäten der NSA (die auf Anweisung Obamas Dutzende Millionen von Amerikaner ausspioniert) zerrissen hat und die damit zusammenhängenden Einschüchterungen von Staaten, die sich bereit erklärten, dem Whistleblower Asyl zu gewähren, bis hin zur Verweigerung von Überflugsgenehmigungen für die Maschine des bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales durch die Regierungen Portugals, Spaniens, Frankreichs und Italiens; die schon ein Jahr dauernde Belagerung von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London; die massiven polizeilichen und gerichtlichen Drohungen gegen den „Guardian“, jener Zeitung, welche die Enthüllungen Snowdens veröffentlichte; die bedrohlichen Schikanen gegen den brasilianischen Journalisten und Lebensgefährten eines Guardian-Reporters, Miranda, am Londoner Flughafen Heathrow; Morddrohungen in großen amerikanischen Medien gegen die „Verräter“ – immer offener und provokanter zeigen die imperialistischen Regierungen, allen voran jene der USA, dass sie auf ihre angeblichen „demokratischen Werte“ spucken, und dass der Polizeistaat für sie eine immer verlockendere Option der Machtausübung ist.

Untereinander liefern sich die „Nachrichtendienste“ die verdrehtesten Gefechte, aber wenn es gegen diejenigen geht, für für Freiheit und Gleichheit kämpfen, sind sie sich sofort einig.

Der Verfall der Demokratie unter den Händen der imperialistischen Bourgeoisie

Die entstehende Bourgeoisie verkündete in ihrer rebellischen Phase, als sie den Feudalismus, die absolute Monarchie und die Staatsreligionen frontal angriff, universelle Werte: Freiheit und Gleichheit. Um sich durchzusetzen, zögerte die Bourgeoisie nicht, Gewalt anzuwenden, sogar offenen Terror. So in den Revolutionen in den Niederlanden und Großbritannien im 17. Jahrhundert, in den Vereinigten Staaten und Frankreich im 18. Aber selbst in dieser Epoche, als sie revolutionär war, milderte sie den universellen Anspruch zugunsten des Patriotismus. Sie beschränkte Freiheit und Gleichheit bezüglich der Sklaverei, des Patriarchats und vor allem des Privateigentums. Sie unterdrückte gnadenlos die Arbeiter und die unterdrückten Völker, die für Gleichheit und Freiheit kämpften. In zwei dieser Länder ging die Bourgeoisie soweit, die mit Demokratie und Gleichheit unvereinbare Monarchie wieder einzuführen.

Seit dem 19. Jahrhundert und dem Auftreten einer neuen revolutionären Klasse, dem Proletariat, welche sie bedroht, verleugnet die Bourgeoisie ihre eigene Geschichte, peitscht den Chauvinismus auf, setzt auf die Religion, verstärkt ihren Unterdrückungsapparat (Armee, Polizei, Gerichte, Gefängnisse, Geheimdienste …)

„Sie [die öffentliche Gewalt] verstärkt sich aber in dem Maß, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen und wie die einander begrenzenden Staaten größer und volkreicher werden – man sehe nur unser heutiges Europa an, wo Klassenkampf und Eroberungskonkurrenz die öffentliche Macht auf eine Höhe emporgeschraubt haben, auf der sie die ganze Gesellschaft und selbst den Staat zu verschlingen droht“. (Engels, Der Ursprung der Familie, des Staates… in MEW 21, S. 166)

In den USA, die sich seit dem 18. Jahrhundert mit der Demokratie brüsten, haben die Bourgeoisie und ihr Staat von den Attentaten des Jahres 2001 (vorbereitet von einem alten Agenten der CIA) profitiert und die Maske der bürgerlichen Legalität fallen gelassen. Mit dem „Gesetz zur Stärkung und Einigung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Instrumente, um Terrorismus aufzuhalten und zu blockieren“ („US Patriot Act“) schuf sich die Bush-Administration eine rechtliche Grundlage für willkürliche Verhaftungen, das Verschwinden-Lassen von Verdächtigen, unkontrollierte Bespitzelungen, kurz das Instrumentarium eines polizeilich-militärischen starken Staates. Im Gefängnis von Guantánamo, einer kolonialen Enklave auf Kuba, werden seit 12 Jahren unter Verletzung internationalen Rechts 170 Menschen festgehalten. Es ist erwiesen, dass die CIA im Ausland verhaften und foltern lässt. Unter anderem dürfen die amerikanischen Geheimdienste per Entscheidung des demokratischen Präsidenten Obama auf der ganzen Welt legal „Feinde der Vereinigten Staaten“, inklusive amerikanischer Staatsbürger, ermorden.

