„Kleine Pensionsreform“ – Kein „Rückbau“, sondern kapitalistische Offensive

Der gestern vom Nationalrat beschlossene Gesetzeskomplex zur sogenannten „Teilpension“ ist kein technischer Eingriff, sondern ein bewusster Schritt der herrschenden Klasse, die Ausbeutungsdauer der Lohnabhängigen zu verlängern und gleichzeitig die Haftung des Staats für das Reproduktionsniveau der Arbeitskraft zu reduzieren. Es handelt sich nicht um einen „neoliberalen Paradigmenwechsel“, sondern um eine politische Reaktion auf die wachsenden Schwierigkeiten der Kapitalverwertung, insbesondere angesichts stagnierender Akkumulationsraten und sich verschärfender demografischer Widersprüche innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise.

1. Teilpension: Arbeitskraftverlängerung unter dem Deckmantel der „Freiwilligkeit“

Die Teilpension ist als Werkzeug zur Verzögerung des vollständigen Austritts aus dem Erwerbsleben konzipiert. Das „Zuckerl“, einen Teil der Pension neben dem Gehalt zu beziehen, soll jene Arbeiter*innen ködern, die nach jahrzehntelangem Hackeln weder physisch noch psychisch mehr zur Vollzeitarbeit fähig sind – aber sich aufgrund realer oder erwarteter Altersarmut dennoch nicht leisten können, komplett auszusteigen. Der neue Mechanismus ersetzt den kollektiven Anspruch auf Altersteilzeit durch individuelle „Flexibilisierung“, mit allen Nachteilen für Beschäftigte, insbesondere im prekären und körperlich belastenden Bereich.

2. Abschaffung der Altersteilzeit – besonders brutaler Schlag gegen Schwerarbeiter*innen

Die Einschränkung der Altersteilzeit – durch Begrenzung auf drei Jahre, Streichung ab Anspruch auf Teilpension und das Verbot von Nebenerwerb – trifft gerade jene, die im Kapitalismus am meisten verschlissen wurden: Bauarbeiter, Pflegekräfte, Reinigungskräfte, Lagerarbeiter*innen. Die Begründung: „Weil sie eh bald Teilpension bekommen“. Doch genau diese ersetzt keineswegs die lohnersetzende Funktion der Altersteilzeit, sondern bestraft mit Abschlägen und Unsicherheit.

Die Politik der Regierung zielt darauf, Menschen in die „Selbstverantwortung„ zu treiben, mit all den Risiken, die ein vorzeitiger Ausstieg oder eine Teilzeitverlängerung für die zukünftige Pensionshöhe bedeutet. In perfider Weise soll dadurch auch der Gedanke der gesellschaftlichen Solidarität weiter angegriffen werden – jede*r soll sich selbst der/die Nächste sein, die Misere des Kapitalismus soll zum individuellen Einzelfall erklärt werden, um eine gemeinsame Antwort der Klasse zu sabotieren. 

3. Der „Nachhaltigkeitsmechanismus“ – Austerität mit Automatik

Besonders zynisch ist die Einführung eines automatischen Sparmechanismus: Sobald die Ausgaben des Pensionssystems die festgelegten Budgetgrenzen überschreiten, „müssen Maßnahmen ergriffen werden – mit anderen Worten: Kürzungen, Leistungseinschränkungen, Anhebung von Antrittsaltern oder Abschlägen.

Diese Konstruktion ist kein neuer Kapitalismus in einer angeblichen „neoliberalen“ Entwicklungsphase, sondern Ausdruck seiner Krise: Der Staat, dessen Funktion ja wesentlich darin besteht, die Klassenverhältnisse zu verschleiern, wird nicht mehr als Kollektivorgan zur  Absicherung der Arbeitskraft („Sozialstaat“) präsentiert, sondern ganz offen und brutal als verlängerter Arm der kapitalistischen Rentabilitätslogik, der möglichst wenig Mittel an „Nicht-Produktive“ verschwenden soll.

