Erklärung der GKK zum Ergebnis der Nationalratswahlen vom 15. Oktober
Die Nationalratswahlen vom 15. Oktober 2017 haben die politische Lage in Österreich massiv verändert. Im Vergleich zu den NRW 2013 muss aber zunächst festgehalten werden, dass die bundesweit kandidierenden Parteien, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen sind – die bürgerliche Arbeiterpartei SPÖ (26,90) und die reformistische KPÖ + (0,7 %) – ihren Anteil (in Prozent) halten konnten.
Der Wahlsieg der Volkspartei, die sich hinter ihrem neuen Aushängeschild Sebastian Kurz versteckte (31,6 %), ist ebenso wie der Stimmenzuwachs für die FPÖ (auf 26 %) durch einen Umgruppierungsprozess im bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lager zu erklären, der sich am dramatischsten in der Liquidierung der Grünen als Parlamentspartei äußert. 2013 haben die dezidiert reaktionären bürgerlichen Listen “FRANK” (= die politische Agentur des Milliardärs Stronach) und BZÖ ( = Endmoränen des orthodoxen Haiderismus) zusammen 9,2 % der Stimmen erhalten. Dieses Stimmenpotenzial ist bei den jetzigen Wahlen sowohl ÖVP als auch FPÖ zugute gekommen.
Damit gibt es im Nationalrat eine klare bürgerliche Mehrheit – sogar ohne die vermutlich fallweise Unterstützung ihrer Gesetzesentwürfe durch die Liste Pilz können [beim jetzig Mandatsstand] die offen bürgerlichen Parteien mit Zwei-Drittel-Mehrheit Gesetze im Verfassungsrang durchsetzen.
Die Zuwächse von ÖVP und FPÖ, das konstante Ergebnis der NEOS und der Einzug der Liste Pilz in den Nationalrat zeigen eines: das Kleinbürgertum hat heute kein Potenzial mehr, eine politische Strömung hervorzubringen, die sich selbst in irgendeiner Weise als “fortschrittlich” definiert. Die Grünen waren der Versuch, gesellschaftlich liberalere Positionen als die des Mainstream (Flüchtlinge, sexuelle Diskriminierung etc.) und ökologische Themen zu vertreten und parlamentarisch durchzusetzen.
NEOS, die sich gerne als die Erben des alten Liberalen Forums sehen, stehen klar auf dem Boden eines Wirtschaftsliberalismus, der notfalls auch mit Zwang durchgesetzt werden muss. Programmatisch könnten sie genauso gut ein Flügel der ÖVP sein – ihre eigenständige Existenz ist ein Luxus, der sich vielleicht schon bald erledigt hat.
Die SPÖ konnte sich auf niedrigem Niveau (jenem der NRW 2013) stabilisieren. Bemerkenswert war, dass die Sozialdemokratie nach einem ziemlichen Absturz im Zuge der “Dirty-Campaigning-Affäre” wieder zulegen konnte – nachdem sie die “soziale Frage” in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs stellte. Das begann mit dem taktisch klugen Schachzug Kerns, im Nationalrat einen Antrag für Mietzinsobergrenzen und Neubauten einzubringen und die FPÖ zu zwingen, in dieser Frage Farbe zu bekennen und den Antrag nicht zu unterstützen.
Bei der rechtlichen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten ging die FPÖ zwar mit – zugleich machte sich die Strache-Partei/Partie aber für Ausnahmeregeln in der Gastronomie stark, wo die Blauen über starke Unterstützung verfügen.
Gerade das Wahlergebnis in Wien zeigt, dass die “soziale Karte” sticht. Dass Freiheitliche Kalkül, die SPÖ zu überholen, scheiterte dadurch knapp, aber doch. Im Gegensatz mussten jene Landesparteien, die sich an die FPÖ angebiedert hatten, empfindliche Verluste einstecken, wie die SPÖ Burgenland.
Damit steht die SPÖ eventuell vor einer Zerreissprobe: Schon einen Tag nach der Wahl, am 16, Oktober, haben Parteipräsidium und -vorstand beschlossen, “entlang des schon vorher festgelegten Wertekompasses Gespräche mit allen Parteien über eine künftige Koalition zu führen, sofern man dazu eingeladen wird” (Landeshauptmann Peter Kaiser). Gegen diesen Beschluss stimmten nur die beiden Vertreter_innen der Jugendorganisationen.
Damit hat der Pro-FP-Flügel um Niessl, Doskozil, Ludwig und führende Gewerkschaftsbonzen rund um ÖGB-Präsident Foglar freie Hand, Druck auf die Gesamtpartei zu machen, um eine SPÖ/FPÖ-Koalition zu fordern.
Da der Bundespräsident bereits angekündigt hat, den Vorsitzenden der stärksten Partei, also Sebastian Kurz, mit der Regierungsbildung zu betrauen und die Konvergenz zwischen ÖVP und FPÖ immer größer geworden ist, kann wohl davon ausgegangen werden, dass eine Schwarz-Blaue Koalition bevorsteht. Durchaus möglich ist auch, dass Kurz unter dem Deckmantel einer “Expertenregierung” NEOS ebenso Ministerposten anbieten wird wie Rechtsauslegern der SPÖ à la Doskozil.