In Großbritannien, dem Land, das die längsten demokratischen Traditionen für sich beansprucht, spioniert der Staat auf eigene Rechnung und beherbergt zudem amerikanische Spionageeinrichtungen. Die Labour-Regierung Tony Blairs entwickelte 2001 und 2005 das „Gesetz zur Vorbeugung gegen den Terrorismus“ (Prevention of Terrorism Act) weiter, das 1974 verabschiedet wurde und mit dem unter dem Vorwand des Kampf gegen den irischen Republikanismus und die Opposition in Britannien gegen die militärissche Unterdrückung in Nordirland Grundrechte beseitigt wurden.

 

In Frankreich, dem Land mit der tiefgehendsten bürgerlichen Revolution, unterscheiden sich die Geheimdienste nur durch die bescheideneren Mittel von ihren amerikanischen Kollegen und Rivalen. Die Armee hat systematisch vietnamesische und algerische Kämpfer gefoltert, bevor sie die bürgerlichen Armeen in Lateinamerika in diesen Techniken schulte. Die Anti-Terror-Spezialeinheiten von Gendarmerie und Polizei wurden eingesetzt, um kanakische Militante zu ermorden (GIGN, auf Anweisung des „Sozialisten“ Mitterrand) und Streikende zu unterdrücken (GIGN gegen Postbedienstete, GIPN gegen Seeleute).

In Deutschland, wo das Ende des Absolutismus das Nebenprodukt der proletarischen Revolution von 1918/19 war, hat die Regierung die Sondergesetze der Jahre 1976/77 reaktiviert; Polizei und Geheimdienste haben eine Nazigruppe beschützt, die jahrelang türkische und griechische Migranten ermordete.

Im Namen des „Kampfes gegen den Terror“ haben die imperialistischen Regierungen lange Zeit die Diktaturen von Mubarak, Ben Ali, Gadaffi, Saddam Hussein, Al-Assad (Vater und Sohn) unterstützt und unterstützen heute die absoluten Monarchien am Golf. Im Namen des „Kampfes gegen den Terror“ unterdrückt der chinesische Imperialismus in Xianjiang, der russische Imperialismus in Tschetschenien, intervenierten die westlichen Imperialisten im Irak, in Libyen, in Mali.

 

Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, deren es zur Unterdrückung der anderen bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst …“ (Engels, Eine polnische Proklamation, MEW 18, 527).

Die Verfolgung moslemischer Migrantinnen und Migranten – oder wer dafür gehalten wird – wurde von allen Regierungen verschärft. Die Tendenz zur Einschränkung der demokratischen Freiheiten begleitet den historischen Abstieg der Bourgeoisie.

 

Die Verteidigung der „Whistleblower“ und der demokratischen Freiheiten obliegt der Arbeiterbewegung!

Weder Bradley Manning noch Edward Swnowden oder Julian Assange sind Aktivisten der Arbeiterbewegung, geschweige denn Revolutionäre. Ihre Enthüllungen waren für internationalistische Kommunisten auch keine wirkliche Überraschung – ohne Kenntnisse aller Details haben wir immer auf den repressiven Charakter der kapitalistischen Staaten hingewiesen, vor Illusionen in die bürgerliche Legalität gewarnt und die Machenschaften der Geheimdienste und politischen Polizeiapparate im Rahmen unserer Möglichkeiten bloßgestellt. Diese Klarsicht ist das Ergebnis der marxistischen Theorie vom Staat.