4. Die Sozialdemagogie der FPÖ: Schutzbehauptung im Dienste der Besitzenden

Die FPÖ versucht sich aktuell als Schutzmacht der Pensionist*innen und „kleinen Leute“ zu präsentieren. Doch ihre Kritik an der Pensionsreform ist scheinheilig und heuchlerisch:

  • Die FPÖ war historisch maßgeblich an den Deregulierungswellen der 1990er und frühen 2000er beteiligt (Regierung Schüssel/Haider).
  • Sie unterstützte Pensionsreformen, die den faktischen Pensionsantritt verschoben, Abschläge einführten und Sozialbudgets zusammenkürzten („Große Steuerreform“ 2003).
  • Ihre Forderung, „Luxuspensionen“ zu kürzen oder „Zuwanderung“ zu begrenzen, ist populistische Ablenkung – sie ersetzt Klassenanalyse durch ethnonationale Spaltung.

Die FPÖ hat kein Problem mit Sozialabbau – solange er sich gegen Migrant*innen, Arbeitslose oder Frauen richtet. Ihr Problem ist nicht das System, sondern, dass die Angriffe nicht „ihren“ Wähler*innen exklusiv nützen.

Sie verteidigt nicht die Rechte der Arbeiter*innen, sondern den völkischen Autoritarismus, der im Dienst des Kapitals steht – nur mit anderer Rhetorik.

5. Die Rolle der SPÖ: Stütze der kapitalistischen Verwaltungsklasse

Die SPÖ betont, sie wolle das gesetzliche Antrittsalter „nicht über 65 anheben“. Gleichzeitig unterstützt sie jedoch die Mechanismen, mit denen das faktische Antrittsalter stillschweigend erhöht wird. Damit macht sie sich zur Mittäterin. Ihre angeblichen „sozialen Korrekturen“ dienen der Legitimation des Gesamtsystems.

Verena Nussbaum und Co. verwiesen für die SPÖ in der Nationalratssitzung auf die „Planbarkeit“ – doch für wen? Wer in Armut lebt, hat keine echte Wahl. Die Arbeiter*innenklasse wird durch solche Gesetze nicht entlastet, sondern schleichend zurückgetrieben in den Zwang zur Arbeit bis zum Umfallen. Übrigens: Verena Nußbaum ist stv. Regionalvorsitzende und Frauenvorsitzende der SPÖ Graz und Kammerrätin der Arbeiterkammer Steiermark. Sie ist außerdem stv. Landesgeschäftsführerin der GPA Steiermark.

6. Revolutionäre Gegenposition: Früh raus, ohne Abschläge!

Wir internationalistischen Kommunist*innen lehnen die Reform nicht aus nostalgischem Sozialstaatsdenken, sondern aus dem Verständnis des Pensionssystems als Teil der Reproduktion der Arbeitskraft ab, also von einem revolutionären Klassenstandpunkt. 

Angesichts der Angriffe durch die bürgerliche Koalitionsregierung schlagen wir folgendes Aktionsprogramm zur Verteidigung der sozialen Errungenschaften vor:

  • Pensionsantritt mit 60 (oder früher) ohne Abschläge
  • Flächendeckende Arbeitszeitverkürzung – auch vor dem Pensionsalter
  • Abschaffung aller Sparmechanismen, die das Leben der lohnabhängigen Klasse an technokratische Budgetziele ketten
  • Verstaatlichung der Pensionskassen unter Arbeiter*innenkontrolle
  • Volle Absicherung für gesundheitlich geschädigte Erwerbstätige – unabhängig von statistischen Modellen

Was als „Teilpension“ und „Reform“ verkauft wird, ist Teil der systematischen Strategie der Herrschenden, die Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu senken und den Lebensabend als letzte Bastion des Nicht-Verwertetseins zu schleifen.

Daran ist nichts „neu“ – es ist die fortgesetzte, brutale Anwendung des kapitalistischen Prinzips, wonach der Wert des Menschen in seiner Verwertbarkeit besteht. Es braucht keine neuen Begriffe wie „Neoliberalismus“, um diesen Angriff zu verstehen – es reicht die klare Einsicht:

Der Kapitalismus ist nicht reformierbar, er kann uns nicht sichern, sondern nur auspressen – bis zum letzten Atemzug, wenn wir ihn nicht auf revolutionärem Weg beseitigen.

Deshalb kämpfen wir für den Aufbau revolutionärer Fraktionen in den Geschwerkschaften und die Schaffung einer revolutionären Arbeiter*innenpartei als Teil der neuen, Revolutionären Arbeiter*inneninternationale. Denn die Angriffswelle, die jetzt auf uns zurollt, schwappt auch über die Arbeiter*innenklassen anderer Länder. 

Gruppe KLASSENKAMPF, 11.7.2025