Wir haben in einer ganzen Reihe von Artikeln und Flugblättern erklärt, welche Folgen eine Schwarz-Blaue Regierung für die Arbeiter_innen, die Jugend, migrantische Kolleg_innen, die Frauen … hätte. Auf Grund der Kräfteverhältnisse im Parlament muss davon ausgegangen werden, dass die Angriffe heftiger und brutaler ausfallen werden als zu Zeiten der Wenderegierung Schüssel/Haider.
Diese Angriffe können schon aus rein “verfassungsarithmetischen” Gründen nicht im Nationalrat gestoppt werden. Die zentrale Aufgabe in den nächsten Wochen wird also sein: In Diskussionen mit SP-Mitgliedern oder Sympathisant_innen eine klare Position gegen jede Koalition mit ÖVP oder FPÖ zu vertreten. Die Lehre der gescheiterten Regierung Kern und der vorausgehenden SPÖVP-Regierungen ist: In jeder Koalition mit einer offen bürgerlichen Partei vertritt die SPÖ-Führung noch massiver die Interessen der herrschenden Klasse als in den Zeiten ihrer Alleinregierungen.
Die SPÖ als bürgerliche Arbeiterpartei vertritt seit über hundert Jahren die Interessen der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse. Damit hat sie nicht nur die historischen Niederlagen 1927 und 1934 verschuldet, sondern nach dem 2. Weltkrieg die Arbeiter im Namen der Sozialpartnerschaft den Profitgelüsten der Reichen ausgeliefert.
Wenn jetzt Teile der SP-Bürokratie die Opposition im Parlament als “Heilmittel” gegen den Niedergang ihrer Partei darstellen, ist das eine Zwecklüge. Jede “konstruktive Kritik” auf der parlamentarischen Ebene soll nur dazu herhalten, bei der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend die Illusion in die bürgerliche Demokratie aufrecht zu erhalten.
Die reaktionären Pläne der herrschenden Klasse und ihrer politischen Vertretungen ÖVP, FPÖ und NEOS können nicht im Parlament gestoppt werden, sondern nur auf der Straße, in den Betrieben, in den Schulen und Universitäten, in den großen Städten ebenso wie in den kleinen Dörfern!
Wenn die SPÖ-Führung wirklich eine neue “Wende” verhindern will, wie ihr Spitzenkandidat Kern in den letzten zwei Wochen landauf, landab gepredigt hat, gibt es dafür nur einen Weg: Die Mobilisierung der Arbeiter_innen und der Jugend, und zwar jetzt, nicht erst nach der Konstituierung der neuen Kapitalistenregierung.
Wir wissen aus den Wahlprogrammen, was das Programm von ÖVP und FPÖ ist: Verlängerung der Tagesarbeitszeit; neue Kürzungen bei den Pensionen; Bekämpfung der Kollektivvertragsfähigkeit der Gewerkschaften; Reduzierung von Sozialhilfe, Mindestsicherung, Verschärfung der Bestimmungen zur Erlangung von Arbeitslosenunterstützung; Steuergeschenke für die Reichen; Einsparungen im Gesundheitswesen; Schließung nicht genehmer Kindergärten, Kürzungen bei Schulen und Universitäten; Verstärkung der polizeilichen und geheimdienstlichen Überwachung der Bevölkerung; verstärkte Abschiebungen von Asylwerber_innen , ungeachtet von drohenden Gefahren für Leib und Leben …
Schon jetzt müssen in den Betrieben und an den Wohnorten Proteste gegen diese zu erwartenden Angriffe vorbereitet werden. Betriebsräte und Gewerkschaften müssen die Kolleg_innen informieren und organisieren.
Fordern wir SPÖ und Gewerkschaften auf, den Kampf gegen die nächste Regierung schon jetzt um folgende Hauptachsen zu führen:
- Aufteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich – keine Verlängerung der Arbeitszeit, ganz im Gegenteil! Schaffung von Arbeitsplätzen durch staatliche Wirtschaftsprojekte im Dienste der arbeitenden Bevölkerung – Infrastruktur, Wohnbau, Errichtung von Kindergärten, Schulen und medizinischen Zentren!
- Automatische Anpassung der Löhne an die Teuerung! Erstellung eines realistischen Warenkorbs durch Komitees der arbeitenden und arbeitslosen Konsument_innen! Senkung der Mieten, Beschlagnahmung und Verteilung leerstehender Wohnungen oder solcher Liegenschaften, die als Spekulationsobjekte dienen!
- Für das Recht migrantischer Arbeiter_innen und Studierender, von Flüchtlingen und Asylwerbern zu gleichen Bedingungen hier zu arbeiten und zu leben wie Werktätige mit österreichischer Staatszugehörigkeit; Vertretung ihrer Interessen durch Betriebsräte und Gewerkschaften.
- Förderung der Lehrer_innenausbildung auf allen Ebenen! Senkung der Klassenschülerzahlen, mehr Lehrer_innen für den Förder- und Sprachunterricht ab der Vorschule!
- Völlige Trennung von Religionen und Staat – keine religiöse Indoktrinierung in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Für das Recht der freien Religionsausübung, aber ohne besondere staatliche Schutzbestimmungen (“Blasphemieparagraf”).
- Keine österreichischen Polizisten und Soldaten ins Ausland! Beendigung aller “Auslandseinsätze”! Gegen die Kriegspolitik der ausländischen und heimischen Imperialisten! Keine österreichische Beteiligung an Frontex-Einsätzen!
- Organisierung von demokratisch gewählten Komitees zur Durchsetzung dieser Forderungen, die allen Arbeiter_innen offen stehen!
Wien, 16. 10. 2017