 

9. Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat uns noch vor dem Kriege gezeigt, was die vielgerühmte reine Demokratie unter dem Kapitalismus in Wirklichkeit bedeutet. Die Marxisten haben immer behauptet, dass, je entwickelter, je »reiner« die Demokratie sei, desto unverhüllter, schärfer, schonungsloser gestalte sich der Klassenkampf, desto reiner trete der Druck des Kapitals und die Diktatur der Bourgeoisie hervor. Die Affäre Dreyfuss in dem republikanischen Frankreich, die blutige Abrechnung der von Kapitalisten bewaffneten Söldnerheere mit streikenden Arbeitern in der freien und demokratischen Republik Amerika, diese und tausend ähnliche Tatsachen enthüllen die Wahrheit, welche die Bourgeoisie vergeblich zu verdecken sich bemüht, nämlich, dass in den demokratischsten Republiken in Wirklichkeit der Terror und die Diktatur der Bourgeoisie herrschen und jedesmal offen zutage treten, wenn den Ausbeutern die Macht des Kapitals ins Wanken zu geraten scheint. (Leitsätze der Kommunistischen Internationale über bürgerliche Demokratie und proletarische Diktatur, 1. Kongress 1919, Lenin Werke Bd. 28, S. 475f)

Unabhängig von den politischen oder philosophischen Überzeugungen von Manning, Snowden und Assange ist es die Pflicht der Arbeiterbewegung, weltweit Solidarität mit jenen zu üben, welche den Druck, die Manipulationen, die Spionage, die Morde der imperialistischen Staaten enthüllen, ebenso wie mit Journalisten, welche Enthüllungen über die Machenschaften der bürgerlichen Staatsapparate veröffentlichen.

 

Eine der ersten Maßnahmen des revolutionären Rats der Volkskommissare (Sovnarkom) in Russland 1917 war die Beendigung der Geheimdiplomatie und die Offenlegung aller Dokumente des Zarismus. Zensur, die Unterdrückung kritischer und enthüllender Berichterstattung, die Verfolgung von Anti-Imperialisten richtet sich im Kapitalismus indirekt auch gegen die Arbeiterbewegung und erst recht gegen die Revolutionäre, selbst wenn es vordergründig um „illoyale“ Mitarbeiter der Streitkräfte oder des Geheimdienstes geht.

 

Manning, Snowden und Assange werden von allen imperialistischen Regierungen gehasst, weil sie in spektakulärer Weise vor den Augen der Öffentlichkeit und damit der arbeitenden Massen unwiderlegbare Beweise vorgelegt haben, dass die Imperialisten nach wie vor Spionage betreiben und Blut an ihren Händen klebt.

 

Im Gegensatz zu liberalen Kleinbürgern dürfen die Arbeiterinnen und Arbeiter keine Illusionen haben, dass Aufdecker wie Manning, Snowden oder Assange das kapitalistische System und seine Militär- und Geheimdienstapparate demokratischer oder transparenter machen werden. Trotz der Märchen der reformistischen Quatschköpfe, die den Staat als „neutral“ präsentieren, dürfen die Arbeiterinnen und Arbeiter keinerlei Vertrauen in die bürgerliche Armee und Polizei, die bürgerliche Justiz und die Geheimdienste haben.

 

Das Proletariat muss, im Bündnis mit den anderen ausgebeuteten Klassen, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und ihn durch seine eigene Bewaffnung und seine eigenen rätedemokratische Machtorgane ersetzen – die Diktatur des Proletariats.

 

„Sie war nicht eine Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen.“ (Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich)

Für alle Arbeiterinnen und Arbeiter sind die Verfolgungen und Verurteilungen der „Whistleblower“, die Einschränkungen der demokratischen Freiheiten, ebenso eine Bedrohung. Daher rufen wir weltweit die Parteien der Arbeiter und die Gewerkschaften auf, folgende Forderungen zu erheben:

 

  • Sofortige Freilassung von Bradley Manning, Einstellung sämtlicher Verfolgungen gegen die Whistleblower!
  • Rückgabe Guantánamos an Kuba, Schließung sämtlicher amerikanischer, britischer, französischer und russischer Basen im Ausland!
  • Sofortige Einstellung der Verfolgung gegen Mitglieder und Unterstützer von nationalen Befreiungsbewegungen, von Unterstützerinnen und Unterstützern von Migrantinnen und Migranten und aller Arbeiterorganisationen!
  • Auflösung aller Geheimdienste, Sichtung und Veröffentlichung ihrer Akten und Dokumente durch Komitees der Arbeiterorganisationen, Zerstörung ihrer Spionageausrüstungen! Beschlagnahme ihrer finanziellen Mittel und daraus Entschädigungszahlungen für ihre Opfer und deren Angehörige!

 

Internationales Büro des Kollektiv Permanente Revolution

24. August 2014